Christina Wawrzinek: Tore zur Welt. Häfen in der Antike, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2016, 224 S., 55 s/w-Abb., ISBN 978-3-8053-4925-3, EUR 29,95
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Die Erforschung von Hafenanlagen ist in Mode gekommen: Dies belegen die wachsende Anzahl an Publikationen, die zum Teil aus den eigens eingerichteten Sonderforschungsbereichen und europäischen Forschungsverbünden entwachsen. In dem nunmehr erscheinenden handlichen Buch "Tore zur Welt. Häfen in der Antike" legt Christina Wawrzinek zwar nicht - wie dies die Buchanzeige verkündet -, erstmals einen Überblick über die Häfen in der antiken Welt dar, sie bietet vielmehr in einer Reihe essayhaften Kapiteln unterschiedliche Aspekte rund um Häfen als Dreh- und Angelpunkte der Antike. Dabei schöpft sie aus dem Fundus ihrer unter dem Titel "In portum navigare" veröffentlichen Dissertation.
Die Kapitel sind nicht durchnummeriert, da ein linearer Aufbau wohl auch nicht intendiert ist. So sind thematische Überschneidungen und Doppelnennung unvermeidbar und werden als Lesehilfe größtenteils mittels Querverweisen markiert. Dies geschieht jedoch sehr zurückhaltend und für den Leser ist nicht immer nachzuvollziehen, warum es nicht zu entsprechenden Verweisen kommt. Nach einem kurzen Vorwort (7) schließt sich eine unkommentierte, doppelseitige Karte an, in der leider nur einige der im Text erwähnten Hafenanlagen - zumal nur des zentralen und östlichen Mittelmeerraums - eingezeichnet sind.
Kernaussage der "Einführung: Tor zur Welt" (11-13) ist, dass der in der Forschung bisher immer wieder verfolgte Versuch, einen ganzen Hafen als Typ zu erfassen und ihn auf diese Weise mit anderen Häfen vergleichbar zu machen, aufgrund u.a. der unterschiedlichen Rahmenbedingungen die bei der Gründung eines Hafens eine Rolle spielen, letztendlich gescheitert ist. Dies wird im nachfolgenden Kapitel "Der Blick auf den Hafen" (14-44) noch verdeutlicht: "Selbst bei Bauten und Installationen, die leicht hätten standardisiert werden können, entschied man sich für individuelle Lösungen" (15). Schlussfolgernd verfolgt die Autorin daher nicht weiter das Thema einer Typologie antiker Häfen, sondern widmet sich erörterungsartig gesonderten Aspekten, welche im Zuge der Forschung der letzten Jahrzehnte in den Vordergrund getreten sind. Häfen als möglicher Ort der Repräsentation ist so ein Aspekt, der darauffolgend besprochen wird ("Mehr als nur eine Anlegestelle - Ort der Repräsentation", 15-33). Im Mittelpunkt steht die in einer Hafenstadt offizielle und/oder private Selbstdarstellung; wie auch die Wechselwirkung zwischen Funktionalität und Ästhetik in deren Ausstattung. Mit Hafendarstellungen in der Kunst aber auch mit der Frage der Wahrnehmung beschäftigt sich der nächste Abschnitt ("Eine Frage der Perspektive - Häfen in Bild und Vorstellung", 33-44). Hinsichtlich des Buchtitels ist die Aussage der Autorin auf Seite 42 interessant: "Das Bild von einem Hafen als Tor zur Welt entspricht unserer neuzeitlichen Wahrnehmung und ist nicht ohne Weiteres auf die Antike zu übertragen". Anstelle der geäußerten Vermutungen vermisst der Rezensent an dieser Stelle die Besprechung der antiken Autoren, die uns einen Hinweis geben, welchen Ruf die großen Hafenstädte der Antike tatsächlich hatten. Das anschließende Essay trägt die Überschrift "Evolution des Hafens in der Antike" (45-88). In unterschiedlichen Unterkapiteln ("Stützpunkte für legendäre Seefahrer - phönizische Häfen", 53-58, "Optimale Nutzung natürlicher Verhältnisse - griechische Häfen", 58-63; "Wachstum bis zum Größenwahn - hellenistische Häfen", 63-71; "Neue Macht im Mittelmeer - römische Häfen", 71-88) wird eine historische Kontextualisierung der Entwicklung im Hafenbau umrissen.
