Ali Yaycioglu : Partners of the Empire. The Crisis of the Ottoman Order in the Age of Revolutions, Stanford, CA: Stanford University Press 2016, xii + 347 S., ISBN 978-0-8047-9612-5, USD 65,00
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Dimitris J. Kastritsis: The Sons of Bayezid. Empire Building and Representation in the Ottoman Civil War of 1402-13, Leiden / Boston: Brill 2007
Tülay Altun: Das Osmanische Reich in Schülervorstellungen und im Geschichtsunterricht der Sekundarstufe I und II. Eine rekonstruktiv-hermeneutische Analyse von Passungen und Divergenzen unter Berücksichtigung der Bedingungen der Migrationsgesellschaft, Münster: Waxmann 2021
Ethan L. Menchinger: The First of the Modern Ottomans. The Intellectual History of Ahmed Vâsιf, Cambridge: Cambridge University Press 2017
Douglas A. Howard: Das Osmanische Reich 1300-1924. Aus dem Englischen von Jörg Fündling, Stuttgart: Theiss 2018
Will Smiley: From Slaves to Prisoners of War. The Ottoman Empire, Russia, and International Law, Oxford: Oxford University Press 2018
Ich bin mir weder sicher, woher die Bezeichnung "the Age of Revolutions" eigentlich kommt, noch weiß ich wirklich, wie stark sie in der Geschichtswissenschaft etabliert ist. Natürlich kenne ich Eric Hobsbawms 1962 veröffentlichtes Werk The Age of Revolution: Europe: 1789-1848, das den Auftakt zu seiner berühmten Trilogie über das "lange 19. Jahrhundert" bildet. Letztlich scheinen mir aber in erster Linie europäische Revolutionen (und deren Auswirkungen) gemeint zu sein (so auch der deutsche Titel von Hobsbawms Werk) - sowohl die politischen Umwälzungen in Amerika, