Marcel Böhles: Im Gleichschritt für die Republik. Das Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold in Baden und Württemberg, 1924 bis 1933 (= Veröffentlichungen des Instituts für soziale Bewegungen. Schriftenreihe A: Darstellungen; Bd. 62), Essen: Klartext 2016, 339 S., 6 s/w-Abb., ISBN 978-3-8375-1485-8, EUR 34,95
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Martin Sabrow: Erich Honecker. Das Leben davor. 1912-1945, München: C.H.Beck 2016
Nadine Rossol / Benjamin Ziemann (Hgg.): Aufbruch und Abgründe. Das Handbuch der Weimarer Republik, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2021
Jörn Retterath: "Was ist das Volk?". Volks- und Gemeinschaftskonzepte der politischen Mitte in Deutschland 1917-1924, Berlin / Boston: De Gruyter Oldenbourg 2016
Benjamin Schulte: Veteranen des Ersten Weltkrieges. Der Kyffhäuserbund von 1918 bis 1933, Bielefeld: transcript 2020
Heiko Bollmeyer: Der steinige Weg zur Demokratie. Die Weimarer Nationalversammlung zwischen Kaiserreich und Republik, Frankfurt/M.: Campus 2007
Markus Würz: Kampfzeit unter französischen Bajonetten. Die NSDAP in Rheinhessen in der Weimarer Republik, Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2012
Kathrin Groh: Demokratische Staatsrechtslehrer in der Weimarer Republik. Von der konstitutionellen Staatslehre zur Theorie des modernen demokratischen Verfassungsstaats, Tübingen: Mohr Siebeck 2010
Das Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold galt lange Zeit als die "am gründlichsten vergessene Millionenorganisation der Weimarer Republik". [1] Diesem beklagenswerten Zustand versucht Marcel Böhles mit seiner 2014/2015 an der Universität Heidelberg eingereichten Dissertation entgegenzuwirken. Die vergleichende Regionalstudie beschäftigt sich mit der Geschichte des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold am Beispiel der Gaue Baden und Württemberg (letzterer umfasste auch die preußische Exklave Hohenzollern), richtet ihren Blick aber auch immer wieder auf die Reichsebene und verortet die Entwicklung des Verbands in der Geschichte der Weimarer Republik und ihrer Wehrverbände.
Insbesondere interessieren den Autor vier Aspekte: das Verhältnis zwischen dem Reichsbanner und seinen Trägerparteien (SPD, DDP, Zentrum), der Kampf der Organisation um erinnerungs- und symbolpolitische Deutungshoheit, die Diskrepanz zwischen staatstragend-pathetischem Anspruch und biederer Vereinswirklichkeit im Innenleben des Verbands sowie die Unsicherheit über die Stabilität des Weimarer Staates und die Zweifel an einer konsequenten Haltung seiner Institutionen gegenüber den Republikfeinden von rechts, die letztlich zur Gründung des Bundes führten.
Ein Grund dafür, dass das Reichsbanner lange Zeit von der Forschung stiefmütterlich behandelt wurde, ist in der schwierigen Quellenlage zu suchen: Viele Dokumente wurden 1933 vernichtet, um sie vor dem Zugriff der Nationalsozialisten zu schützen. Immerhin kann Böhles in seiner Studie auf die während der NS-Zeit versteckten Bestände der badischen Ortsgruppen Ladenburg und Schiltach zurückgreifen. Außerdem konnte der Autor neben diversen Nachlässen weitere staatliche und kommunale Überlieferungen zum Reichsbanner ausfindig machen. Eine wichtige Quelle bildet zudem die verbandseigene Zeitung mit ihren Gaubeilagen.
