Hans Dickel: Natur in der zeitgenössischen Kunst. Konstellationen jenseits von Landschaft und Materialästhetik, München: Verlag Silke Schreiber 2016, 198 S., 77 Farb-, 10 s/w-Abb., ISBN 978-3-88960-158-2, EUR 32,00
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Hans Dickels neue Publikation führt die Verhandlung der Natur in der Kunst, die er bereits in seinen vorangegangenen Studien zur "Kunst als zweite Natur" [1] verfolgt hatte, weiter - dies aber unter veränderten Vorzeichen des Natur-Kultur-Verhältnisses. Ein neues Erdzeitalter, das Anthropozän, wurde 2001 vorgeschlagen. Etwa zeitgleich entwickelten sich Forschungsdiskurse, die die Relation von Natur und Kultur neu beschreiben. Allen voran sei der französische Soziologe Bruno Latour genannt, dessen Akteur-Netzwerk-Theorie wichtige Impulse anbot. Genauso vermag die Kunst die Beziehung des Menschen zu dem, was wir als 'Natur' bezeichnen mit ihren eigenen Mitteln zu reflektieren. Nicht nur die documenta 13 (2012) machte sichtbar, dass die Natur in der zeitgenössischen Kunst einen wichtigen Platz einnimmt.
Ausgehend von diesen Beobachtungen, stellt Dickel seine Ausführungen zu Konstellationen jenseits von Landschaft und Materialästhetik an.
So beginnt er sein Buch mit einer hilfreichen Einleitung über jene "naturphilosophischen Fragen" (6), die unlängst die Dichotomien Subjekt-Objekt und Natur-Kultur hinterfragen. Wurde Natur bis in Adornos "Ästhetische Theorie" hinein als das 'Andere' konstruiert, beschreiben neuere Ansätze gerade die untrennbare Relation von Natur und Kultur. Latours Ansatz, der auch von Dickel als wegweisend herausgestellt wird, stellt dies mit dem Hybridbegriff 'Nat/Cul' dar.
Ebenso eruiert Dickel einführend die Verbindung von Natur und Kunst aus kunsttheoretischer Perspektive. Auch hier wird deutlich: Die dialektisch aufeinander bezogenen Modelle der modernen Kunst, die Nachahmung und Vorahmung der Natur, sind nicht mehr haltbar.
Dies wirft die Frage auf, welche ästhetischen Formen eine veränderte Naturauffassung überhaupt wiederspiegeln können. Dickel beantwortet sie mittels der Bewertung des traditionellen Wahrnehmungsdispositivs Landschaft und der ästhetischen Kategorie des Erhabenen. Während diese weiterhin die Trennung von Natur und Kultur perpetuieren, steht der zeitgenössischen Kunst der Wahrnehmungsmodus des Atmosphärischen zur Verfügung. Dieser schafft es laut Dickel, den Subjekten eine "Kopräsenz mit Natur" (20) zu vermitteln und so alternative Wege der Naturerfahrung zu eröffnen. Entsprechend rückt Dickel ästhetische Formen der Gegenwartskunst in den Mittelpunkt, die sogenannte "offene Wahrnehmungsfelder" (5) darstellen, in die der Rezipient körperlich und sinnlich einbezogen wird. Vor dem Hintergrund des Anthropozäns bieten sich für eine Analyse laut Dickel nur jene "hybriden Konstellationen" (5) an, die durch ihre "konvulsivische" (5) Wirkung die Grenzen zwischen dem Komplex Natur-Technik-Kultur ästhetisch überwinden.
Die nachfolgenden künstlerischen Beispiele decken ein diverses Formenspektrum und eine Zeitspanne von mehr als 20 Jahren der Kunstgeschichte ab. Darunter analysiert Dickel unter anderem Werke von Olafur Eliasson, Diana Thater und Matthew Barney und diskutiert diese dahingehend, wie sie die Grenzziehung zwischen Natur-Technik-Kultur auflösen. Strukturiert wird diese Fülle an Arbeiten in Kapiteln, die an Gattungstraditionen orientiert sind: zunächst Installationen und Environments; es folgen Malerei, technische Bilder, zeitgenössische Fotografie sowie Skulptur.
Diese Unterteilung kann zu Verwirrungen führen, hatte Dickel doch anfangs deutlich gemacht, dass Installationen und Environments nicht nur die "gegenwärtig[en] maßgebliche[n] Kunstform[en]" (5) sind, sondern als räumliche Ensembles mit interaktiven Komponenten strukturell der Argumentation von Latours Natur/Kultur-Begriff entsprechen. So verwendet er den Begriff 'Environment' über weite Strecken als Hilfsbezeichnung für eine Qualität von künstlerischen Arbeiten, die bewusst gattungsübergreifend ist. Das Environment ist damit also (auch) als ein Dispositiv zu verstehen, dass andere, wie Landschaft und Materialästhetik ablöst, weil es mittels einer "immersiven Ästhetik" (27) die Trennung der natürlichen und der kulturellen Sphäre in der Ansprache aller Sinne überwindet.
