Elma Brenner: Leprosy and charity in medieval Rouen (= Royal Historical Society Studies in History New Series), Woodbridge / Rochester, NY: Boydell & Brewer 2015, XII + 203 S., 10 s/w-Abb., ISBN 978-0-86193-339-6, GBP 50,00
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Auf intensiver Quellenrecherche basierend, beleuchtet Elma Brenner den Umgang mit Leprakranken in der Stadt Rouen in normannischer und französischer Zeit. Schon in der Einleitung stellt sie ihre Studie dabei in den Kontext der bisherigen Forschungen ein; so gibt es im normannischen Umfeld Vorarbeiten für die Leprosorien von Pont-Audemer, Évreux und Aizier (5). Mit dem 1204 von den Normannen an den König von Frankreich gefallenen Rouen steht nun aber eine der wichtigsten Städte in diesem Raum im Zentrum der Betrachtung.
Im ersten Kapitel zeigt Brenner, wie das wichtigste Leprosorium von Rouen, Mont-aux-Malades, durch die reichen Stiftungen der normannisch-englischen Königsfamilie aus weitgehend unbekannten Ursprüngen (vielleicht als Zusammenschluss verschiedener Leprakranker) seit der Mitte des 12. Jahrhunderts einen Prozess der Institutionalisierung und Erweiterung von Stiftungseinnahmen durchlief. Insbesondere König Heinrich II. spielte hier eine zentrale Rolle; unter ihm wurde das ursprünglich dem Heiligen Jakob geweihte Leprosorium 1174 erweitert und unter dem Patronat des soeben heilig gesprochenen Thomas Becket, der persönliche Kontakte zu Mont-aux-Malades unterhalten hatte, neu gegründet. Der anglo-normannische Adel folgte dem Vorbild des Hofes und trug zu den Stiftungen des Leprosoriums in Rouen bei.
Aufgrund der Nähe zum normannischen Hof und der besonderen Stellung von Rouen im Herzogtum Normandie interpretiert Brenner im zweiten Kapitel die Übernahme der Stadt durch den französischen König 1204 als wichtigen Bruch. Während die königliche Patronage nunmehr zurückging, war es das bereits im 12. Jahrhundert erstarkte Bürgertum, das nunmehr nicht nur politisch die Fäden in der Stadt stärker in die Hand nahm, sondern auch in der wohltätigen Stiftungstätigkeit deutlicher aktiv wurde. Seit dem 13. Jahrhundert lässt sich die innere Organisation von Mont-aux-Malades greifen. Es gab hier fünf, strikt getrennte Gemeinschaften: Eine Gruppe von Augustiner-Chorherren unter einem leitenden Prior; männliche und weibliche Laien, die für die Kranken sorgten und von denen im 13. Jahrhundert durchschnittlich ein Laie auf zwei Kranke kam; sowie männliche und weibliche Leprakranke, unter denen auch viele Kleriker und Mitglieder einflussreicher Familien gewesen zu sein scheinen. Mit insgesamt 60-70 Bewohnern handelte es sich um eine vergleichsweise große Gemeinschaft. Während des 14. Jahrhunderts scheint sich Mont-aux-Malades dann auch für umherziehende Leprakranke geöffnet zu haben.
Im dritten Kapitel lenkt Brenner ihren Blick auf die anderen Leprosorien der Stadt Rouen. Unter diesen ist insbesondere Salle-aux-Puelles zu nennen, das - vielleicht unter Rückgriff auf englische Vorbilder - nur weiblichen Leprakranken offen stand. Auch dieses Haus profitierte von der Förderung durch die normannische Königsfamilie im 12. Jahrhundert und nahm insbesondere adelige Frauen auf. Auch hier lässt sich die innere Verfassung für die Mitte des 13. Jahrhunderts genauer beschreiben; wesentlich kleiner als Mont-aux-Malades, wurde die weitgehend weibliche Gemeinschaft von einem männlichen Prior geleitet. Beschwerden aus dieser Zeit zeigen zudem, dass es engen Kontakt zwischen der Außenwelt und den Schwestern der Gemeinschaft gab. 1355 übergab König Karl V. von Frankreich das Leprosorium an Rouens Hospital für arme Kranke, La Madeleine, so dass dieses - von den Krisen der Pest und des Hundertjährigen Krieges geschüttelt - von den reichen Besitzungen Salle-aux-Puelles profitieren konnte. Neben den bedeutenden Institutionen wie Salle-aux-Puelles und Mont-aux-Malades gab es noch zahlreiche kleinere Leprosorien, die sich in den Quellen jedoch schlechter greifen lassen und die oftmals auch weniger Kontinuität aufwiesen. Auch ihnen geht Brenner nach und verweist auf die entsprechend der sozialen Schichtung der Kranken sehr unterschiedlichen Bedingungen der Leprosorien der spätmittelalterlichen Stadt.
