Rezension über:

Elisabeth A. Fraser: Mediterranean Encounters. Artists between Europe and the Ottoman Empire, 1774-1839, University Park, PA: The Pennsylvania State University Press 2017, XX + 299 S., 43 Farb-, 98 s/w-Abb., ISBN 978-0-271-07320-0, USD 89,95
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Rezension von:
Sarah Tabbal
München
Redaktionelle Betreuung:
Hubertus Kohle
Empfohlene Zitierweise:
Sarah Tabbal: Rezension von: Elisabeth A. Fraser: Mediterranean Encounters. Artists between Europe and the Ottoman Empire, 1774-1839, University Park, PA: The Pennsylvania State University Press 2017, in: sehepunkte 18 (2018), Nr. 2 [15.02.2018], URL: https://www.sehepunkte.de
/2018/02/30463.html


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Elisabeth A. Fraser: Mediterranean Encounters

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Elisabeth Frasers Publikation nimmt den Mittelmeerraum als Kontaktzone reisender Künstler im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert in den Blick: "This book is about artists and other voyagers traveling to and from the Mediterranean, travel images, and cross-cultural exchange." (1) Der Schwerpunkt der Studie liegt auf dem Osmanischen Reich, das sich im behandelten Zeitrahmen - von der Thronbesteigung Sultans Abdülhamid I. (1725-1789, reg. 1774-1789) bis zum Todesjahr von Mahmud II. (1785-1839, reg. 1808-1839) -

über einen Großteil des Mittelmeerraums erstreckte (2).

In ihrer Einleitung stellt Fraser das Forschungsfeld "Mediterranean" vor, das 1949 von Fernand Braudel initiiert wurde. Das Konzept des Mittelmeerraums als "shared world" habe laut Fraser in der kunsthistorischen Forschung, insbesondere in Untersuchungen zum 18. und 19. Jahrhundert, bisher nur wenig Beachtung gefunden (8). An den sogenannten Échelles du Levant, den strategischen Häfen des Osmanischen Reiches, wurden seit dem 15. Jahrhundert aufgrund blühender Wirtschafts- und Handelsbeziehungen die ersten europäischen Botschaften errichtet (2). In diesem Sinne definiert Fraser den Mittelmeerraum als einen von europäischer Diplomatie geschaffenen geopolitischen Raum (2). Demzufolge fungieren diplomatische Netzwerke in Frasers Fallbeispielen als übergreifendes Leitthema und als Bindeglied für die künstlerischen Begegnungen im Mittelmeerraum.

Das durch diplomatische Netzwerke verknüpfte Mittelmeerparadigma bietet Fraser eine Alternative zu dem von Said 1978 angeregten Orientalismus-Diskurs sowie die Möglichkeit, Mechanismen des wechselseitigen Austauschs und Verflechtungen in den europäisch-osmanischen Beziehungen zu enthüllen. Althergebrachte Vorstellungen von Antagonismen und asymmetrischen Mächteverhältnissen wirft Fraser über Bord, um auf Interaktionen, interkulturelle Austauschprozesse und Verbindungen zwischen Europa und dem osmanischen Mittelmeerraum aufmerksam zu machen. Dabei erklärt Fraser, dass "[...] a Mediterranean construct neatly avoids giving priority to one culture over the other, attributing agency and action to one group over another. Ottoman-European cultural relations were mutually inflected within a semantic field, not a one-way street of 'Europeanization.' The concept of the Mediterranean assumes connection and relationship without center, point of origin, and directionality." (11)

Auf die Einleitung folgen in einer chronologischen Abfolge drei Teile mit je zwei Kapiteln. Der erste Teil Power in Question handelt von inneren Widersprüchen und Ungewissheiten in Bezug zu den Veröffentlichungen französischer Reiseberichte vom Osmanischen Reich. In Kapitel 1 analysiert Fraser umfassend den ersten Band des illustrierten Reiseberichts Voyage pittoresque de la Grèce (1782) des Grafen Marie-Gabriel-Florent-Auguste de Choiseul-Gouffier (1752-1817) und stellt diesem die Voyage dans le Levant (1819) des Grafen Auguste de Forbin (1777-1841) vergleichend gegenüber. Fraser beschreibt den aufwendigen Produktionsprozess von Choiseuls Reisebericht und dessen komplexe und multiple Autorschaft. Zudem deckt sie Widersprüche im Wort-Bild-Verhältnis auf, die dem Anspruch auf Authentizität entgegengenwirken.

