Odile Moreau: La Turquie dans la Grande Guerre. De l'Empire ottoman à la république de Turquie, Saint-Cloud: Éditions SOTECA 14-18 2016, 284 S., ISBN 979-10-91561-83-9, EUR 25,00
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Der 100. Jahrestag des Ausbruchs des Ersten Weltkrieges hat weltweit eine beinahe unüberschaubare Menge an Publikationen auf den Buchmarkt gespült. Zunehmend rücken dabei die nichteuropäischen Kriegsschauplätze in den Vordergrund, die lange Zeit in der europäischen Forschung eher vernachlässigt wurden. Odile Moreau knüpft in ihrer Monografie zur osmanischen Geschichte des Ersten Weltkrieges an diesen Trend an und legt dem frankophonen Publikum dar, dass sich der Krieg nicht ausschließlich zwischen Deutschland und Frankreich zugetragen hat. Odile Moreau, die an der Universität Montpellier 3 lehrt und auch an bedeutenden Pariser Forschungseinrichtungen tätig ist, ist ausgewiesene Expertin für osmanische Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts. Zu ihren Schwerpunkten zählen die osmanische Armee und deren Reformierung sowie die Beziehungen des Osmanischen Reiches nach Europa und Nordafrika.
Die 2016 erschienene Monografie beschreibt die Zeit von 1911 bis 1923, die vor allem im türkischen Geschichtsbewusstsein als eine geschlossene, wenn auch machtpolitisch turbulente Periode der osmanisch-türkischen Geschichte wahrgenommen wird. Angefangen mit dem italienisch-türkischen Krieg um Tripolitanien (1911-1912) über die Balkankriege (1912-1913) und den Ersten Weltkrieg (1914-1918) bis hin zum Türkischen Unabhängigkeitskrieg (1919-1922) und der Ausrufung der Republik Türkei 1923 sind diese knapp zehn Jahre eine Epoche gravierender Umbrüche und Machtverschiebungen.
Der Aufbau des Buches orientiert sich an diesen historischen Ereignissen und ist in vier Teile gegliedert: Der erste Teil befasst sich mit der Vorgeschichte des Ersten Weltkrieges und dem Kriegseintritt des Osmanischen Reiches. Im Mittelpunkt stehen die Schwächung des Reiches durch die militärischen Auseinandersetzungen vor Kriegsbeginn, die darauffolgende Reorganisation des osmanischen Heeres und die "Waffenbrüderschaft" mit dem Deutschen Reich. Der zweite Teil der Monografie geht auf die kriegsrelevanten Akteure ein und legt den Schwerpunkt auf die osmanische Armee, den osmanischen Sicherheits- und Geheimdienst Teşkilat-ı Mahsusa sowie die deutsch-osmanischen Propagandapläne. Der dritte Teil setzt sich mit den Kriegsfronten auseinander und nimmt, leider etwas knapp, auch die "Heimatfront" in den Blick. Odile Moreau fokussiert dabei die Militarisierung der Gesellschaft, ökonomische Aspekte des Krieges und die armenische Frage. Im vierten und letzten Teil des Buches behandelt die Autorin hauptsächlich die Endphase und Nachwehen des Krieges, die verschiedenen Friedensverträge mit den Siegermächten, den Türkischen Unabhängigkeitskrieg und die Gründung der Republik Türkei.
