Almut Goldhahn: Von der Kunst des sozialen Aufstiegs. Statusstragien und Kunstpatronage der venezianischen Papstfamilie Rezzonico (= 37), Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2017, 416 S., 8 Farb-, 91 s/w-Abb., ISBN 978-3-412-50352-9, EUR 80,00
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Als der Venezianer Carlo Rezzonico im Juli 1758 den Heiligen Stuhl bestieg, leuchtete der Himmel über dem Markusplatz im Schein bombastischer Feuerwerke und die Kirchenglocken der Lagunenstadt bejubelten den Triumph des frisch gewählten Stellvertreters Petri. Aus den von einem Reigen aus Festlichkeiten erhellten Fenstern des Familienpalastes regnete es drei Tage lang Brot und Geld auf das Volk hernieder, das von den Wassern des Canale Grande aus der neuen Papstfamilie seinen Respekt zollte. Dies sollte der Kulminationspunkt eines sich über Jahrzehnte hinweg entwickelnden Aufstiegsstrebens sein, dessen Stationen und Strategien Almut Goldhahn zum Thema ihrer Dissertation machte. Sie nimmt sich damit der Aufgabe an, das kunsthistorisch bislang nur lückenhaft erforschte Rezzonico-Pontifikat mit der sozio-politischen Karriere der Familie in der venezianischen Adelsrepublik zu kontextualisieren. Methodisch traditionell entwickelt die Autorin ihre Argumentation chronologisch. Jeweils sechs Kapitel sind dem Wirken der Familie in der praktisch impermeablen venezianischen Oligarchie und der dynamischen römischen Wahlmonarchie gewidmet, wodurch es gelingt, die Eigenschaften der politisch motivierten Kunstpatronage in den divergierenden Milieus so gegeneinander zu stellen, dass diese in ihren Spezifika greifbar werden.
Den Auftakt der Ausführungen bildet der wirtschaftliche Aufstieg der ursprünglich Genuesischen Kaufmannsfamilie. Nach einem für oligarchische Kreise typischen Schema lag der Kern des Erfolgs auch bei den Rezzonico zunächst im Handel. Reich geworden durch den Einstieg in das Quecksilbergeschäft, gehörten sie aber schon bald zum erlauchten Zirkel jener Familien, die als Kreditgeber des Kaisers höchstes Ansehen genossen. 1665 zu Liberi Baroni del Sacro Romao Impero ernannt, trug ihnen 1698 ein großzügiger Finanztransfer zur Unterstützung des Reiches gegen die osmanische Invasion das Privileg ein, die Krone mit dem kaiserlichen Adler im Wappen führen zu dürfen. Eben diesem finanziellen Druck angesichts der osmanischen Bedrohung verdankt die Familie die Möglichkeit, im Zuge der zweiten Aggregierungswelle der 1680er-Jahre in das goldene Buch und damit in das Patriziat der Serenissima aufgenommen zu werden.
Ihren sozialen Status versuchten die Rezzonico sogleich mittels einer geschickten Heiratspolitik zu untermauern, die ausgesprochenen Weitblick demonstriert. Mit der Hinwendung zum engen Kreis der venezianischen papalisti, positionierte sich die Familie nicht nur nachdrücklich im venezianischen Patriziat, sondern baute ihre Netzwerke weiter in Richtung Rom aus. Dem Themenkomplex der Familienallianzen widmet Goldhahn ein eigenes Kapitel (64-87), in dem sie eindrücklich das traditionell als machtpolitisch asymmetrisch geltende Gefüge von Alt- und Neuadel zurechtzurücken weiß. Ihre präzisen und überzeugenden Ausführungen präsentieren den Neuadel erstmals als eine neben finanziellem vor allem mit sozialem Kapital bestens ausgestattete Gruppe, deren Mitglieder sich dem Altadel durch politisch relevante Beziehungen zum habsburgischen Reich oder zur römischen Kurie empfehlen konnten.
Mit ähnlicher Entschlossenheit nahm sich die einstige Kaufmannsfamilie der Inszenierung ihres neuen Status an. Mangels eigener Immobilien konzentrierte sich das Familienoberhaupt Aurelio Rezzonico zunächst auf die Erweiterung seiner ererbten Gemäldesammlung. Typisch für neuadelige Kunstpatronage ist der Verzicht auf den Ankauf altmeisterlicher Stücke zugunsten zeitgenössischer Werke, was weniger als eine Frage von Geschmack als vielmehr von kaufmännischem Habitus zu verstehen ist. So überrascht es kaum, dass bis zum Kauf des frühneuzeitlich unabdingbaren Statussymbols, dem Familienpalast mehr als ein halbes Jahrhundert verstreichen sollte. Der Quellenlage ist es geschuldet, dass die Autorin dessen Bau- und Auftragsgeschichte, ebenso wie jener der früher ausgebauten Villa Rezzonico in Bassano del Grappa, wenig Neues hinzufügen konnte. Goldhahn verlegt sich daher darauf, die Implikationen von Situierung und Dekoration der beiden Architekturen zu beleuchten, wobei die Perspektive der Longue Durée durchaus neue Bedeutungsebenen zutage zu fördern half.
