Charlotte Rock: Herrscherwechsel im spätmittelalterlichen Skandinavien. Handlungsmuster und Legitimationsstrategien (= Mittelalter-Forschungen; Bd. 50), Ostfildern: Thorbecke 2016, X + 506 S., ISBN 978-3-7995-4369-9, EUR 64,00
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Charlotte Rock hat eine Arbeit zu den Herrscherwechseln in Skandinavien zwischen 1319 und 1523 vorgelegt, die angesichts der zahlreichen und oft zeitlich eng aufeinanderfolgenden Herrscherwechsel im Untersuchungszeitraum zugleich eine Studie zur politischen Kultur Skandinaviens in dieser Zeit allgemein ist. Damit ergänzt sie die bisher nur geringe Beschäftigung mit dem skandinavischen Spätmittelalter in der deutschen Forschung. Zugleich kann sie damit eine Forderung Harald Gustafssons nach supranationaler Herangehensweise erfüllen, der bereits 2006 feststellte, dass Forschungen zur Kalmarer Union in den drei skandinavischen Königreichen immer noch stark durch die Nationalgeschichtsschreibung geprägt seien. [1] Die intensivere Diskussion Schwedens, insbesondere im Vergleich zu der recht geringen Diskussion der norwegischen Herrscherwechsel, ist in der vorliegenden Studie dadurch begründet, dass in Schweden signifikant mehr Herrscher ihren Thron vorzeitig verloren und es dadurch zu mehr Herrscherwechseln kam. Die Nutzung des Begriffs "Herrscherwechsel" ist angesichts der vielfältigen Formen von Herrschaft in dieser Zeit (Königsherrschaft, Regentschaft, Gegenkönige, Mit-Könige, Reichsvorsteher, Interregna) nur angemessen und regt zu weiteren Diskussionen in der Erforschung von Königtum und Herrschaft an.
Die in Heidelberg bei Bernd Schneidmüller entstandene Dissertation konzentriert sich auf die Zeit der nordischen Unionen. Dabei rücken zunächst die schwedisch-norwegische Union seit 1319 unter Magnus Eriksson und die dänisch-norwegische Union unter Olaf (Sohn der weitaus bekannteren Margarethe, die als Regentin die Herrschaft für ihren minderjährigen Sohn ausübte) seit 1380 in den Mittelpunkt der Studie. Schließlich widmet sich die Arbeit der Kalmarer Union, die de facto seit 1389 alle drei skandinavischen Königreiche verband, auch wenn die namensgebenden Versammlungen in Kalmar erst 1397 stattfanden. Wie ein kurzer Blick auf den Anhang mit den Regierungszeiten der skandinavischen Könige bereits zeigt, wurden diese nordischen Unionen immer wieder von Herrschaftswechseln, konkurrierenden Herrschaften und Mehrfachherrschaften unterbrochen oder zumindest in Frage gestellt. Damit bietet insbesondere dieser Zeitraum die Möglichkeit zu intensiven Einblicken in die skandinavischen Herrschaftsverhältnisse und ihre Faktoren. Die intensiven Auseinandersetzungen um die drei skandinavischen Throne bieten dabei Charlotte Rock den Zugriff auf diese Verhältnisse, da auch hier gilt: "Streit schafft Text" (262).
Die Autorin konzentriert sich in ihrer Darstellung, die im Übrigen den Großteil der Untersuchung einnimmt, auf die Handlungsmuster und Legitimationen der eigentlichen Herrscherwechsel. Dabei steht die Frage nach dem Verfahren, nach den "politischen Spielregeln" (15), explizit im Vordergrund, während der historische Kontext (insbesondere wirtschaftliche und außenpolitische Zusammenhänge) und Motivationen der Akteure in den Hintergrund treten. Für die Rezensentin hat daher die Untersuchung der verschiedenen Herrscherwechsel teils einen blutleeren Eindruck hinterlassen. Wichtige Akteure jenseits der eigentlichen Herrscher werden z.B. zwar mit Namen, teils auch ihrer Funktion und ihren Texten genannt, aber ihre Motivationen und Interessen oder Zugehörigkeit(en) zu Adelsfamilien bleiben verborgen. Insbesondere angesichts der dänischen und schwedischen Verhältnisse des Spätmittelalters, die stark von der Konkurrenz unterschiedlicher Adelsfamilien geprägt waren, fehlt dieser Aspekt der untersuchten politischen Kultur. Sowohl die konsequente Nennung der Familienzugehörigkeit als auch ein Glossar oder Genealogien im Anhang hätten hier schnell für Abhilfe sorgen können.