Möglich scheint diese doppelte Begriffsverwendung, da das 'Environment' - auch in seiner Unterscheidung zur Installation - in der Kunstgeschichte durchweg wenig trennscharf verwendet wird und daher in gewisser Weise universell einsetzbar erscheint. [2]
Der schwierige Begriff des 'Environments' beinhaltet auch noch einen dritten Aspekt: In der buchstäblichen Übersetzung als 'Umwelt' verweist er nicht nur auf die räumliche, sondern - hinsichtlich einer 'Environmental Art' - auch auf die ökologische Beziehung des menschlichen Subjekts zu seiner natürlichen Umgebung. Unter diesem Gesichtspunkt, erkennt Dickel, trifft Natur und Kunst in einer ökologischen Naturästhetik zusammen, die in der Vergangenheit oft einen problematischen Begriff von Umwelt vertrat. Um-welt behielt immer die räumliche und ideologische Trennung von Natur und Mensch bei und propagierte das romantische Bild einer ursprünglichen, guten Natur, die dem sie missachtenden und ausbeutenden Menschen gegenüber steht. Erst wenn die Erde als unabdingbare Lebensgrundlage des Menschen angesehen wird, die ihrerseits aber indifferent gegenüber ihren Erdlingen bleibt, kann man die weitreichenden Dimensionen der Relation zwischen Natur und Kultur verstehen. Richard Buckminster Fuller hat hier das treffende Bild einer Erde als Raumschiff ohne Notausgang geprägt. [3]
Zum Ende hin widmet sich Dickel in einem eigenen Kapitel "Künstlerische[n] Ansätze[n] im Kontext der Ökologie-Debatte" (151). Vorgestellt werden darin Arbeiten, die alte Naturvorstellungen abstreifen. Sie verbinden künstlerische mit ökologischen Fragestellungen stattdessen so, dass politische Anknüpfungspunkte möglich werden, weil diese nicht einseitig ideologisch oder ästhetisch überblendet sind.
In diesem Teil des Buches ist besonders deutlich, dass die zeitgenössische Kunst in unterschiedlicher Intensität mit der Kunst der 1960er- und 1970er-Jahre verflochten ist. Mit Positionen wie Nancy Holt oder Helen und Newton Meyer Harrison zeigt Dickel, wo Voraussetzungen für die offenen Wahrnehmungsfelder der Gegenwartskunst liegen.
Abschließend widmet sich Dickel einer ausführlichen Besprechung des Projekts "The Sovereign Forest" (2012) des Documenta-Künstlers Amar Kanwar. Hier sieht er jene größt-nötige Öffnung auf die gesellschaftlichen Dimensionen von Natur verwirklicht, wie sie im künstlerischen, ökologischen Blick auf Natur angelegt sein kann. Als Beispiel eines Wahrnehmungsfeldes, auch im Sinne von Latours "Parlament der Dinge" [4], löst Kunst hier die Natur als politische, gesellschaftskonstituierende Kraft ein und ist damit nicht mehr, als "Objekt naturwissenschaftlicher, ökologischer oder ästhetischer Betrachtung aufzufassen" (17).
Trotz der begrifflichen und systematischen Unschärfen, die auch zeigen, dass die Kunstgeschichte Mühe hat mit den neusten ästhetischen Formen Schritt zu halten, legt Hans Dickel einen Beitrag vor, der die Hinwendung der zeitgenössischen Kunst zur Natur detailliert vorstellt und erstmalig eine Bandbreite von künstlerischen Arbeiten mit interdisziplinären, naturphilosophischen Diskursen in Verbindung bringt. In konzentrierten Analysen arbeitet er so anhand der künstlerischen Beispiele verständlich heraus, auf welchen Vorbedingungen zeitgenössische Kunst aufbaut und durch welche künstlerischen Strategien Natur-Kultur-Relationen in die Kunst Eingang finden.
Anmerkungen:
[1] Hans Dickel: Kunst als zweite Natur. Studien zum Kunstverständnis in der modernen Kunst, Berlin 2006.
[2] Grundlegende Ansätze finden sich in: Ausst.-Kat. Städtisches Museum Schloß Morsbroich: Räume und Environments, Köln / Opladen 1969.
[3] Paul J. Crutzen: Das Raumschiff Erde hat keinen Notausgang, Frankfurt am Main 2011.
[4] Bruno Latour: Das Parlament der Dinge. Für eine politische Ökologie, Frankfurt am Main 2001.
Romina Dümler