Boris Volodarsky: Stalin's Agent. The Life and Death of Alexander Orlov, Oxford: Oxford University Press 2015, XXXIII + 789 S., 25 s/w-Abb., ISBN 978-0-19-965658-5, GBP 30,00
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Eduard Puigventós López: Ramon Mercador, L'Home del Piolet. Biografia de l'Assassí de Trotski, Barcelona: Ara Llibres 2015, 620 S., ISBN 978-84-15642-87-9, EUR 32,00
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Stefan Lehr (Hg.): Unter Beobachtung. Vertriebenenverbände im Blick der sozialistischen Sicherheitsdienste, Berlin / Boston: De Gruyter Oldenbourg 2022
Bodo V. Hechelhammer: Spion ohne Grenzen. Heinz Felfe - Agent in sieben Geheimdiensten, München / Zürich: Piper Verlag 2019
Peter Hammerschmidt: Deckname Adler. Klaus Barbie und die westlichen Geheimdienste, Frankfurt a.M.: S. Fischer 2014
Jefferson Adams: Strategic Intelligence in the Cold War and Beyond, London / New York: Routledge 2015
Jean-Numa Ducange: La République ensanglantée. Berlin, Vienne : aux sources du nazisme, Paris: Armand Colin 2022
Andreas Jüngling: Alternative Außenpolitik. Der Freie Deutsche Gewerkschaftsbund der DDR und Franco-Spanien (1947 bis 1975), Berlin: Verlag Dreiviertelhaus 2017
Xosé M. Núñez Seixas: Die bewegte Nation. Der spanische Nationalgedanke 1808-2019. Aus dem Spanischen von Henrike Fesefeldt, Hamburg: Hamburger Edition 2019
Der am 17. Juli 1936 begonnene Offiziersputsch in Spanien wäre ohne die auf Bitten Francos umgehend erfolgte deutsche Unterstützung sehr schnell zusammengebrochen. Zwei Monate später kam dann Stalin im Gegenzug den Hilfsbegehren der Republik nach. Doch dieser Beistand war nicht umsonst, sondern wurde mit den spanischen Goldreserven bezahlt. Zudem hatte er auch einen politischen Preis. Eine revolutionäre Situation, wie sie die innenpolitische Lage der Republik in den ersten Monaten kennzeichnete, insbesondere in Katalonien angesichts der anarchistischen Hegemonie und der Präsenz einer (wenn auch deutlich kleineren) antistalinistischen Linkspartei, der POUM (Partido Obrero de Unificación Marxista, Arbeiterpartei der marxistischen Vereinigung), lag konträr zu der Zielsetzung des von Stalin angestrebten Bündnisses mit den Westmächten.
Von den verschiedenen Facetten der sowjetischen Intervention ist naturgemäß die militärische am bekanntesten. Eine umfangreiche Literatur hat sich damit beschäftigt, auch ohne Zugang zu den verschlossenen sowjetischen Archiven. Nach 1991 entstanden dann auch quellengesättigte Arbeiten. [1] In ähnlicher Weise gilt das für die politische Seite und sonstige Hilfeleistungen. [2] Ein besonderer und quellenmäßig schwierig zu belegender Aspekt war dagegen die Übertragung des stalinistischen Terrors, insbesondere gegen angebliche oder auch echte Trotzkisten. Dies betrifft weniger die öffentlichen Kampagnen oder die Einflussnahme auf Regierung und Staatsapparat. Das lässt sich gut dokumentieren und kann heute auch mit entsprechenden Quellenpublikationen belegt werden. [3] Naturgemäß schwieriger war das mit dem Vorgehen des sowjetischen Geheimdienstes. Der bekannteste, wenn auch keineswegs einzige Fall war die Verhaftung der POUM-Führung und die Ermordung ihres Sekretärs Andreu Nin, eine cause célèbre in der internationalen Linken, wie sie insbesondere durch George Orwells "Homage to Catalonia" weltweit bekannt wurde.