Einer linearen Entwicklung im Hafenbau standen jedoch zwei Dinge entgegen: die lokalen Faktoren und die Zeitschiene, da nur die wenigsten Häfen aus einem Guss entstanden (50). Künstliche Hafenanlagen entstanden erst in der Levante, später in der Ägäis. Dabei sind in der Anfangszeit, so die Autorin, zwei Tendenzen erkennbar: Häfen werden allgemein größer und die Hafenbecken werden seit klassisch-griechischer Zeit tendenziell regelmäßiger geformt (51). Aber erst in römischer Zeit und dank eines neuartigen Baumaterials (dem unter Wasser abbindenden Zements, 76-78) konnte die Bindung an geografische und geologische Bedingungen gelöst werden. Probleme bildete jedoch die Verlandung. Die unterschiedliche Verwendung von Baumaterialien dürfte, anders als die Autorin darlegen möchte (88), eine Frage der Finanzierung sein und unter anderem von der Erwerbmöglichkeit dieser Baumaterialien abhängig gewesen sein. "Die Technik als Herz eines Hafens" wird im dritten Essay besprochen (89-113). Welche Anforderungen muss ein Hafen leisten? Im Abschnitt "Ein sicherer Hafen - die bauliche Grundausstattung" werden Molen und Wellenbrecher, Kais und Piers, das eigentliche Hafenbecken und die Festmachermöglichkeiten sowie die verschließbare Einfahrt vorgestellt (89-101). Weitere Elemente schließen sich an: "Signalfeuer am Horizont - Leuchttürme" (101-107); "Ein Schiff entsteht - Werften" (107-110). Schließlich werden unter "Gefahrvolle Wege - Umgang mit Hindernissen" (110-113) das antike Austonnen der Fahrrinne und das Markieren von Sandbänken nahe der Hafeneinfahrt (meist im Zuge von Maßnahmen gegen die Verlandung von Hafenbecken entstanden, s. Caesarea Maritima 86-87) besprochen.
Das vorletzte Essay wird "Systeme und Netzwerke" (114-167) überschrieben und widmet sich an erster Stelle den Arbeiten und den diese ausführenden Personen ("Muskelkraft und Know-how - Arbeitsplätze im Hafen", 116-120) wie auch der Frage nach Ausbau, Organisation und Verwaltung dieser Komplexe, die zwischen staatlichen, gemeinschaftlichen und privaten Engagement schwank ("Gehobenes Management - Verwaltung und Logistik", 120-130). [1] "Vom Handeln und Feilschen - der Hafen als Markplatz" (134-138) befasst sich mit der Frage, ob ein Hafen auch gleichzeitig ein Marktplatz war. Alternative bildeten die Ufermärkte, wie sie aus dem Mittelalter bekannt sind. Dem Aufkommen der Schiffsanzahl wird im nächsten Unterkapitel ("Gewaltige Dimensionen - der Frachtumschlag", 138-150) anhand der Vertäuungsringe und den Schiffhäusern nachgegangen - obwohl immer noch nicht in der Forschung feststeht, ob die Schiffe längsseits oder über Bug anlegten. Letzteres wird von den Ringabständen, der bildlichen Darstellung (s. Torlonia-Relief) - aber auch durch die noch heute im Mittelmeer größtenteils angewandte Seemannschaft nahegelegt. Dem Umfang des Frachtumschlags können wir aber nur begrenzt über die Betrachtung der Lagerhäuser (horrea) näherkommen. Die Autorin wirft hier zu Recht ein, dass Hafenanlagen nicht isoliert betrachtet werden können. Vielmehr sollten Hafen- und schließlich Handelssysteme mit größeren und kleineren Standorten in einem Gesamtkontext betrachtet werden (150). Offen bleibt wie dieser Gesamtkontext sich jeweils definiert. Neben Fracht fand auch, wenn in reduzierten Rahmen, Passagierschifffahrt statt ("Geduldige Fahrgäste - Reisen auf dem Schiff", 130-134). [2] Mit der Besprechung der Personen umspannenden Handelsnetzwerke aber auch das der dem Handel zugrundeliegenden infrastrukturellen Ausstattung (Häfen, Schleppbahnen, Kanäle, Flussregulierungen...) schließt dieses Kapitel ("Ein Netz wird geknüpft - Wasserstraßen und Infrastruktur", 150-167)
Unter der Überschrift "Marinehäfen" (168-195) nähert sich die Autorin ihrem letzten Themenblock. Für die archaische und klassische Zeit ist eine klare Unterscheidung zwischen zivilen und militärischen Häfen kaum möglich. Erst in hellenistischer Zeit entstanden exklusiv militärische Häfen. Diese Anlagen erforderten besondere Sicherheitsmaßnahmen ("Lange Mauern, verborgene Häfen - Sicherheitsmaßnahmen", 170-178) und bestanden zum Teil - aufgrund der bestimmten Bauart besonderer Schiffstypen - aus speziellen Bauten: den Schiffhäusern oder navalia ("Unter Dach und Fach - Schiffhäuser", 182-187). Hier ist dem Setzer ein Missgeschick passiert, welches den unbedarften Leser irritieren könnte: Die Abbildung von Piräus auf Seite 172-173 ist seitenverkehrt (vgl. 126).
