Rezension über:

Jens-Christian Wagner (Hg.): 70 Tage Gewalt, Mord, Befreiung : das Kriegsende 1945 in Niedersachsen, Göttingen: Wallstein 2015, 184 S., 130 z.T. farb. Abb., ISBN 978-3-8353-1869-4, EUR 16,00
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Rezension von:
Sven Keller
Institut für Zeitgeschichte München - Berlin
Empfohlene Zitierweise:
Sven Keller: Rezension von: Jens-Christian Wagner (Hg.): 70 Tage Gewalt, Mord, Befreiung : das Kriegsende 1945 in Niedersachsen, Göttingen: Wallstein 2015, in: sehepunkte 16 (2016), Nr. 4 [15.04.2016], URL: https://www.sehepunkte.de
/2016/04/28781.html


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Jens-Christian Wagner (Hg.): 70 Tage Gewalt, Mord, Befreiung : das Kriegsende 1945 in Niedersachsen

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Die Stiftung Niedersächsische Gedenkstätten startete zum 27. Februar 2015 ein Weblog (kurz: Blog), das in den folgenden 70 Tagen bis zum 8. Mai täglich einen Eintrag mit Bezug zum jeweiligen Datum bereitstellte. [1] An der Spitze der Autoren, zumeist Mitarbeiter niedersächsischer Gedenkstätten und Angehörige regionaler Gedenkinitiativen, steht Jens-Christian Wagner, der das Projekt koordinierte und die Stiftung als Geschäftsführer leitet.

Die Einträge des Blogs befassen sich ausnahmslos mit den verschiedenen Aspekten von Verfolgung und Vernichtung innerhalb des NS-Terrorapparats. Der Untertitel "Das Kriegsende 1945 in Niedersachsen" ist angesichts dessen fast etwas weitgreifend; jedenfalls ist der Titel "Gewalt, Mord, Befreiung" ernst zu nehmen: Die Perspektive des Blogs ist die der von der NS-Herrschaft befreiten Opfer des Regimes.

Die einzelnen Beiträge sind knapp gefasst (je ca. 150 Worte) und präsentieren ein Thema jeweils anhand eines Exponats, wobei die Anknüpfung mal direkt, mal eher indirekt gelingt. Die verschiedenen Verbrechenskomplexe des nationalsozialistischen Terrorsystems sind ausgewogen repräsentiert, und auch die Auswahl der Exponate ist vielfältig: Häftlingstagebücher, in den Lagern entstandene Kunst, Täterüberlieferung wie Berichte und Befehle, aber auch Orte und Gebäude, repräsentiert durch Fotografien. Auch der Zugriff der einzelnen Beiträge auf ihre Themen variiert: der Leser erfährt von der Ereignisgeschichte ebenso wie von der strukturellen Entwicklung des Verfolgungsapparates und einzelnen Verfolgtenbiographien.

Inhaltlich ist das Blog gelungen, auch wenn die Beiträge Höhen und Tiefen (erfreulicherweise aber keine Untiefen) haben. Ob das Unternehmen auch hinsichtlich des Publikumsinteresses ein Erfolg war, muss offen bleiben: Die Zugriffszahlen, die ausweislich eines Hinweises im Impressum (natürlich) erhoben wurden, sind nicht öffentlich. Vermutlich darf man es aber als Fingerzeig verstehen, dass die Blogbeiträge im Januar 2016 noch einmal in einem attraktiv gestalteten Band erschienen sind - für die Freunde des analogen Zugriffs, sozusagen. Wer ungern am Bildschirm liest oder blätternd entdecken will (was mit dem Buch tatsächlich mehr Spaß macht!), kann hier zugreifen. Zweifelsohne wird der Band noch einmal andere Rezipienten ansprechen als der Blog. Streng genommen kommt die Druckfassung natürlich zu spät. Immerhin aber hindert niemand den Leser, den Ereignissen auch 71 Jahre nach Kriegsende chronologisch zu folgen. Ansonsten findet man alles auch, und hoffentlich dauerhaft, online. Die Tagestexte wurden jeweils eins zu eins übernommen, ergänzt um eine knappe Einleitung aus der Feder Wagners. Hier hätte man sich vielleicht etwas mehr gewünscht und die Gelegenheit nutzen können, noch andere weiterführende oder begleitende Texte einzuflechten. Das jedoch ist eine Frage des Konzepts, vermutlich auch der Zeitökonomie, und nicht als Malus zu verstehen.


Anmerkung:

[1] 70 Tage Gewalt, Mord, Befreiung. Das Kriegsende 1945 in Niedersachsen, URL: http://blog.befreiung1945.de.

Sven Keller