Die Ergebnisse der Untersuchung zu skandinavischen Herrscherwechseln werden in einer kurzen Zusammenfassung der Elemente, die bei Herrschererhebungen bzw. Herrscherentmachtungen eine Rolle spielten, präsentiert: Königswahlen, Handfesten, Huldigungen, Königsumritte und Krönungen. Als weitere Ergebniszusammenfassung werden die Medien und Legitimationsargumente hervorgehoben, die die untersuchten Herrscherwechsel unweigerlich begleiteten. Und schließlich betont Charlotte Rock, dass die "mangelnde Integrationskraft" (426) der entmachteten Herrscher als wichtigster Grund für ebendiese Entmachtungen anzusehen sei. Damit kann sie die Bedeutung konsensualer Herrschaft auch für das spätmittelalterliche Skandinavien zeigen.
Die Darstellung der Herrscherwechsel wird von Charlotte Rock kenntnisreich in den jeweiligen skandinavischen, deutschen sowie - nachgeordnet - französischen und englischen Forschungsstand eingebettet. Etwas außen vor bleiben (auf Englisch durchaus vorhandene) Forschungen zum östlichen Ostseeraum, insbesondere zu Polen-Litauen und Russland, die den Einfluss dieser Regionen auf die skandinavischen Herrscherwechsel weiter erhellen könnten. [2] Die kritischen und ausführlichen Quellendiskussionen sind positiv hervorzuheben und erleichtern Anschlussforschungen ungemein. Bei den ausführlichen Gegenüberstellungen der Forschungsmeinungen in den zahlreichen kleinen und größeren Kontroversen blieb die Rezensentin jedoch leider manchmal etwas ratlos zurück, was denn nun Charlotte Rocks Meinung ist und inwiefern diese Kontroversen zur Argumentation des Bandes beitragen.
Obwohl die Arbeit klar in der historischen Mediävistik angesiedelt ist, sind die Einflüsse der skandinavischen Sprach- und Literaturwissenschaft deutlich zu sehen. Auf der einen Seite ist damit die kenntnisreiche und kritische Interpretation nicht nur von Chroniken, Gesetzestexten oder Proklamationen, sondern auch von Gedichten, Liedern und anderen in der historischen Forschung oftmals nur nachgeordnet betrachteten Quellengattungen gewährleistet. Auf der anderen Seite hätten deutsche Übersetzungen der zitierten alt- und mittelnordischen Quellen die Anschlussfähigkeit an allgemeine Forschungen zum mittelalterlichen Königtum und zu Fragen der Herrschaft deutlich erhöht.
Insgesamt bietet die Studie von Charlotte Rock einen quellengesättigten, umfassend in der Forschung situierten, tiefen Einblick in die zahlreichen Herrscherwechsel im spätmittelalterlichen Skandinavien aus innenpolitischer, ritueller, verfassungsrechtlicher und kultureller Sicht. Die Autorin kann damit eine Forschungslücke in der Bewertung der nordischen Union schließen, die erstens der deutschen Forschung diese umstrittene Zeit näherbringt, und zweitens sich von der nationalgeschichtlichen Perspektive der drei skandinavischen Königreiche löst, die noch immer die Erforschung dieser Unionen dominiert.
Anmerkungen:
[1] Harald Gustafsson: A State that Failed? On the Union of Kalmar, Especially its Dissolution, in: Scandinavian Journal of History 31 (2006), 205-220, hier 206.
[2] So betonen bereits die Forschungen von J.L.I. Fennell: Ivan the Great of Moscow. London, New York 1961 die russischen Einflüsse in den dänisch-schwedischen Auseinandersetzungen um die Herrschaft der Oldenburger in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts.
Cathleen Sarti