Ingrid Baumgärtner / Piero Falchetta (a cura di): Venezia e la nuova oikoumene / Venedig und die neue Oikumene. Cartografia del Quattrocento / Kartographie im 15. Jahrhundert (= Venetiana; 17), Roma: Viella 2016, 290 S., ISBN 978-88-6728-573-0, EUR 29,00
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Markus Stock (ed.): Alexander the Great in the Middle Ages. Transcultural Perspectives, Toronto: University of Toronto Press 2016
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Seit dem Hochmittelalter hatte sich Venedig als Handels- und Seemacht im Mittelmeerraum immer mehr etabliert und war zu einer der dominierenden Kräfte geworden, konzentriert auf die Flotte, auf Stützpunkte an strategisch und ökonomisch wichtigen Punkten auch in den angrenzenden Regionen und gestützt nicht zuletzt auf eine umfassende Ansammlung von Wissen über alle relevanten Bereiche. Nicht zuletzt die Produktion, Weiterentwicklung und Optimierung von Kartenwerken - solchen, die für die Seefahrt unmittelbar brauchbar waren (wie die Portulankarten, die bekannte Häfen und Küstenlinien akribisch verzeichneten), und solchen, die dazu geeignet waren, Rahmen, Überblick und ideologische Überhöhung zu bieten (wie die Mappae Mundi, die spätmittelalterlichen Weltkarten) - geschah in Venedig, das dafür notwendige Wissen wurde hier gesammelt. Als daher zu Beginn des 15. Jahrhunderts die "Geografie" des alexandrinischen Geografen Ptolemaios aus dem 2. Jahrhundert nach Christus aus dem Griechischen ins Lateinische übersetzt wurde und damit ein Werk zur Verfügung stand, das zusätzliches antikes geografisches Wissen enthielt und das in bis dahin unbekannter oder doch wenigstens ungewohnter Weise Karten zu zeichnen ermöglichte, auf denen auch Orte auf dem Land in vermessener Relation zueinander darstellbar waren, gehörten die Venezianer zu den ersten, die sich dafür interessierten, damit arbeiteten, Arbeiten, die auf dieser Grundlage entstanden waren, sammelten.
Die venezianische Tagung, die dem zu besprechenden Band zugrunde liegt, hat sich für diesen Zusammenhang und seine Auswirkungen interessiert: Was hat die lateinische Übersetzung der Geografie des Ptolemaios und die Umsetzung seiner detaillierten Anweisungen in Karten in der Kartografie des lateinischen Europa bewirkt - welchen Einfluss nahm sie, welche Auseinandersetzungen löste sie aus in einer Zeit, in der manch einer über die bloße Akzeptanz einer Autorität rasch hinausging - und was war die spezifische Rolle Venedigs dabei? Der weite Fächer der angesprochenen Fragen reicht von der unmittelbaren Rezeption des ptolemaischen Werkes und seiner Verarbeitung in der zeitgenössischen Kartografie und Geografie hin zur grundsätzlichen Kontextualisierung im zeitgenössischen geografischen und kartografischen Wissen, Forschen und Experimentieren einschließlich der Wirkung der venezianischen Kartografie im Osmanischen Reich, über einen Ausflug zu methodischen Überlegungen, wie man die modernen digitalen Möglichkeiten innerhalb der Kartografieforschung fruchtbar machen kann.