Kapitel IV beleuchtet das medizinische Umfeld in Rouen. Universitär meist in Paris ausgebildete Mediziner lassen sich seit dem 13. Jahrhundert im städtischen Umfeld greifen; Brenner diskutiert auf der Quellenbasis die Frage, inwiefern diese Ärzte auch in den Leprosorien aktiv gewesen sind. Aderlass, Hygiene und Diät gingen offenbar nur teilweise auf medizinische Notwendigkeiten ein, waren sie doch oft an Stand und monastischem Vorbild orientiert. Ein bemerkenswerter Fall liegt mit Theobald von Amiens vor, der 1222 zum Erzbischof von Rouen gewählt worden war. Ein Gerücht, der Gewählte sei leprös, wurde durch eine päpstlich angeordnete Untersuchung zerstreut, die Ärzte involvierte - es könnte sich also um den ersten belegten Fall eines "iudicium leprosorum" handeln, da solche professionalisierten "iudicia" sonst erst in der Mitte des 13. Jahrhunderts für Italien greifbar werden (86).
Das abschließende Kapitel fragt nach der religiösen Kultur im Umfeld der Leprosorien und weist dabei auf deren Kirchenbauten, Ausstattung und Memorialleistungen hin, die Einblicke in einen wesentlichen Bestandteil des Alltags in diesen Institutionen der physischen wie seelischen Krankenpflege erlauben. Die Studie von Elma Brenner argumentiert klar und ist nachvollziehbar aufgebaut. Damit liegt eine umfassende historische Arbeit zu den Leprosorien von Rouen vor, in der das Phänomen der Lepra und der Versorgung der Erkrankten vor allem entlang der ökonomischen, politischen und sozialen Verhältnisse in der Stadt kontextualisiert wird. Am wenigsten kommt dabei ein medizinhistorischer Zugang zum Tragen. So diskutiert die Autorin bei einem Blick auf die Krankheit nur die Frage, ob sich der Erreger im Laufe der Zeit bis zu seiner Identifizierung in der modernen Medizin verändert haben könnte (3), reißt aber nicht das Problem der historischen Befundung an; gab es vielleicht andere Krankheitsbilder, die sich aus mittelalterlicher Sicht mit der Lepra überschnitten? Man denkt hier etwa an die ausgezeichnete Studie von Alessandra Foscati zum Antoniusfeuer [1] oder von Gregor Rohmann zur Tanzwut [2]. Eher beiläufig werden Vorstellungen von der Krankheit und ihrer möglichen Besserung angerissen, etwa wenn auf die erhöhte Lage von Mont-Aux-Malades (21) oder kurz auf die Rolle sexueller Aktivität als Krankheitsgrund in mittelalterlichen Vorstellungen von der Lepra hingewiesen wird (61f.), die doch eine Erklärung für die strikte Trennung der Geschlechter in Mont-aux-Malades sein könnte (48f.). Wenn die Zahl der Pestopfer für Rouen im Jahr 1348 der "Normanniae nova chronica" folgend mit 100.000 Menschen beziffert wird (16), so wird man sich zumindest einen kurzen, quellenkritischen Einwand wünschen (wie viele Einwohner mag Rouen im 14. Jahrhundert gehabt haben?). Diese Anmerkungen schmälern den Wert der Ausführungen dieses Buches nicht. Für den Leser ist es jedoch wichtig zu wissen, dass das Buch eben mehr den Umgang mit der Krankheit als die Erkrankung selbst in den Blick nimmt.
Anmerkungen:
[1] Alessandra Foscati: Ignis sacer. Una storia culturale del 'fuoco sacro' dall'antichità al Settecento (Micrologus' Library; 51), Florenz 2013.
[2] Gregor Rohmann: Tanzwut. Kosmos, Kirche und Mensch in der Bedeutungsgeschichte eines mittelalterlichen Krankheitskonzepts, Göttingen 2012.
Romedio Schmitz-Esser