Michelina Di Cesare: Studien zu Paulinus Venetus. De mapa mundi (= Monumenta Germaniae Historica. Studien und Texte; Bd. 58), Wiesbaden: Harrassowitz 2015, XXIII + 184 S., ISBN 978-3-447-10435-7, EUR 35,00
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Die vorliegende Monographie von Michelina Di Cesare, erschienen 2015 in der Reihe "Monumenta Germaniae Historica", ist hervorgegangen aus ihrer Edition der Schrift De mapa mundi des Paulinus Venetus, die wiederum im Rahmen ihrer 2006 an der Universitá degli Studi di Roma "La Sapienza" eingereichten Dissertation in klassischer Philologie entstand. Laut Vorwort der Autorin soll das vorliegende Buch in seiner gesonderten Drucklegung helfen, die Einleitung der Edition zu entlasten. Dies mutet eher bescheiden an, geht die Studie doch in ihrer Struktur und Dichte über eine nur etwas erweiterte Editionseinleitung hinaus.
An den Anfang ist ein umfangreiches Quellen- und Literaturverzeichnis gestellt, welches auch digitale Ressourcen auflistet. Auf insgesamt 170 Seiten, eingeteilt in 5 Kapitel (1-98) und einen 60 Seiten starken Anhang (101-165), gibt Di Cesare einen Überblick zu Leben und Wirken des Paulinus, ebenso wie zu seinem Werk und dessen Kontext. Dabei behält sie die historische Verortung des Autors ebenso wie seine Quellenbasis im Blick.
Im ersten Kapitel stellt Di Cesare Paulinus selbst, sein Werk und die dazugehörigen Textzeugen vor. Sie gibt einen gut strukturierten Einblick in Argumentationslinien und Positionen hinsichtlich der Frage, ob es sich bei einigen Handschriften um Autographen handeln könnte. Außerdem bietet sie eine Auflistung der verschiedenen Traktate des Paulinus und ihrer gemeinsamen Überlieferung mit seinen größeren Werken, wie zum Beispiel dem Compendium und der Satirica ystoria, zwei konzeptionell verschiedenen Varianten einer Weltchronik.
Statt nun direkt mit den Quellen anzuschließen, gibt Di Cesare im zweiten Kapitel am Beispiel des Traktates De mapa mundi einen komprimierten Einblick in die für das Werk des Paulinus so wichtige Frage nach dem Verhältnis von Kartographie und Historiographie (23-46). Sie bietet hier eine über methodische Fragen der Überlieferungsgeschichte hinausgehende, informative Einordnung der Arbeit des Paulinus in den Kontext "Historiographie" und "Kartographie", in welchem auch das in der jüngeren Forschung deutlich gestiegene Interesse an Paulinus Venetus begründet liegt. Michelina Di Cesare ordnet De mapa mundi dabei einem "anderen Stadium von Paolinos Reflektionen über die Darstellung des Raum-Zeit-Verhältnisses der Geschichte" (41) zu, als die verschiedene Versionen des Compendium. Diese These arbeitet sie nicht nur über die Datierung, sondern auch über theoretische Überlegungen zu Weltwahrnehmung und den methodischen Einsatz kartographischer Elemente in der Geschichtsschreibung heraus.
Aus der Diskussion um das Verhältnis von Paulinus De mapa mundi zum Atlas Pietro Vescontes am Endes des zweiten Kapitels schließt sich das dritte Kapitel logisch stringent mit einem Einblick in das Verhältnis von Paolino Veneto und Marino Sanudo an (47-63). Marino Sanudo war Paolino eng verbunden und ein wichtiger Akteur im Zusammenhang mit der Entwicklung der Kartographie, gleichzeitig war er als Gesandter des Dogen Giovanni Dandolo weit gereist. Er war als Autor sehr engagiert im Zusammenhang mit der Kreuzzugsidee und bemüht, diese mit seinem Werk ideologisch zu unterfüttern. Mit einem Überblick zu Sanudos Kreuzzugstraktaten und einer Reihe von dichten, quellenbasierten Überlegungen zum Verhältnis der Werke des Paulinus zur zweiten Redaktion des Liber Secretorum Fidelium Crucis super Terrae Sanctae recuperatione et conservatione Marino Sanudos geht Di Cesare auch hier wieder ganz klar über das einfache Zusammentragen von Informationen hinaus. Die großen Gemeinsamkeiten in den Werken beider Autoren wurden in der Forschung unterschiedlich interpretiert. Michelina Di Cesare untersucht diese Frage anhand der Lebensbeschreibungen Muhammads in Sanudos Secreta sowie Paolinos Satirica ystoria und der Pariser Version des Compendium. Sie kommt zu dem Schluss, dass "trotz großer Übereinstimmungen direkte oder einseitige Abhängigkeiten nur schwer zu beweisen sind" (97).
Die Quellen des Traktats De mapa mundi sind schließlich Gegenstand des vierten Kapitels und runden die Darstellung ab (64-95). Di Cesare bezeichnet De mapa mundi als "Textmosaik" (64) und diskutiert verschiedene literarische Bezüge, die auch im Zusammenhang mit anderen Werken des Paulinus von Interesse sind. Besonderes Augenmerk legt sie auf das Verhältnis von De mapa mundi zum Memoriale historiarum des Johannes von St. Viktor und zum De balneis Puteolanis des Petrus von Eboli. Sie diskutiert mögliche Auswirkungen der Entdeckung der Annalen des Tacitus, denn der Zugang zu diesem Werk stelle eine wichtige Besonderheit dar, war es doch "ein absolutes Novum in den Bibliotheken seiner Zeit" (90).
Der umfangreiche Anhang (101-170) bietet verschiedene Textstellen aus unterschiedlichen Versionen des Compendiums, so zum Beispiel die geographischen explicaciones der Pariser Fassung (Par. Lat. 4939 fol. 9r-11v), außerdem verschiedene Auszüge aus den Lebensbeschreibungen des Propheten Muhammads bei Sanudo (Secreta, lib 3, pars 3, cap. 1-51), in Paulinus Satirica ystoria, cap. 190, partes 3-121 (Vat. Lat.1960, fol. 210v-211v) und der Pariser Fassung des Compendiums (Par. Lat. 4939, fol. 89v-90r) sowie dem entsprechenden Abschnitt in der venezianischen Fassung (Marciana, Lat.Z. 399, fol.113r). Diese sind zum Teil gegenübergestellt und machen so unter anderem die vorangegangene Argumentation zum Verhältnis der verschiedenen Werke nachvollziehbar.
Das Werk des Paulinus Venetus zeichnet sich an vielen Stellen durch einen gewissen Innovationscharakter aus, der erst durch eine Verortung im Kontext der spätmittelalterlichen Expansionsgeschichte wirklich zum Tragen kommt. Dem trägt Michelina Di Cesare in der Struktur ihres Buches Rechnung, indem sie die Quellen des Traktates nicht direkt auf das Kapitel mit den Textzeugen folgen lässt, sondern zwei Kapitel zum historischen Kontext des Traktats De mapa mundi dazwischen schaltet. Daraus ergibt sich ein deutlicher Mehrwert für den Leser ihres Buches: Er findet nicht nur eine Fülle von Informationen über den Autor und sein Werk, wie sie in dieser Weise gebündelt bisher nicht in deutscher Sprache vorlagen, sondern Di Cesare verknüpft textbasierte, überlieferungsgeschichtliche Fragen mit dem erweiterten geistesgeschichtlichen Kontext des Werkes. Michelina Di Cesare gelingt auf engstem Raum eine dichte Darstellung zu Paulinus Venetus und seinem Werk, die nicht nur mit Blick auf den Traktat De mapa mundi im engeren Sinn relevant ist, sondern auch für primär an theoretischen und konzeptionellen Fragen zum Werk des Paulinus interessierte Leser. Wichtige Impulse für die Auseinandersetzung mit Paulinus kommen zur Zeit aus den Feldern Historiographie- und Kartographiegeschichte - auch vor diesem Hintergrund ist Di Cesares Buch eine lohnende Lektüre.
Nadine Holzmeier