Céline van Hoorebeeck: Livres et lectures des fonctionnaires des ducs de Bourgogne (ca 1420-1520) (= Texte, Codex & Contexte; XVI), Turnhout: Brepols 2014, 660 S., ISBN 978-2-503-54441-0, EUR 99,00
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Die von Céline van Hoorebeeck vorgelegte Publikation präsentiert die Ergebnisse ihrer 2007 an den Facultés universitaires Notre-Dame de la Paix in Namur abgeschlossenen Dissertation, die für den Druck überarbeitet wurde (Stand von 2009). Die Autorin ordnet ihre Studie zwei historiografischen Strömungen zu: einerseits der soziopolitischen und Institutionengeschichte und andererseits der Geschichte kultureller Praktiken (histoire des pratiques culturelles) unter Einschluss der historischen Buchforschung (11). Der chronologische Rahmen (ca. 1420-1520) beginnt mit der Regierung Philipps des Guten (Herzog von Burgund 1419-1467). Er endet mit dem als entscheidende Zäsur beschriebenen Zeitpunkt, an dem sich gedruckte Bücher gegenüber Handschriften durchsetzten. Inhaltlich knüpft die Untersuchung an Arbeiten zur Bibliothek der Herzöge von Burgund und an die Edition von Listen der im Raum des heutigen Belgien vor 1500 verfassten Bücher an.
Angesichts der terminologischen Vielfalt, mit der Amtsträger der Herzöge in den zeitgenössischen Quellen und der späteren Forschung beschrieben wurden (wie officier, ministre, commis, serviteur, conseiller, agent, fonctionnaire), schlägt Céline van Hoorebeeck folgende Definition vor: "tout individu qui exerce de manière récurrente ou occasionnelle un office rétribué au service de l'État bourguignon" (12). Sie möchte auf diese Weise sehr unterschiedlichen Profilen und Situationen gerecht werden, da der Dienst für den Fürsten oft der einzige gemeinsame Nenner gewesen sei. Da bereits zahlreiche Studien zu den Bibliotheken des Hochadels vorliegen, wurde diese Gruppe hier nicht berücksichtigt. Amtsträger, deren Laufbahn sich ausschließlich oder hauptsächlich im Süden der burgundischen Territorien, in den pays de par-delà, abspielte, wurden ebenfalls nicht einbezogen.
Quellengrundlage der Studie sind die Bibliotheken von 103 herzoglichen Amtsträgern im Sinne der genannten Definition. Dazu gehören bekannte Persönlichkeiten wie die Kanzler Guillaume Hugonet und Nicolas Rolin, der Humanist Jérôme (Hieronymus) de Busleyden, der im Zusammenhang mit Isabella von Portugal immer wieder genannte Vasque de Lucène oder der an städtischen Unruhen beteiligte Willem (III.) Moreel aus Brügge - aber auch 'einfache', wenig markante officiers. In manchen Fällen sind Familien über Generationen hinweg oder mit mehreren Vertretern greifbar, wie die Rolin oder die de Baenst.
Der Text gliedert sich in drei große Abschnitte, die durch Anhänge mit Zusatzmaterial ergänzt werden. Der erste Teil beschäftigt sich mit der Vorstellung des Quellenkorpus und der angewandten Methodik. Der zweite kündigt eine Reise ins "Herz der Bibliotheken" an und wendet sich ihrer oft schwer zu bestimmenden Größe, der Zusammensetzung und dem sich wandelnden Verhältnis von Handschriften und Druckwerken zu. Der dritte und letzte Teil widmet sich den Beziehungen von "Büchern und Menschen" (Auftraggeber, Bestellungen, Buchhandel und dessen Akteure; Rolle von Büchern als Vermittler von Interaktionen und Ausdruck von Beziehungsnetzen, Bücher als Wertgegenstand, Kriegsbeute [bei der Zerstörung von Lüttich, 1468], Anlageobjekt, Sammlerstück, Familienerbe, Arbeitsinstrument; Lesertypen; Lektürepraktiken zu Studium, Wissenserwerb, Berufsausübung, religiöser Andacht, individueller oder kollektiver Unterhaltung, Zeitvertreib).
