Rezension über:

Marco Petoletti: Un poeta alla corte dei papi. Bonaiuto da Casentino e Bonifacio VIII, Roma: Viella 2016, 217 S., ISBN 978-88-6728-093-3, EUR 27,00
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Rezension von:
Ralf Lützelschwab
Friedrich-Meinecke-Institut, Freie Universität Berlin
Redaktionelle Betreuung:
Andreas Fischer
Empfohlene Zitierweise:
Ralf Lützelschwab: Rezension von: Marco Petoletti: Un poeta alla corte dei papi. Bonaiuto da Casentino e Bonifacio VIII, Roma: Viella 2016, in: sehepunkte 17 (2017), Nr. 7/8 [15.07.2017], URL: https://www.sehepunkte.de
/2017/07/30059.html


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Marco Petoletti: Un poeta alla corte dei papi

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Von Roland von Corneto über Heinrich von Würzburg, Thierry de Vaucouleurs, Alexander von Roes und Gregorio di Monte Sacro bis hin zu Bonifacio (da Verona) kreiste im 13. Jahrhundert eine Vielzahl von Dichtern um Päpste und Kardinäle, die wiederum die Gelegenheit beim Schopfe packten, durch "ihre" Poeten das eigene kulturelle Profil zu schärfen und aller Welt vor Augen zu führen, was päpstliche und kardinalizische Patronage zu leisten im Stande war. Ausnahmsweise griffen auch Kardinäle selbst zur Feder - keiner besser als Jacopo Stefaneschi (geboren c. 1260), der mit dem Opus metricum eine für die Geschichte Cölestins V. und Bonifaz' VIII. hochbedeutende Schrift in Versen vorlegte. Zu diesem Kreis gehörte auch Bonaiuto da Casentino, der seine unbestreitbaren dichterischen Fähigkeiten vor allem dazu nutzte, den Lobpreis Bonifaz' VIII. zu singen. Forscher bescheinigen ihm "un posto di rilievo tra i poeti legati alla curia vissuti alla fine del XIII secolo" (39).

Ein biographischer Abriss dieses "piccolo letterato, che consacrò la sua musa alla lode di Bonifacio VIII" (33) findet sich in einer knappen Einleitung, die Marco Petoletti seiner Edition des Diversiloquium Bonaiutos voranstellt. Geboren in Borgo alla Collina (nahe Poppi) um die Mitte des 13. Jahrhunderts, ist Bonaiuto spätestens ab 1291 in Rom nachweisbar. Wenig später ist er im Umfeld von Kardinal Matteo d'Acquasparta zu finden. Mit diesem einflussreichen Patron im Rücken gelingt der (vergleichsweise bescheidene) Aufstieg im Schoße der Kurie: Bonaiuto wird Schreiber und erhält Kanonikate in der Kirche von Le Mans und Aquileia. Schließlich steigt er 1301 zum Kollektor in den Kirchenprovinzen Mainz, Trier, Köln, Bremen, Magdeburg und Salzburg auf. Einer der letzten kurialen Quelleneinträge zeigt ihn als Kollektor und päpstlicher Nuntius im Gebiet Böhmens, Ungarns, Polens und Mährens. Er stirbt am 29. April 1312.

Es handelt sich hier nicht um die erste Untersuchung, die der Mittellateiner Petoletti, der an der Mailänder Cattolica lehrt und forscht, "seinem" Autor widmet [1] - allerdings haben sich nach 15 Jahren des Weiterforschens manche Gewichte verschoben, es galt bisher unbekanntes Quellenmaterial ebenso wie die Ergebnisse neu erschienener Forschungsliteratur einzuarbeiten. Die Fähigkeiten Bonaiutos auf literarischem Gebiet kommen wohl am Besten in seinem noch vor 1300 entstandenen Diversiloquium zum Tragen. Die Schrift ist unikal überliefert (Vat. lat. 2854) und enthält Gedichte, deren Abfassung in die Zeit zwischen 1292 und 1297 fällt. Der Codex selbst dürfte um 1297/1300 geschrieben worden und für die Bibliothek Bonifaz' VIII. bestimmt gewesen sein. Über die Umstände der Abfassung sind wir durch Marginalglossen des Schreibers G. de Romandiola informiert.

