John J. Kulczycki: Belonging to the Nation. Inclusion and Exclusion in the Polish-German Borderlands 1939-1951, Cambridge, MA / London: Harvard University Press 2016, 402 S., ISBN 978-0-674-65978-0, USD 49,95
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Diese Rezension erscheint auch in der Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung.
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Diese Monografie untersucht die Bemühungen zweier unterschiedlicher Regimes, des nationalsozialistischen und des volkspolnischen, zwischen Deutschen und Polen in den von ihnen gemeinsam bewohnten "Grenzländern" zu unterscheiden. Als solche Grenzländer versteht John Kulczycki die vom 'Dritten Reich' annektierten Teile Polens sowie (nach 1945) die ehemals deutschen Gebiete östlich von Oder und Neiße. Im ersten Kapitel analysiert er die deutsche Politik im besetzten Polen, mit besonderem Augenmerk auf der Anwendung der Deutschen Volksliste (DVL) mit ihren vier Kategorien, um möglichst viele Bewohner dieses Gebiets als mehr oder weniger "volksdeutsch" bezeichnen zu können. Aber der Schwerpunkt dieser Studie (90 Prozent des Textumfangs) liegt auf der Zeit nach 1945 und befasst sich vor allem mit dem Problem der circa zwei Millionen "Autochthonen", das heißt deutschen Staatsbürger "slawischer Ethnizität" (vor allem Oberschlesier und Masuren). Da diese die Aneignung sonst deutschen Territoriums zumindest teilweise legitimieren sollten, wollte die neue polnische Regierung sie im Land behalten. Sie versuchte die Autochthonen durch einen Prozess der Verifizierung ihres angeblich ursprünglichen und echten Polentums in die eigene Nation einzureihen, obwohl sich jene vorher größtenteils wie Deutsche (wenn nicht sogar als Nazis) benommen hatten. Letztendlich ist dieser Versuch gescheitert: zum einen, weil die polnischen Neuansiedler, aber auch viele Beamte, nach der brutalen Besatzung selten geneigt waren, solche Personen als Landsleute zu akzeptieren, auch wenn es die polnische Staatsräson befahl; zum anderen, weil allzu viele Autochthone, die gerade anfangs beraubt und misshandelt wurden, aus welchem Grund auch immer sich weiterhin als Deutsche fühlten. Jedenfalls sind die meisten von ihnen, früher oder später (sobald sie konnten) nach Deutschland ausgewandert und die übrigen bilden die deutsche Minderheit im heutigen Polen.
Diese Entwicklung ist seit längerem bekannt, und Kulczycki rüttelt wenig an dem allgemeinen Bild, das Leszek Belzyt, Andrzej Sakson, Tomasz Kamusella und andere gezeichnet haben. Er untermauert es aber in wertvoller Weise, hat vor allem die amtlichen polnischen Quellen gründlicher als jeder andere erforscht und bietet somit die dichteste und detailreichste Darstellung des volkspolnischen Verifizierungsprozesses samt seines Scheiterns, die jemals erschienen ist. (Leider jedoch fehlt eine Bibliografie, um dieser Quellenbasis leichter nachzugehen.) Innovativ ist besonders die vergleichende Betrachtung der beiden Regimes und Kulczyckis überaus kritische Beurteilung der Politik Volkspolens, die in der Feststellung gipfelt, dass das NS-Regime "das Modell geliefert hat" (52) für das volkspolnische Vorgehen - Letzteres habe eben "die Nazi-Politik fortgesetzt" (112). Diese Schlussfolgerung wird wohl auch im heutigen Polen umstritten sein.
Bei aller Achtung für den Forscherfleiß eines schon längere Zeit im Ruhestand lebenden Historikers sind aber auch einige Einwände zu registrieren. Erstens ist die Quellennähe dieses Werkes Stärke und Mangel zugleich, denn der überwiegend faktografische Text besteht größtenteils aus arrangiertem Quellenmaterial, das meistens ohne Kommentar oder Kontextualisierung weitergereicht wird; das Analytische kommt eher zu kurz. Zweitens gibt es Begriffsschwierigkeiten, zum Beispiel verwendet Kulczycki den Begriff "Volksdeutscher" in höchst anachronistischer Weise auch für die Zeit nach 1945, als höchstens von "ehemaligen, sogenannten Volksdeutschen der Kategorien III und IV" die Rede sein kann. Wie Kulczycki unterstreicht, hat Volkspolen die Kategorien der DVL praktisch übernommen: Die unter I und II Verzeichneten galten als Deutsche und wurden ausgewiesen; die unter III und IV als ethnisch-polnische Bürger, die sich aus opportunistischen Gründen (oder sogar zwangsweise) auf die DVL haben eintragen lassen, obwohl sie kaum deutsche Merkmale aufwiesen. Nun, wo sie wieder Polen sein wollten, beschreibt Kulczycki sie allen Ernstes als "Volksdeutsche polnischer Nationalität"(266). Drittens verkündet Kulczycki gleich zu Beginn des Werkes seine Überzeugung, dass nationales Bewusstsein als historischer Faktor oft überschätzt werde - für viele (vor allem einfache) Menschen sei das eine nur oberflächliche, ambivalente, und wechselhafte Neigung. Folglich geht er davon aus, dass die scheinbar deutsche politische Identität für die meisten Autochthonen kein ernstes Hindernis gewesen sein und für ihr Verhalten nicht als ausschlaggebend angesehen werden könne. Somit ist er praktisch gezwungen, die ganze Schuld für das Misslingen der Verifizierungspolitik dem polnischen Regime zuzuschieben, während die Autochthonen selbst als eher passive Objekte der Politik erscheinen. Am Schluss erkennt Kulczycki zwar an, dass Nationalbewusstsein nicht auf Grund von "Ethnizität" angenommen werden könne oder solle, aber man vermisst trotzdem eine tiefere, geschichtlich begründete Analyse der nationalen Einstellung der Autochthonen. Diese muss man doch in Betracht ziehen, will man das Misslingen des Verifikationsprogramms voll verstehen.
Kulczycki schließt mit der eher moralisierenden und gegenwartsbezogenen Erkenntnis, dass ethnische Homogenität weder umsetzbar noch wünschenswert sei. Er glaubt, dass Polen heute besser dastünde, wenn es die Millionen Autochthonen und "Volksdeutschen" bei sich hätte behalten können - obwohl eine solche Logik den Umständen von 1945 widerspricht. Ansonsten aber hat Kulczycki eine breit angelegte und bemerkenswert gründlich erforschte Studie zu einem wichtigen Thema geliefert, und jeder, der sich für dieses Thema interessiert, wird nun wohl diese Arbeit in Betracht ziehen wollen.
Richard Blanke