Die umfang- und detailreichen Anhänge nehmen etwa die Hälfte des Gesamtumfangs der Publikation ein. Es handelt sich dabei um folgende Zusätze:
- ein alphabetisch geordnetes biografisches Repertorium der behandelten Amtsträger mit stichwortartigen Informationen, Verweisen und Literaturangaben. Der Aufbau der einzelnen Einträge folgt einheitlichen Kriterien (Lebensdaten, Herkunft, Abstammung und Nachkommen, wichtigste Ämter, Gesandtschaften und Reisen, Varia, Sekundärliteratur);
- ein Repertorium von Quellen und Quellenauszügen zu einzelnen Personen. Darunter befinden sich unter anderem nach dem Tod des Amtsträgers erstellte Inventare (beispielsweise für Nicolas Clopper, Corneille Haveloes), Dokumente im Zusammenhang mit Testamenten und deren Vollstreckung oder Vormundschaftsangelegenheiten (beispielsweise für den Nachlass des Kanzlers Guillaume Hugonet), Verträge, Buchlisten, Kataloge;
- ein nach ihrem Aufbewahrungsort geordneter alphabetischer Katalog mit Beschreibungen von Büchern aus dem Besitz der jeweiligen Amtsträger (Anselme Adorne - Godevaert de Wilde). Die Einträge enthalten unter anderem Informationen zu: heutigem Aufbewahrungsort, Sprache, Schrift, kodikologischer Beschreibung, Vor- und Nachbesitzern, Kopisten, Miniaturen.
Hinzu kommen Literaturverzeichnis und Register von zitierten Personen, Handschriften und Inkunabeln.
Inhaltlich besonders interessant sind Hinweise zu "interterritorialen" Lebenswegen wie im Falle von Nicolas Clopper (der auch im mittelalterlichen Reich studiert hatte) und zu mehreren Juristen, die Fachliteratur und humanistische Schriften möglicherweise aus ihrer Studienzeit in Italien mitgebracht hatten. Wie stark sich solche unterschiedlichen Studienorte auswirkten (beispielsweise eine Ausbildung im Reich und in Italien im Unterschied zu einem ausschließlich in Frankreich absolvierten Studium) wäre untersuchenswert. Dies gilt auch im Hinblick auf eine Ausweitung des kurz angesprochenen Vergleichs mit französischen Amtsträgern und deren Bibliotheken.
Die Lückenhaftigkeit der überlieferten Quellen setzt den Erkenntnismöglichkeiten jedoch Grenzen. Oft ist nur ein mehr oder weniger großer Teilbestand einstiger Bibliotheken erhalten oder zumindest bekannt. Nur für fünfzehn der untersuchten Sammlungen sind mindestens zwanzig Bücher bekannt oder belegt (59), in einigen wenigen Fällen mehr als hundert oder sogar einige hundert Bücher. Eine echte quantitative Analyse konnte deshalb nur in neunzehn Fällen erfolgen, für die zwischen zwölf und 352 Bücher nachweisbar waren (73-74). Sehr vertiefenswert und diskussionswürdig ist die These, der literarische Burgundisierungsprozess (le processus de bourgondisation littéraire), der zu einer Stärkung spezifisch burgundischer Werte und der Legitimität und Konsolidierung der herzoglichen Herrschaft geführt habe, sei zwar beim Hochadel wirksam gewesen, habe aber bei den Amtsträgern nur wenig Erfolg verzeichnen können: "le processus de bourgondisation littéraire paraît n'avoir touché que quelques fonctionnaires qui, dans le cadre de leur office ou de par leur état, évoluaient dans l'entourage immédiat du prince" (326). Unter diesem Aspekt wäre für die Zukunft eine vergleichende Einbeziehung der Amtsträger der pays de par-délà und eine Differenzierung nach geografischer Herkunft / Muttersprache interessant.
Insgesamt gesehen bietet das Buch an Burgund, historischer Buchforschung und Kodikologie interessierten Lesern eine sehr reiche Fülle wichtiger Informationen. Wegen der äußerst umfangreichen, sehr nützlichen Anhänge eignet es sich bestens als Nachschlagewerk. Darüber hinaus enthält es weiterführende Einstiegsmöglichkeiten für die Beschäftigung mit der Rezeption humanistischer Werke und juristischer oder medizinischer Fachliteratur, zur Chronologie der Durchsetzung des Buchdrucks, zu Stundenbüchern, religiösen Traktaten und zur Verbreitung mittelalterlich-frühneuzeitlicher "Bestseller".
Gisela Naegle