Ein erster Teil von 153 Hexametern entstand wohl in Rieti 1292, wohin sich Bonaiuto im Gefolge einiger Kardinäle wegen einer in Rom herrschenden Epidemie geflüchtet hatte. Er beschreibt das von der Sommerhitze geplagte Rom und den Ausbruch der Epidemie ebenso wie die gespannte politische Situation in der Ewigen Stadt nach dem Tod Nikolaus' IV. am 4. April 1292. Weitere Gedichte werden der Wahl, Weihe und Krönung Bonifaz' VIII. gewidmet.

Im aus 28 Hexametern bestehenden Doctrinale Carmen (VIII) geht Bonaiuto auf den Bau des von Bonifaz noch zu Lebzeiten in Auftrag gegebenen Grabmals in der neu eingerichteten Bonifaz-Kapelle (genannt nach Bonifaz IV., Papst von 608-615) in St. Peter ein. Er nimmt dies wenig überraschend zum Anlass, über die Vergänglichkeit des Lebens und der Welt nachzusinnen. Folgerichtig schließt sich ein aus 23 Hexametern bestehendes Epigraph (IX) auf den 1296 gestorbenen Bruder des Papstes, Roffredo II., an. Nach allem, was wir aus der Historiographie wissen, litt Bonifaz aber sehr viel stärker unter dem ebenfalls 1296 erfolgten Tod seines jungen Neffen Benedetto Caetani, des Kardinaldiakons von SS. Cosmae et Damiani (X, l. 3: O mors, cur mortua non es?). Ihm widmet Bonaiuto zwei, aus 20 bzw. 6 Hexametern bestehende Gedichte (X, XI).

Das Gedicht, das der Eroberung einer Burg der Colonna-Familie gewidmet ist (XIII), gerät besonders eindrücklich, legt ihm Bonaiuto doch sechs Verse zugrunde, die bei Einnahme der Burg auf einem Stein eingemeißelt gefunden worden waren. Diese Zeilen priesen die Colonna (XIII, l. 1: Plaude, Columpna, statum cum sis sortita beatum), wurden jetzt aber als Ausgangspunkt für einen Lobpreis Bonifaz' VIII. und seines Geschlechts und für eine Verhöhnung der unterlegenen Gegner genutzt. Nicht mehr der Imperativ Plaude sollte in den Augen Bonaiutos die Geschicke der Colonna kennzeichnen, sondern die Imperative Plange bzw. Passa. Wie subtil Demütigung qua Poesie funktionieren kann, wird hier eindrucksvoll unter Beweis gestellt.

Nicht alle Gedichte können freilich im historischen hic et nunc verortet werden. Eines der letzten Stücke der Sammlung (XIV) präsentiert sich als eine Art poetischer Fingerübung, deren metrische Komplexität und Eleganz von den herausragenden Fähigkeiten Bonaiutos zeugen - die Marginalglosse spricht von temptare aliquam novitatem (142). Das mit Abstand umfangreichste letzte Stück der Sammlung (XV) präsentiert sich als Verstraktat über die Sieben Tugenden und die korrespondierenden Laster, der nicht allein Bekanntes wiederholt, sondern durch Schwerpunktsetzungen von dem zeugt, was an der Kurie für wichtig gehalten wurde.

Mit klassischen Vorbildern ist Bonaiuto nicht nur in metrischer Hinsicht vertraut. Eine Vielzahl direkter Zitate aus Vergil, Ovid und Lukan zeugen von einer tiefgehenden Kenntnis antiker Literatur. Seine nicht immer ganz einfachen Hexameter werden durch eine Übersetzung erschlossen, für die Angelo Piacentini verantwortlich zeichnet. Er bemüht sich, die Endreime des lateinischen Originals auch in der italienischen Übersetzung beizubehalten, was sich zwar ausgesprochen angenehm liest, aber nicht in allen Fällen tatsächlich bei der wortwörtlichen Erschließung des Originals hilft.

Die Bibliographie verlangt in der Benutzung einigen Spürsinn. Aufgelöst werden die in den Fußnoten konsequent verwendeten Kurztitel, was allerdings dazu führt, dass man die Werke mittelalterlicher Autoren nicht immer unter deren eigenem Namen, sondern mitunter unter dem des Editors findet (also nicht Petrarca, sondern Rossi).

Jeder, der sich mit der Kultur am Papsthof des 13. und beginnenden 14. Jahrhundert beschäftigt, wird zukünftig mit Gewinn auf diese Edition zurückgreifen.


Anmerkung:

[1] Marco Petoletti: Il Diversiloquium di Bonaiuto da Casentino, poeta di curia ai tempi di Bonifacio VIII, in: Aevum 75 (2001) 381-448.

Ralf Lützelschwab