Schon sehr früh wurde der Name des sowjetischen Geheimdienstoffiziers Alexander Orlov (1895-1973) genannt. Doch genaueres wusste man nicht, auch nicht, was mit ihm nach seinem Aufenthalt in Spanien passiert war, bis er sich plötzlich 1953, kurz nach Stalins Tod, ausgerechnet in den USA zu erkennen gab, und einige Artikel und dann ein Buch, zwar nicht über Spanien, sondern über die stalinistischen Säuberungen und insbesondere die Hintergründe der Moskauer Schauprozesse, veröffentlichte. Er erklärte, er habe sich auf dem Höhepunkt des stalinistischen Terrors einem Rückruf in die Sowjetunion und der wahrscheinlichen Verhaftung durch die Flucht in die USA entzogen, wo er erst einmal untergetaucht sei (im Unterschied zu einigen anderen prominenten sowjetischen Aussteigern in jenen Jahren wie zum Beispiel Walter Kriwitzki). Erst jetzt lud ihn das FBI vor, auch ein Ausschuss des amerikanischen Kongresses befasste sich mit ihm in nicht-öffentlicher Sitzung. Immer gelang es ihm, den Eindruck eines Bruchs mit dem sowjetischen System zu verbreiten. Er habe nur im Regierungsauftrag gehandelt und zunächst die Übersendung des spanischen Goldes zur Bezahlung der Waffenlieferungen organisiert und sich dann vor allem um die Ausbildung von Guerilla-Kämpfern, die hinter den frankistischen Linien operieren sollten, gekümmert. Das wurde ihm so von den amerikanischen Behörden abgenommen. Er lebte weiterhin versteckt, erhielt einen Forschungsauftrag der CIA und stand, nach dem Versuch einer sowjetischen Kontaktaufnahme, bis zu seinem Tod 1973 unter FBI-Schutz. Seine Autobiographie wurde postum veröffentlicht, so wie eine ihn rechtfertigende Lebensbeschreibung durch den für ihn zuständigen FBI-Beamten. [4]
Doch das Ende der Sowjetunion brachte plötzlich ein ganz anderes Bild. Nach einer Reihe von Artikeln noch in der Gorbatschow-Ära erhielt das katalanische Fernsehen 1992 Zugang zu Materialien über den Ablauf der Ermordung Nins und die Rolle von Orlov. Zudem begann der neue russische Auslandsgeheimdienst, zahlreiche bisherige Geheimnisse aus seinen Archiven in harte Devisen umzumünzen. Geplante umfangreiche Dokumentenbände wurden dann zwar wieder gestrichen, wohl aber entstand eine Biographie über Orlov (deutsche Ausgabe: Oleg Zarew / John Costello: Der Superagent. Der Mann, der Stalin erpreßte, Rastatt 1992). Darin schälte sich nun ein ganz anderes Bild heraus. Orlov war zwar seinen mutmaßlichen Häschern entflohen, doch ohne wirklich mit der Sowjetunion zu brechen. Mit einem Brief nach Moskau drohte er an, dass im Falle seines plötzlichen Todes Informationen über die Arbeit des sowjetischen Geheimdienstes veröffentlicht würden. In der Tat hätte das unter anderem zur Enttarnung von Kim Philby, Guy Burgess oder Donald Maclean, um nur die später bekanntesten Fälle zu nennen, geführt. Vor allem aber war er tatsächlich mit der Verfolgung in Spanien befasst gewesen. Ausführlich wurde aus Dokumenten über die Ermordung Nins zitiert und auf eine Reihe weiterer "Aktionen" hingewiesen.
Doch blieben offensichtliche Lücken und Fehler, schließlich hatte der ex-sowjetische Geheimdienst die "Veröffentlichungshoheit". Nun liegt eine wissenschaftlichen Ansprüchen genügende Biographie Orlovs von Boris Volodarsky vor. Volodarsky war beim ehemaligen militärischen Geheimdienst der UdSSR tätig, ist also mit dem Milieu vertraut, ging aber in den neunziger Jahren in den Westen und promovierte 2010 bei Paul Preston an der London School of Economics mit einer Arbeit über die sowjetischen Geheimdienste im spanischen Bürgerkrieg. Zwar konnte er bis auf wenige Ausnahmen auch nur auf das Material, das in Moskau zugänglich gemacht worden war, zurückgreifen. Er ergänzte es aber durch westliches Material und schloss viele Lücken oder korrigierte falsche Darstellungen, indem er die inzwischen beträchtliche russische Publizistik zu den Geheimdiensten einem "close reading" unterzog. Damit kann er nun eine erstaunlich detaillierte Lebensbeschreibung vorlegen.