Im zweiten Kapitel richtet Fraser den Blick auf Louis-François Cassas (1756-1827), der Choiseul bei der Produktion seines zweiten Bandes der Voyage pittoresque de la Grèce (1809) assistierte. Cassas versuchte mit einem eigenen Reisebericht Choiseul (seit 1784 französischer Botschafter im Osmanischen Reich) zu übertrumpfen und setzte dabei auf "Monumentalität": Übergroße Illustrationen, wie beispielsweise die Panoramaansicht des Sonnentempels von Palmyra (Abb. 29), erstrecken sich auf einer Länge von bis zu drei Seiten. Das Werk wurde mit einer höheren Anzahl an Plänen und Karten ausgestattet, Bauwerke wurden aus verschiedenen Perspektiven dargestellt und archäologischen Details größere Aufmerksamkeit geschenkt. Die Darstellungen riesiger muskulöser Männerfiguren in Cassas' Reisebericht deutet Fraser als Projektion eines heroisierten Selbstbildnisses des Künstlers, die als Kompensation seines niedrigen sozialen Status aufgefasst werden kann.

Ausgesprochen gelungen ist der zweite Teil des Buches, Ottoman Culture Abroad, in dem Reiseberichte aus osmanischen Hofkreisen vorgestellt werden, die aus dem kulturellen Austausch mit Europa schöpften und diesen zugleich förderten. In Kapitel 3 präsentiert Fraser Ignatius Mouradgea d'Ohssons (1740-1807) Reisebericht Tableau général de l'Empire Othoman (1787-1820). Der aus Armenien stammende d'Ohsson war als Dragoman für den schwedischen Konsul in Konstantinopel tätig und veröffentlichte seinen Reisebericht in Paris. In der heterogenen Publikation des "transimperial agent" (124) verbinden sich osmanische und europäische Bildkulturen auf fruchtbare Weise miteinander. Anhand des Titelblatts veranschaulicht Fraser, dass d'Ohsson an Choiseuls Bildsprache anknüpfte (102ff.). Gleichzeitig basierten Illustrationen auch auf osmanischer Darstellungstradition: So dienten die Albumblätter des Zübdetü't-Tevârîh aus dem späten 16. Jahrhundert als Vorlagen und wurden von einem französischen Team in d'Ohssons Reisebericht in einen eigenen Stil übersetzt. Fraser betont die enge transkulturelle Zusammenarbeit französischer und osmanischer Künstler beim Prozess der Buchproduktion, die per se eine kulturelle Begegnung für alle Beteiligten darstellte.

In Kapitel 4 behandelt die Autorin Antoine-Ignace Mellings (1763-1831) Voyage pittoresque de Constantinople et des rives du Bosphore (1819). Melling, den Fraser als "imperial insider" bezeichnet, lebte 18 Jahre lang in Konstantinopel (130). Der dänische Botschafter Baron Frederik von Hübsch brachte Melling mit Hatice (1766-1822), der Schwester des Sultans Selim III. (1761-1808, reg. 1789-1807), in Kontakt, für die er einen Palast und Gärten entwarf. Fraser wendet sich von einer einseitigen eurozentrischen Perspektive auf Mellings Reisebericht in der bisherigen Forschung ab und betont stattdessen, dass dessen Werk von Bildkonventionen einer osmanischen Elite des 18. Jahrhunderts geprägt sei. Die Ansichten vom Bosporus in Mellings Reisebericht seien von der Tradition osmanischer Wandmalereien inspiriert, die die sogenannten yalı (die Wasserpaläste der Istanbuler Elite entlang des Bosporus) dekorierten. Fraser plädiert für folgende Sichtweise: "To acknowledge Melling as an Ottoman court artist is to begin to recognize the transcultural aspects of his work, but also, simultaneously, Ottoman art." (160)