Ein kleiner Exkurs über Schiffe und deren Bedienung in der Antike rundet das Hauptthema ab: "Versunkene Zeitzeugen - Schiffe als Informationsquellen", 178-182.
Gewaltsame Zerstörung, politische und wirtschaftliche Veränderungen sowie Naturkatastrophen bilden die Antwort auf die Frage, warum es die antiken Häfen heute nicht mehr gibt. Dies ist das Thema des letzten Abschnittes dieses Buches ("Das Ende der Häfen", 196-203) bevor die Autorin schließlich im Anhang (206-211) kurz auf die Quellenklage eingeht: Neben den physischen Resten sind hier archäologische und naturwissenschaftliche Untersuchungen wie auch literarische Quellen und Augenzeugenberichte aus späterer Zeit zu nennen.
Ein Ortsregister (223-224) rundet das Werk ab und erleichtert das Nachschlagen. Bedauerlicherweise sucht der Leser vergeblich Einträge zu Neapel, Pisa oder Istanbul /Yenikapi. Diese in den letzten Jahren ausgegrabenen Befunden liefern interessante Hinweise zu unterschiedlichen, in diesem Buche angesprochenen Aspekten (etwa zu dem Exkurs über Schiffe, 178-182). Umso mehr erstaunen diese Auslassungen. Das Werk bietet eine unterhaltsame Lektüre, leicht verständlich und gar nicht überfrachtet. Im Gegenteil, der Rezensent hätte gerne einige Punkte vertiefend gelesen. Ein großes Plus dieses Werkes ist es, den Stand der reinen katalogartigen Aufzählungen vorheriger Publikationen überwunden zu haben. [3]
Anmerkungen:
[1] Ergänzend zu diesem Aspekt s. Pascal Arnaud: The Interplay between Practioners and Decision-Makers for the Selection, Organisation, Utilisation and Maintenance of Ports in the Roman Empire, in: Johannes Preiser-Kapeller / Falko Daim (eds.): Harbours and Maritime Networks as Complex Adaptive Systems (RGZM Tagungen; Bd. 23), Mainz 2015, 61-81 sowie Thomas Schmidts: Der Einfluss der römischen Administration auf die Entwicklung der Hafenstädte im östlichen Mittelmeerraum, in: Sabine Ladstätter / Felix Pirson / Thomas Schmidts (Hgg.): Häfen und Hafenstädte im östlichen Mittelmeerraum. Harbors und Habour Cities in the Eastern Mediterranean, Istanbul 2014, 571-592.
[2] Zum Aspekt der Seereise siehe auch den Ausstellungskatalog "Überall zu Hause und doch fremd: Römer unterwegs", Dirk Schmitz / Maike Sieler (Hgg.): Ausstellung im LVR-Römer Museum im Archäologischen Park Xanten. Petersberg 2013.
[3] Zum Beispiel Karl Lehmann-Hartleben 1923, David Blackman 1982, Hans Braemer 1991 (hier Seite 204-233), Nicolas Carayon 2008, Arthur de Graauw 2014.
Marcus Heinrich Hermanns