Geboren wurde Orlov als Lev Feldbin im heutigen Weißrussland; den Namen Alexander Orlov nahm er als Pseudonym für seinen Spanien-Einsatz an. Volodarsky schildert seine Karriereetappen ausführlich, beginnend mit dem russischen Bürgerkrieg und dann, nach einer kurzen Zeit als Jurist, seine Stationen im sowjetischen Geheimdienst mit Posten in Paris, Wien, Berlin und London. Diese Tätigkeiten wiesen ihn zwar als nicht besonders erfolgreich aus, aber er hatte Erfahrungen gewonnen, weshalb man ihn nach Bürgerkriegsbeginn nach Spanien schickte, zunächst in einer eher technischen Mission zur Beratung des Innenministeriums und der spanischen KP für den Aufbau von Sicherheitsapparaten, als mit einem politisch bedeutsamen Auftrag. Der Abtransport des spanischen Goldes, den er erfolgreich organisierte, ließ ihn dann für höhere Aufgaben qualifiziert erscheinen. Ende 1936 rückte die Auseinandersetzung mit der "trotzkistischen Gefahr" zeitgleich mit der Vorbereitung und Durchführung des zweiten Moskauer Schauprozesses gegen Karl Radek und andere in den Vordergrund. Das wurde nun seine Mission und führte zur Ermordung Nins, zu der Volodarsky weitere Einzelheiten, unter anderem die Namen der vermutlich Beteiligten, mitteilen kann [5], aber auch zu anderen, weniger bekannten Morden.
Ausführlich benennt der Autor die vielen Menschen, die Orlovs Weg in der Geheimdienstarbeit gekreuzt haben, und kann zum Teil unglaubliche Lebenswege im Dienste des sowjetischen Geheimdienstes beschreiben. Dabei korrigiert er bisherige Pauschalurteile, etwa was die sowjetische Kontrolle der spanischen Republik betrifft. Das ändert aber natürlich nichts an dem Gewicht des Einflusses der UdSSR, das insbesondere auf der fatalen Abhängigkeit von den sowjetischen Unterstützungslieferungen und Militärberatern basierte. Volodarsky gelingt jedenfalls eine sehr dichte Schilderung, soweit sich das angesichts eines nicht offenen Zugangs zum sowjetischen Geheimdienstarchiv bewerkstelligen ließ. Sein Buch ist nicht nur ein wichtiger Beitrag zu einem immer wieder intensiv diskutierten Teil des spanischen Bürgerkriegs, sondern auch allgemein zur Geschichte der sowjetischen Spionage bis zum Zweiten Weltkrieg und in manchen biographischen Skizzen darüber hinaus, selbst wenn er gelegentlich dazu neigt, alle politischen Aktivitäten unter dem Blickwinkel der Agententätigkeit zu sehen. Aber nicht umsonst diente Spanien unter Orlovs Beteiligung als Rekrutierungs- und Ausbildungsfeld für zahlreiche Agenten, deren Lebenswege u.a. bis in die Spitzen des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR führen sollten. Es bleibt zu hoffen, dass Volodarsky bald auch die angekündigte Veröffentlichung seiner Dissertation über die gesamte sowjetische Geheimdiensttätigkeit im spanischen Bürgerkrieg verwirklicht.
Der durch seine Tat vielleicht berühmteste Rekrut des sowjetischen Geheimdienstes in Spanien war der Trotzki-Mörder Ramón Mercader (1913-1978), auch wenn für seine Rekrutierung nicht Orlov, sondern dessen Mitarbeiter in Barcelona und Nachfolger Naum bzw. Leonid Eitingon (1899-1981) zuständig war. Mercader hatte sich schon vor Ausbruch des Bürgerkriegs wie seine Mutter Caritat und seine Geschwister der kleinen katalanischen KP angeschlossen und dann an verschiedenen Fronten gekämpft. Über die Bekanntschaft Eitingons mit Caritat wurde dieser auf ihn aufmerksam und rekrutierte ihn zur Ausbildung für "Spezialmissionen". Diejenige, für die er dann eingesetzt wurde, war die Ermordung Trotzkis in seinem mexikanischen Exil im August 1940, nachdem es ihm gelungen war, sich in dessen Haus einzuschleichen. Das ist die Geschichte eines Mordes durch einen Auftragskiller besonderer Art, der nicht aus einem gewöhnlichen kriminellen Antrieb handelte, sondern einem ideologischen Motiv folgte. Zudem gelang es ihm lange, seine Identität zu verschleiern. Mercaders Handlung hat, wie bei all solchen Attentaten, schon immer Faszination ausgelöst, und Persönlichkeit, Motive und Vorgehensweise des Täters sind bereits seit geraumer Zeit in einer Reihe von Sachbüchern (durch Julián Gorkin mit Leandro Sánchez Salazar [zuerst 1948], Isaac Don Levine [1959]) und durch Erinnerungen seines Bruders (Luis Mercader [1990]), aber auch durch Romane (Leonardo Padura [2009]) und Filme (Joseph Losey [1972], Antonio Chavarrías [2016]) ausführlich dargestellt worden.