In Teil III, Contradictory Contact, untersucht Fraser Darstellungen reisender französischer Künstler als Resultat mediterraner Begegnungen und Interaktionen. Kapitel 5 befasst sich mit Louis Duprés (1789-1837) Reisebericht Voyage à Athènes et à Constantinople (1825), der in Paris nach einer Reise ins osmanische Griechenland und in die Türkei produziert wurde. Der Text, der nach dem Ausbruch des Griechischen Unabhängigkeitskrieges 1821 verfasst wurde, zeichnet - vom Philhellenismus geprägt - ein abwertendes, anti-osmanisches Bild. Die dem Text beigefügten Illustrationen hingegen entstanden während Duprés Reise ab Frühjahr 1819 und vermitteln eine positive Sicht auf ein vielfältiges Osmanisches Reich. In der individuellen Darstellung einzelner Personen werden Porträt- und Kostümstudien, aber auch aus osmanischen Kostümalben entlehnte Darstellungstraditionen miteinander kombiniert.

Im letzten Kapitel weitet Fraser den Blick über das Osmanische Reich hinweg aus und untersucht Reiseskizzen von Eugène Delacroix (1798-1863), die 1832 während seiner Reise in Nordafrika entstanden sind. Während seines sechsmonatigen Aufenthaltes als Teil der diplomatischen Mission des Comte de Mornay hielt sich Delacroix überwiegend in Marokko auf, das zu keinem Zeitpunkt zum Osmanischen Reich gehörte (207ff.). Fraser untersucht in Delacroix' Studien u.a. das Motiv der Schwelle und sieht darin eine Metapher für den Außenseiterstatus Delacroix' im fremden Maghreb. Seine Darstellungen von Marokko seien von Ambiguitäten und Unsicherheiten gekennzeichnet, die sich bei einem europäischen Reisenden in einer fremden, nur bedingt kontrollierbaren Welt manifestierten.

Insgesamt veranschaulicht Fraser in ihren Fallbeispielen auf präzise Weise, wie die vielschichtigen kulturellen Beziehungen zwischen Frankreich und dem Osmanischen Reich in einer frühen Phase europäischer Expansionspolitik von Interdependenzen, Interaktionen und reziproken Austauschprozessen geprägt waren. Um dem Problem zu entgehen, dass die Raumkategorie "Mediterranean" zu unkonkret oder apolitisch erscheint, begrenzt Fraser ihren Forschungsbereich - mit Ausnahme des letzten Kapitels - auf das Osmanische Reich (9f.). Aus dem Titel geht erstmal nicht hervor, dass der Fokus auf Frankreich liegt und andere europäische Länder überwiegend ausgeklammert werden; lediglich englische Vergleichsbeispiele werden mitunter herangezogen. Fraser gelingt es gewinnbringend, immer wieder auf ihren Ausgangspunkt, die Schlüsselfigur Cloiseul, Bezug zu nehmen und zu zeigen, dass dessen Werk sowohl auf europäische als auch auf osmanische Künstler nachwirkte. Überzeugend stellt sie verschiedene Perspektiven dar und arbeitet osmanische Bildtraditionen als Inspirationsquelle für Reiseberichte heraus. Frasers interdisziplinär angelegtes Buch bringt Kunstgeschichte, Kulturgeschichte und Osmanistik zusammen und ist jedem zu empfehlen, der sich mit europäisch-osmanischen Beziehungen während des 18. und 19. Jahrhunderts beschäftigt.

Sarah Tabbal