Urte Weeber: Republiken als Blaupause. Venedig, die Niederlande und die Eidgenossenschaft im Reformdiskurs der Frühaufklärung (= Ancien Régime. Aufklärung und Revolution; Bd. 42), Berlin / Boston: De Gruyter Oldenbourg 2016, X + 533 S., 6 s/w-Abb., ISBN 978-3-11-043788-1, EUR 69,95
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Die Monarchie war zwar die vorherrschende Staats- und Regierungsform in der Frühen Neuzeit, als solche aber auch für Zeitgenossen keineswegs alternativlos. Auf der europäischen Landkarte des 17. und 18. Jahrhunderts existierten mehrere von Rats- oder Volksversammlungen regierte Gemeinwesen, die als Republiken bezeichnet wurden. Suchte die von Hans Baron und John Pocock inspirierte Republikanismusforschung lange eher nach den ideengeschichtlichen Grundlagen moderner Bürger- und Partizipationskonzepte und ortete diese unter anderem im Kontext der Verfassungsexperimente in Florenz um 1500 oder in England um 1650, hat sich die neuere Forschung nun vermehrt mit der politischen Sprache und Kultur dieser langlebigeren Freistaaten auseinandergesetzt.
Neben einem beachtlichen semantischen Repertoire, aus dem auch die atlantischen Revolutionen des späten 18. Jahrhunderts schöpfen konnten, ist dabei viel Vormodernes freigelegt worden, etwa die gegenüber Monarchien nicht minder ausgeprägte Orientierung an ständischen Ordnungsvorstellungen. Herrschaft war in den frühneuzeitlichen Republiken als Prinzip keineswegs aufgehoben, sondern einfach auf mehrere privilegierte, männliche und oft auf Lebenszeit amtierende Häupter verteilt. Entsprechend fiel es den dortigen Eliten nicht besonders schwer, an einer allgemeinen europäischen Adels- und Hofkultur zu partizipieren und gerade damit der Integration ihrer Gemeinwesen in die europäische Mächteordnung Vorschub zu leisten.
Die auf einer Heidelberger Dissertation basierende Studie von Urte Weeber schließt an diesen Trend zur Historisierung des frühneuzeitlichen "Republikanismus" an und fragt danach, wie die politischen und ökonomischen Strukturen der drei prominentesten zeitgenössischen Republiken - Venedig, die Vereinigten Provinzen der Niederlande und das Corpus Helveticum - in gedruckten Staatsbeschreibungen und Reiseberichten, die Weeber einem frühaufklärerischen Reformdiskurs zuordnet, beobachtet und diskutiert wurden. Die Studie ist nach chronologischen Gesichtspunkten in vier Darstellungskapitel geordnet, deren Abschnitte sich jeweils einzelnen Orten, Autoren oder Themen widmen.
Im ersten Kapitel rekonstruiert die Autorin die Selbst- und Fremdbeschreibungen vor dem eigentlichen Untersuchungszeitraum, das heißt vor 1650. Das meiste wurde hier von der Forschung bereits gesagt, weshalb das Kapitel vielleicht auch hätte kürzer ausfallen können. Als handbuchartige Bündelung liest sich der Vogelflug über die Genese des "Mythos Venedig" sowie des Bildes der freien Schweizer Bauern und der tüchtigen holländischen Seefahrer aber dennoch mit Gewinn und liefert die Grundlagen für die anschließende Analyse eines diskursiven Umbruchs in der Mitte des 17. Jahrhunderts.
Dieser Umbruch hängt gemäß Weeber vor allem mit dem Aufkommen eines neuartigen Mediums, den an der Interessenlehre orientierten systematischen Staatsbeschreibungen zusammen. Die von ehemaligen Diplomaten, gelehrten Reisenden oder Universitätsprofessoren geschriebenen Abhandlungen wurden mit dem Ziel abgefasst, einem interessierten, oftmals dem Fürstendienst nahestehenden Publikum nützliches Wissen über andere Staaten, deren Erfolgsrezepte oder Schwächen mitzuteilen. Während der Mythos Venedig mit Amelot de la Houssayes Histoire du Gouvernement de Venise erstmals starke Risse bekam, wurde die Eidgenossenschaft nun erst so richtig zum Gegenstand eines länderübergreifenden politischen Diskurses.
Im Zeitraum von 1676 bis 1750, dem das ausführlichste Kapitel gewidmet ist, waren die Aussagen über die drei Republiken gemäß Weeber weitgehend stabil. Die Vereinigten Provinzen wurden als Modell für wirtschaftlichen Erfolg breit rezipiert, und insbesondere beim Abbé de Saint-Pierre avancierten die außenpolitisch vorsichtigen Republiken zu einem Vorbild für ein friedlicheres, konföderiertes Europa. Allerdings wurden auch die Schattenseiten polyarchischer Verfasstheit wie die Anfälligkeit für Faktionalismus, Wahlkorruption oder langatmige Entscheidungsprozeduren von den Beobachtern ausführlich diskutiert. Die Republiken waren zu einem würdigen Diskussionsgegenstand geworden; als generelles Vorbild galten sie aber deshalb noch lange nicht.
Ein Fragezeichen würde der Rezensent hinter den Titel von Kapitel IV, "Republiken als Auslaufmodell", setzen. Um 1750 ortet Weeber erneut eine Modifikation der Aussagen, macht diese diesmal aber nur an zwei Autoren des Höhenkamms - Montesquieu und Hume - fest, und selbst dort könnte man zu anderen Schlussfolgerungen gelangen: War Montesquieus république fédérative, diskutiert unter Bezugnahme auf die Niederlande und die Eidgenossenschaft (vgl. 424f.), nicht gerade der entscheidende Sprung hin zur Generalisierung der republikanischen Alternative, die bis dahin als kleinstaatliches Phänomen gegolten hatte? Eine Idee, die wenige Jahrzehnte später jenseits des Atlantiks zündete?
Allgemein lässt sich zur Methodik einwenden, dass die Beurteilung frühneuzeitlicher Republiken vielleicht noch etwas deutlicher hätte erfasst werden können, wenn sich die Analyse stärker auf die als konstitutiv geltenden Aspekte - die polyarchischen Regierungssysteme und die dazugehörigen Verfahren der Ämterwahl und der kollektiven Entscheidungsfindung - konzentriert hätte. Damit hätte sich mehr Raum für Differenzierungen ergeben, etwa die für die den Zeitgenossen wichtige Unterscheidung zwischen aristokratischen, demokratischen oder gemischten Republiken, aber auch für gezieltere Vergleiche mit den reformbedürftigen Monarchien, deren sich ebenfalls wandelnde Beurteilung in denselben Quellengattungen hier kaum thematisiert wird.
Dessen ungeachtet enthält die begrifflich reflektierte und auf breiter Quellenbasis fußende Studie viele wertvolle Beobachtungen und Denkanstöße, von denen die Republikenforschung ebenso profitieren kann wie die allgemeine Geschichte politischen Denkens. Der innovative Versuch, die bisher getrennt voneinander untersuchten Rezeptionen Venedigs, der Niederlande und der Eidgenossenschaft unter dem tertium comparationis ihrer polyarchischen Verfasstheit zu untersuchen, lädt zu weiteren vergleichenden Studien zu diesen vormodernen Gemeinwesen ein, die zwar kaum als direkte Vorgänger moderner Verfassungsstaaten gelten können, aber in einer von Fürsten dominierten Welt doch das Bewusstsein dafür wachhielten, dass politische Systeme grundsätzlich veränderbar sind.
Nadir Weber