Nach einem knappen Abriss zur politischen Geschichte Badens und Württembergs in der Weimarer Republik widmet sich Böhles ausführlich der Organisationsgeschichte des Reichsbanners. Die 1924 gegründete Vereinigung wuchs rasch - realistische Schätzungen gehen von reichsweit knapp einer Million Mitgliedern zur Hochzeit aus. Diese waren in Gauen, Bezirken, Kreisen und Ortsgruppen organisiert. Als Sitz des Gaus Baden diente die SPD-Hochburg Mannheim, in Württemberg Stuttgart. Ortsgruppen konstituierten sich vor allem in den Städten und Großstädten. Während im zumeist von einer Weimarer Koalition regierten Baden ein ausgesprochen gutes Verhältnis zwischen Reichsbanner und Staatsregierung bestand, wurde die Organisation in Württemberg, wo ein Mitte-Rechts-Bündnis herrschte, misstrauisch beäugt. Nach den Reichstagswahlen 1930 und angesichts zunehmender Saalschlachten gründete der Verband Formationen zum Schutz von Versammlungen und trat stärker paramilitärisch auf. Das war nicht zuletzt eine Reaktion auf die immer häufigeren Überfälle von SA-Männern auf Reichsbannerleute, die zwar im Südwesten keine Todesopfer, sehr wohl aber zahlreiche Verletzte forderten.
Bei seinen Aktivitäten war das Reichsbanner stets darauf bedacht, seinen überparteilichen Charakter zu wahren. Da der Kampf um die Republik auch mit geistigen Waffen geführt werden sollte, nahm die staatsbürgerliche Bildung einen hohen Stellenwert im Verband ein - ein Aspekt, auf den Böhles leider nur knapp eingeht. Das zur Einbindung von Jugendlichen gegründete "Jungbanner" setzte insbesondere auf den "gemeinschaftsstiftenden Charakter des Sports" (115) sowie auf Freizeitaktivitäten. Regelmäßig lud das Reichsbanner zu "Republikanischen Tagen" und Bannerweihen ein. Hierzu reisten häufig Formationen aus ganz Süddeutschland an. Besonderes Augenmerk wurde selbstverständlich auf die Beflaggung mit Schwarz-Rot-Gold gelegt - Farben, die auch im liberal geprägten Südwesten umstritten waren. Neben der Erinnerung an die "Märtyrer" der Weimarer Republik (Erzberger, Rathenau und im erweiterten Sinne auch Ebert) hatte im Südwesten das Gedenken an den 1914 gefallenen Mannheimer SPD-Reichstagsabgeordneten Ludwig Frank einen zentralen Stellenwert für das Reichsbanner. Außerdem wurde die Erinnerung an die Revolution von 1848/49 gepflegt. Mit diesen Akzentsetzungen versuchte der Verband, eine republikanische Memorialkultur zu etablieren. Im Kampf mit dem Nationalsozialismus ging die 1931 unter Beteiligung des Reichsbanners gegründete Eiserne Front schließlich neue symbolpolitische Wege: Der als Gastwissenschaftler in Heidelberg lehrende Sergej Tschachotin glaubte, mit dem Dreipfeil-Zeichen und einfachen Parolen geeignete Mittel gefunden zu haben, um Wechselwähler zu gewinnen und die republikanische Anhängerschaft zu mobilisieren. Den mangelnden Erfolg erklärte die badische Landesleitung im Oktober 1932 damit, dass der Kampf um die Hoheit der Symbole nicht von allen Ortsvereinen mit der nötigen Energie geführt worden sei (187).