Ramón Mercaders Biographie ist nun Gegenstand einer an der Autonomen Universität Barcelona im Jahre 2013 verteidigten Dissertation des Historikers Eduard Puigventós geworden, wobei der Schwerpunkt natürlich auf dem Mordanschlag liegt. In akribischer Weise hat der Autor viele Archive, insbesondere in Mexiko, ausgewertet, aber auch zahlreiche Zeitzeugen, Familienangehörige oder Weggefährten befragt, auch in Kuba, wo Mercader nach einem mehrjährigen Aufenthalt in Moskau im Anschluss an seine Freilassung bis zu seinem Tod 1978 lebte. Dadurch ist eine sehr dichte Beschreibung zustande gekommen, die nun wirklich alles zum komplexen Hintergrund und Ablauf zusammenträgt, was sich finden ließ, von den verschlossenen sowjetischen Geheimdienstarchiven abgesehen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass sich Mercader selbst, außer in einigen Andeutungen im engsten Kreis, nie zur Tat und zu der Frage, wie er sie persönlich bewältigte, äußerte. [6]
Der aus endogenen Faktoren entstandene Konflikt in Spanien verknüpfte sich mit der Geschichte des Stalinismus - mit Folgewirkungen weit über die Niederlage der Republik im Jahre 1939 hinaus. Die hier besprochenen Werke beleuchten anschaulich einen oft durch die überragende Bedeutung der sowjetischen Waffen- und sonstigen Hilfelieferungen in den Hintergrund gedrängten Aspekt der sowjetischen Intervention im spanischen Bürgerkrieg.
Anmerkungen:
[1] Vor allem Gerald Howson: Arms for Spain. The Untold Story of the Spanish Civil War, London 1998; Yuri Rybalkin: Stalin y España. La ayuda militar soviética a la República, Madrid 2007.
[2] Antonio Elorza / Marta Bizcarrondo: Queridos Camaradas. La Internacional Comunista y España, 1919-1939, Barcelona 1999; Frank Schauff: Der verspielte Sieg. Sowjetunion, Kommunistische Internationale und Spanischer Bürgerkrieg 1936-1939, Frankfurt/M. / New York 2004; Daniel Kowalsky: La Unión Soviética y la guerra civil española. Una revisión crítica, Barcelona 2003.
[3] Ronald Radosh / Mary R. Habeck / Grigory Sevostianov (eds.): Spain Betrayed. The Soviet Union in the Spanish Civil War, New Haven / London 2001.
[4] Alexander Orlov: The March of Time. Reminiscences, London 2004; Edward P. Gazur: Secret assignment. The FBI's KGB General, London 2001.
[5] Womit sich dann auch Vermutungen, wie sie noch Schauff: Der verspielte Sieg, 46, im Anschluss an Erklärungen Orlovs und unter Berufung auf die britische Historikerin Helen Graham über irgendwelche anderen Täter anstellte, endgültig erledigt haben.
[6] Inzwischen liegt auch eine Biographie seiner Mutter vor: Gregorio Luri: El cielo prometido. Una mujer al servicio de Stalin, Barcelona 2016. Beide Darstellungen ergänzen sich, wobei sie zu einem guten Teil aus denselben Quellen schöpfen und Luri im Unterschied zur akademischen Qualifikationsschrift auch zum Teil reportagehafte Elemente verwendet.
Reiner Tosstorff