Die insgesamt neun Kapitel der Studie sind in sich geschlossen und intensiv recherchiert. Odile Moreau greift die aktuellste internationale Forschung auf und berücksichtigt sowohl englische als auch französische, türkische und deutsche Sekundärliteratur. Insbesondere das fünfte Kapitel, das sich mit der osmanischen Organisation Teşkilat-ı Mahsusa befasst, ist sehr erhellend, da die Autorin auch einem internationalen, nicht-türkischsprachigen Publikum die sehr breite türkische Forschung zu diesem Themengebiet zugänglich macht. Die letzte umfassendere (englischsprachige) Arbeit zu dieser Organisation ist Philip Stoddards Dissertation von 1963. [1]
Die große Stärke der Monografie - die in sich geschlossenen Kapitel - bedingt leider auch einen großen Kritikpunkt: Verschiedene Teilaspekte der osmanischen Kriegserfahrung werden ausführlich geschildert, es entsteht jedoch kein Gesamtbild. Dem Leser wird nicht sofort klar, weshalb der chronologische Aufbau der Teile eins, drei und vier durch den zweiten Teil unterbrochen wird, der eher einen thematischen Schwerpunkt als einen zeitlichen Abschnitt darstellt. Auch einige Schwerpunkte der Monografie sind nicht immer einleuchtend beziehungsweise werden nicht deutlich genug erklärt. Warum wird die deutsche Islampropaganda so ausführlich behandelt, obwohl sie ihre Ziele nicht erfüllte, während die internen ethnisch-religiösen Spannungen des Osmanischen Reiches kaum erwähnt werden? Die Konflikte mit den arabischen, griechischen, kurdischen und armenischen Bevölkerungsgruppen waren zwar keine Produkte des Krieges, sie bekamen jedoch in seinem Verlauf eine besondere Dynamik. Während die "armenische Frage" bereits im Frühjahr des zweiten Kriegsjahres eskalierte, spielten arabisch-nationalistische Tendenzen spätestens ab dem Sommer 1916 eine Rolle.
Ein weiterer Kritikpunkt ist die spärliche Verwendung von Originaltexten. Lediglich im ersten Kapitel werden osmanische Archivquellen zitiert. Zwar erwähnt Odile Moreau in ihrer Einleitung, dass osmanische Primärtexte schwer zugänglich seien, doch die deutschen Quellen zur Islampropaganda im Ersten Weltkrieg - einer der Schwerpunkte des Buches - befinden sich im Politischen Archiv des Auswärtigen Amtes in Berlin. Der sporadische Rückgriff auf Archivquellen mag für ein Einführungswerk akzeptabel sein, vor dem Hintergrund der soliden Sprachkenntnisse von Odile Moreau wären intensivere Archivrecherchen jedoch eine Bereicherung gewesen, besonders für das Fachpublikum. Der Monografie hätte ein Lektorat mit grundlegenden Deutsch- oder Arabischkenntnissen zudem gutgetan; die Schreibweisen deutscher und arabischer Namen sowie Begriffe sind zum Teil fehlerhaft beziehungsweise uneinheitlich.
Dennoch hält die Studie von Odile Moreau trotz aller Kritik das, was sie verspricht: Sie ist die erste umfassende französischsprachige Einführung in die Geschichte des Osmanischen Reiches seit der Publikation von Larcher im Jahr 1926. [2] Auch, wenn sie bezüglich der Bewertung osmanischer Kriegserfahrung nichts grundlegend Neues liefert und eher eine Ergänzung zu bereits existierenden Überblickswerken darstellt, ist die Arbeit auch für ein deutschsprachiges Publikum durchaus lesenswert. [3] Zum einen, weil die deutsch-osmanischen Beziehungen besonders hervorgehoben werden. Zum anderen, da verschiedene Teilaspekte, wie die deutsche Islampropaganda und die osmanische Geheimorganisation Teşkilat-ı Mahsusa, auch in der internationalen Forschung bisher nur wenig Beachtung gefunden haben.
Anmerkungen:
[1] Philip H. Stoddard: The Ottoman Government and the Arabs, 1911-1918. A Preliminary Study of the Teşkilât-ı Mahsusa, Princeton 1963.
[2] Maurice Larcher: La guerre turque dans la guerre mondiale, Paris 1926.
[3] Wichtige Einführungen zur Geschichte des Osmanischen Reiches im Ersten Weltkrieg sind: Feroz Ahmad: From Empire to Republic. Essays on the Late Ottoman Empire and Modern Turkey, 2 Bde., Istanbul 2008; Mustafa Aksakal: The Ottoman Road to War in 1914. The Ottoman Empire and the First World War, Cambridge 2008; Stanford J. Shaw: Ottoman Empire in World War I. Prelude to War, Ankara 2006 und Ders.: Ottoman Empire in World War I. Triumph and Tragedy, November 1914-July 1916, Ankara 2008.
Samuel Krug