Auch der zweite, den römischen Jahren gewidmete, Teil der Studie wartet mit ausführlichen sozialhistorischen Kontextualisierungen der Kunstpatronage auf. Die um das Gravitationszentrum des päpstlichen Hofes herum entfalteten Etablierungsstrategien sind dem Merkmal der Venezianità verpflichtet. Dies vermag Goldhahn etwa anhand der frühen Projekten Clemens XIII., der mit Pomp begangenen Seligsprechung des venezianischen Patriziers Gregorio Barbarigo und der Ausstattung der Familienkapelle in der venezianischen Nationalkirche San Marco nachdrücklich aufzuzeigen (260-279). Die Autorin tut gut daran, die Großprojekte des Rezzonico-Pontifikats, die Fontana di Trevi und den Chor der Lateransbasilika zwar zu besprechen, sie aber nicht zum Gradmesser für die affirmativen Strategien der Aufsteiger werden zu lassen, sondern den Fokus auf das familiäre Mäzenat zu legen. Allerdings hätte die Forschungslage zu den Entwürfen Piranesis für den Lateran in den Fußnoten ausführlicher reflektiert werden können. So bleiben etwa die Texte, die Bent Sørensen Anfang der 2000er zu diesem Thema veröffentlicht hat, unerwähnt. [1]
So bleibt Raum für das Kernprojekt der römischen Kunstpatronage: Die Umgestaltung der Kirche Santa Maria del Priorato auf dem Aventin. Der dafür entscheidenden Wahl Giovanni Battista Rezzonicos zum Großprior der Malteser und den klerikalen wie politischen Implikationen dieses Amtes widmet Goldhahn den Auftakt des Kapitels "Das Malteserpriorat als Werbeträger", das den Kirchenkomplex im Spiegel der Familienpatronage in den Blick nimmt (280-312). Sorgfältig rekonstruiert sie die Semantik des Ortes zwischen römischer Antike, Frühchristentum und zeitgenössisch-spirituellem Bedeutungsrahmen, und bereitet so den Boden für die kunstsoziologische Ausdeutung der unter Piranesi erfolgten grundlegenden Umgestaltung des Kirchenbaus. Das von Zukunftsambition und Statuswissen durchdrungene ikonografische und heraldische Vokabular charakterisiert Goldhahn als in der Tradition des 17. Jahrhunderts verharrendes Programm. Als wahre künstlerische Neuerer zeigen sich die Rezzonico erst gegen Ende ihrer Erfolgsgeschichte, als die Neffen Clemens' XIII. den Auftrag für das Papstgrabmal in die Hände des jungen Venezianers Canova legten.
Die vorliegende Arbeit ist durch die Konstellation der kulturellen Milieus, in denen sich das mäzenatische Handeln der Aufsteigerfamilie Rezzonico vollzog und die Beherztheit, mit der sich die Autorin diesem unglaublich breiten Forschungsthema angenommen hat, ein großer Gewinn für die Forschung. Die sorgfältige Erarbeitung des sozialhistorischen Hintergrunds der Patronage eröffnet neue Perspektiven auf die Bedeutung des Neuadels für das venezianische Patriziat und das Fortleben des Nepotismus im 18. Jahrhundert. Etwas zu kurz kommt vielleicht die Frage der Reflexion der römischen Karriere im heimischen Venedig. Die Autorin touchiert das Thema mit Blick auf die Kunst nur beiläufig, etwa bei ihren Ausführungen zu dem von Anton Raphael Mengs gefertigten Porträt Clemens' XIII., das im venezianischen Palazzo seines Bruders, Aurelio Rezzonico, zur Ausstellung kommen sollte. Diese erweiterte Fragestellung mag einen fruchtbaren Anschlusspunkt für zukünftige Forschungen bieten, mit dem Ziel die Verzahnung der beiden Kulturmilieus noch präziser zu beleuchten.
Anmerkung:
[1] Vgl. etwa Bent Sørensen: An unpublished project by Piranesi for Clement XIII., in: The Burlington magazine 142 (2000), 497-501.
Bettina Morlang-Schardon