Christof Paulus: Machtfelder. Die Politik Herzog Albrechts IV. von Bayern (1447/1465-1508) zwischen Territorium, Dynastie und Reich (= Forschungen zur Kaiser- und Papstgeschichte des Mittelalters. Beihefte zu J. F. Böhmer, Regesta Imperii; 39), Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2015, VIII + 751 S., ISBN 978-3-412-50138-9, EUR 90,00
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Herzog Albrecht IV. von Bayern-München (1447-1508) ist der Vater des 1506 geschaffenen Primogeniturgesetzes. Er gilt daher in der bayerischen Landesgeschichtsschreibung als Einer und Begründer des frühneuzeitlichen Herzogtums Bayern. Eine Biographie zu seiner Person, die modernen Ansprüchen genügt, gilt gleichwohl als Desiderat. Die Habilitationsschrift von Christof Paulus versteht sich als Vorstudie. In ihr werden die Spielräume des Wittelsbachers auf reichspolitischer wie "internationaler" Ebene zwischen Teilherzogtümern und Dynastie untersucht ebenso wie zwischen dem Schwäbischen Bund und Kaiser Friedrich III., wobei unterschiedliche Regierungsphasen ausgemacht werden. Auf einer breiten Quellengrundlage aufbauend, widerspricht der Verfasser dabei gängigen Meinungen:
Auch im 15. Jahrhundert sind dynastische Hausmachtpolitik und "Reichspolitik" kaum voneinander zu trennen. Sie waren in ein "schichtenreiches, mittel- und unmittelbares Geflecht bi- wie multipolarer Beziehungen" (47f.) eingebunden. Eine strikte Abgrenzung beider Bereiche ist Paulus zufolge eine "moderne Unterscheidung". Charakteristisch ist eine "polyzentrale Herrschaftswirklichkeit" (49), eine Vielzahl verschiedener Machtfelder, die ineinander wirkten, wobei die personale Komponente eine große Rolle spielte. Wesentlich war die individuelle Inszenierung des eigenen politischen Handelns nach vorgeschriebenen Regeln, bei dem es weniger um die Umsetzung langfristiger Ziele und die Verwirklichung normativer Vorstellungen ging als darum, "Spielräume auszuloten, Zwangslagen auszunützen, Leerstellen zu besetzen" (622) und Macht bzw. auctoritas öffentlich zur Schau zu stellen. Folgt man den Ausführungen des Autors, so waren die Verantwortlichen wegen der oftmals vorhandenen Widerstände und zeittypischen machtpolitischen Unzulänglichkeiten bestrebt, politische Aktionsmöglichkeiten innerhalb der vorgegebenen Strukturen auszumachen und Anhänger bzw. potenzielle Sympathisanten durch politisch inszeniertes Handeln ("Signalhandeln") zu gewinnen (622). Zuzustimmen ist der Behauptung, dass situativ angewandte Techniken der Macht (Präsenz und Absenz, die Kunst zu warten, die Anwendung von Gewalt, die Nutzung von Verwandtschaftsbeziehungen und Beziehungsnetzen, die Instrumentalisierung der eigenen Ehre für politische Zwecke, die Formung einer eigenen fama, Gabe und Gegengabe) ein wesentliches Charakteristikum der damaligen Politik waren.
Ein wichtiges Ergebnis der Darlegungen besteht darin, erkannt zu haben, dass die Primogeniturordnung Albrechts IV. nicht auf einem früh ins Auge gefassten Plan beruhte, sondern das Produkt momentaner Entwicklungen und Zufälle war, ein Resultat einer actio und reactio (31). [1] Die Frage der Unteilbarkeit des Territoriums stellte sich auch in zahlreichen anderen Fürstentümern, so dass nicht von einem spezifisch bayerischen Weg gesprochen werden kann. Die Vorstellung vom "Fixstern Primogenitur" (21), der mit dem "Erbübel des Hauses Wittelsbach" (29) aufräumen sollte, wird einer gründlichen Revision unterzogen. Die bislang populäre Ansicht, wonach große Männer wie Ludwig der Bayer oder Maximilian I. Geschichte nach ihrem Willen formten, übersieht, dass das damalige politische Geschehen im Zusammenspiel von Fürst, Räten, Dynastie, Hof, Landständen, Reichsständen und Reichsoberhaupt Mechanismen unterlag, die sich mit neuzeitlich-staatlichen Vorstellungen nur unzureichend beschreiben lassen: "Die Frage der Unteilbarkeit, die Frage der rechten Herrschaft war nie eine rein bayerische Angelegenheit" (134).
Ist es ein großes Verdienst der Arbeit, sich dem komplexen Wesen spätmittelalterlicher Reichspolitik theoretisch angenähert zu haben, so werden die Bestrebungen der Protagonisten "Äußeres" und "Inneres" voneinander zu scheiden, nur unzureichend betont. Die Frage, wie der Fürst sein Territorium formte, welche Gruppen bzw. Leute er am Hof bevorzugte oder auf Distanz hielt, wie er politische Einmischung bzw. Verflechtungen zu unterbinden suchte, bleibt in der Studie weitgehend offen. War politisches Handeln nur selten autonom, zog es auch oft weite Kreise, die alle Reichsstände in irgendeiner Form betrafen (621), bedeutet dies nicht, dass sich Fürsten nicht um eine Trennung von "Innen" und "Außen" bemühten. Nicht immer war nämlich die Vermengung von Reichsangelegenheiten mit den eigenen Belangen erwünscht. So legen - um konkrete Beispiele zu nennen - beispielsweise die Existenz einer römischen und erbländischen Kanzlei [2] im Falle des Reichsoberhaupts oder die Versuche der Landesherren, die Appellation der Untertanen an außenstehende Gerichte (etwa an die westfälischen Femegerichte) [3] zu verhindern, Zeugnis davon ab, dass die politischen Akteure ungeachtet aller Verkettungen scharf zwischen innerer und äußerer Politik auseinanderzuhalten wussten und eine solche Unterscheidung auch anstrebten.
Trotz dieses Einwands bleibt die Studie maßgeblich für weitere Forschungen zu Albrecht IV., nicht zuletzt wegen der Erfassung der Quellensituation - der Autor schöpft aus immerhin 47 Archiven - und eines umfassenden Biogramms zu den Räten und Mittelsmännern dieses Fürsten.
Anmerkungen:
[1] Vgl. Reinhard Stauber, Staat und Dynastie, Herzog Albrecht IV. und die Einheit des "Hauses Bayern" um 1500, in: ZBLG 60 (1997), 561ff.
[2] Vgl. Paul-Joachim Heinig, Zur Kanzleipraxis unter Kaiser Friedrich III. (1440-1493), in: Archiv für Diplomatik 31 (1985), 383-442.
[3] Zu ihnen vgl. Eberhard Fricke, Vemegerichtsbarkeit, in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: http://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Vemegerichtsbarkeit (mit weiteren Literaturangaben).
Konstantin Moritz Langmaier