Dominiert wurde das Reichsbanner von SPD-Mitgliedern (in den frühen 1930er Jahren mehr als 90 %; 190). Dennoch wurde darauf geachtet, dass den Vorständen der Ortsvereine auch DDP- und Zentrumspolitiker angehörten. Die meisten Gauvorsitzenden reichsweit stellte gleichwohl die SPD - der DDP-Mann Karl Alexander Helffenstein in Baden bildete insofern eine Ausnahme. Die erdrückende Übermacht der Sozialdemokraten und die Zurückhaltung der anderen Parteien erwiesen sich nichtsdestoweniger als Schwäche - der überparteiliche Anspruch des Reichsbanners geriet dadurch in Gefahr. Innerhalb des Zentrums gab es starke Vorbehalte gegenüber Wehrverbänden und eine zunehmend skeptische Haltung gegenüber der Republik. Vor allem ab 1927, als der Zentrumsmann Wilhelm Marx zusammen mit DVP und DNVP in einer Koalition regierte, kam es zwischen der Partei und dem republikanischen Bund zu einer Entfremdung. In Baden führte das schließlich zur Gründung einer eigenen paramilitärischen Schutztruppe, der "Badenwacht". Das Verhältnis zwischen Reichsbanner und DDP war zwar deutlich besser, dennoch traten kaum Linksliberale dem Verband als einfaches Mitglied bei.
Das Reichsbanner verstand sich auch als Veteranenbund. Anders als etwa im Kyffhäuserbund wurde weder das Kriegserlebnis verklärt, noch kam es zu einer übermäßigen Heldenverehrung; vielmehr arbeitet das Reichsbanner teilweise eng mit pazifistischen Vereinigungen zusammen und setzte sich für die Aussöhnung mit Frankreich ein. Das war durchaus paradox: Die Notwendigkeit des Republikschutzes gegen rechts führte dazu, dass antimilitaristische Politik durch eine militärähnliche Organisation und mittels paramilitärischer Formensprache vertreten werden musste. "Eine systematische Vorbereitung auf bürgerkriegsähnliche Szenarien" habe aber nicht stattgefunden, so Böhles (282). Infolge der "strikten Beibehaltung des Legalitätskurses" auch nach dem Verfassungsbruch des Preußenschlags 1932 sei "die Moral des Reichsbanners reichsweit auf Dauer gebrochen" (299) gewesen. Der nationalsozialistischen Machtübernahme und der Auflösung des Verbandes im März 1933 setzte das Reichsbanner nichts mehr entgegen - die meisten einfachen Mitglieder tauchten nun ins Private ab, viele Funktionäre flohen ins Ausland.
Frauen waren im Reichsbanner als Mitglieder nicht zugelassen; dadurch sei dem Verband "viel Unterstützungspotenzial verloren" gegangen, stellt der Autor zu Recht fest (292). Indem auf der einen Seite zwar die Errungenschaften der Republik für Frauen gewürdigt worden seien, auf der anderen Seite die Verteidigung der Staatsordnung aber den Männern vorbehalten blieb, habe sich das Reichsbanner in Widersprüche verstrickt (295). Insgesamt bewertet Böhles die Wirkmächtigkeit der Organisation in Baden und Württemberg während der Endphase der Weimarer Republik als gering: "Trotz aller Anstrengungen" sei sie dort "zu keinem ausschlaggebenden Faktor der politischen Auseinandersetzung" geworden (315).
In seiner flüssig geschriebenen Studie gelingt es Marcel Böhles, die Organisationsgeschichte und die Aktivitäten des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold im Südwesten anschaulich darzustellen. Mit der verbandsinternen Symbolpolitik und Erinnerungskultur nimmt der Autor die ideellen Grundlagen der Organisation ebenso in den Blick wie deren Verhältnis zu Kriegserlebnis und Gewalt. Einzig der fehlende Bildnachweis und die teilweise mangelhafte Papierreinheit trüben den positiven Gesamteindruck leicht. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass es dem Autor mit seiner Arbeit gelungen ist, ein wichtiges Schlaglicht auf eine lange Zeit von der Weimar-Forschung kaum beachtete Massenorganisation zu werfen.
Anmerkung:
[1] Beatrix Herlemann: Rede der Ausstellungsgestalterin, in: 75 Jahre Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold. Dokumentation zur Ausstellung "Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold" anlässlich des Gründungsjubiläums vom 24. Februar bis 16. April 1999 im Landtag von Sachsen-Anhalt. Magdeburg 1999, 26-31, hier: 27.
Jörn Retterath