Versammelt sind zehn Aufsätze, von denen sieben italienisch- und drei deutschsprachig vorliegen, und eine Einleitung in beiden Sprachen (Ingrid Baumgärtner / Piero Falchetta, Lo spazio cartografico, Venezia e il mondo nel quattrocento / Kartographischer Raum, Venedig und die Welt im 15. Jahrhundert, 11-22 / 23-34). Laura Federzoni (Testo e immagine: i codici manoscritti e le edizioni a stampa italiane della Geographia di Tolomeo, 37-71) nimmt die handschriftliche und frühe (italienische) Druck-Überlieferung ptolemaischer Karten im 15. und 16. Jahrhundert in den Blick und legt hier ein besonderes Augenmerk auf die spezifischen Charakteristika der frühen und in beiderlei Form vorliegenden (MS. ab 1466, Druck ab Ulm 1482) Arbeiten des Nikolaus Germanus. Ramon J. Pujades i Bataller hingegen blickt zurück auf die kartografische Vorbereitung der Ptolemaios-Rezeption und hier besonders auf das Zusammenspiel italienischen (venezianischen, auch genuesischen) und katalanischen (mallorquinischen) kartografischen Wissens (Mappaemundi veneziane e catalane del basso medioevo: due rami nati da uno stesso tronco, 73-96). Patrick Gautier Dalché - der 2011 ein umfassendes Werk zur latein-europäischen Ptolemaios-Rezeption vorlegte [1] - gibt erste Einblicke in das Werk zweier humanistisch interessierter Mediziner und "Naturphilosophen" und wirft damit ein Licht auf die personellen Verflechtungen, die die rasche und vielfältige Rezeption des Werkes des Alexandriners erst ermöglichten (Due contemporanei di Fra' Mauro e lo spazio oggigiorno: il medico umanista Pietro Tommasi e il filosofo naturalista Giovanni Fontana, 97-113). Klaus Anselm Vogel präsentiert das vor-kopernikanische Erdverständnis eines der wichtigsten und bekanntesten venezianischen Ptolemaios-Rezipienten, Fra Mauro, und dessen Umgang mit Bereichen, die er nicht auf seiner berühmten Karte repräsentieren konnte (Fra' Mauro über den Raum außerhalb der Karte. Die Grenzen geographischen Wissens und die Rückseite der Ökumene, 115-129). Aus venezianischer Kartenproduktion stammt eine herzförmige Weltkarte um 1568, deren Eintragungen in osmanischer Sprache, wahrscheinlich in entsprechendem Auftrag, gehalten sind und mit der sich der Turkologe Giampiero Bellingeri auseinandersetzt (La turchizzazione di un Mappamondo, 133-155). Caterina Ballettis Aufsatz stellt Überlegungen der digitalen Auswertung alter Karten vor, wie sie in den vergangenen zehn, fünfzehn Jahren an immer mehr Orten angestellt wurden und werden (Gli strumenti informatici al servizio della ricerca storica: il caso della cartografia veneziana del XV secolo, 157-171). Uwe Israel liefert mit "Venedigs Welt im Wandel um 1500" den krisenhaften Kontext zu dem Eifer und den Wandlungen, denen venezianisches geografisches Wissen um 1500 - als mehr und mehr der Atlantik in den Blick trat und der eigentliche Macht- und Handelsraum Venedigs ökonomisch allmählich immer unwichtiger wurde - ausgesetzt war (Venedigs Welt im Wandel um 1500, 175-200). Nicht dass Venezianer nicht an den Entdeckungsfahrten nach Westen und Süden beteiligt gewesen wären und ihr Wissen fruchtbar geworden wäre: Benjamin Scheller zeigt das sehr deutlich am Seefahrer Alvise Cadamosto und dessen Nutzung bzw. Erschließung von "Erfahrungsraum und Möglichkeitsraum" im sub-saharischen Westafrika (201-220). Daria Perocco (La geografia sul leggio. Venezia, letterati e carte geografiche, 221-244) greift, diesmal mit literaturwissenschaftlichem Interesse, auf die personellen Kontexte venezianischen geografischen Interesses nun vor allem des 16. Jahrhundert im Kreis um den venezianischen Verleger einer ersten Sammlung von Reiseberichten, Giambattista Ramusio, zu. Schließlich rundet Ingrid Baumgärtner den Band ab mit einem Blick auf den in Kassel überlieferten Atlas (1542) des in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts in venezianischen Diensten arbeitenden Genuesen Battista Agnese, von dem sie inzwischen auch eine Faksimile-Ausgabe vorgelegt hat (Battista Agnese e l'atlante di Kassel. La cartografia del mondo nel Conquecento, 245-270). [2] Der Index der modernen Autoren ist nützlich, doch hätte einer der zeitgenössischen Karten, Kartografen und wohl auch Regionenbezeichnungen ebenfalls sehr geholfen, gerade weil der Band zweisprachig ist.
Zusammengekommen ist eine Sammlung vielfältiger und vielfach ganz neuer Aspekte und Erkenntnisse zur Geo- und Kartografiegeschichte um 1500 - in einer Zeit also, die traditionell als Bruch auf diesem Wissensgebiet wahrgenommen wurde, die aber vielmehr, wie hier in vorbildlicher Weise demonstriert - als Übergangszeit mit unendlich vielen wichtigen Facetten beschrieben werden muss.
Anmerkungen:
[1] Patrick Gautier Dalché: La Géographie de Ptolémée en Occident (IVe-XVIe siècle) (= Terrarum Orbis; Bd. 9), Turnhout 2009.
[2] Der Portulan-Atlas des Battista Agnese. Das Kasseler Prachtexemplar von 1542, hg., eingeleitet und kommentiert von Ingrid Baumgärtner, Darmstadt 2017.
Felicitas Schmieder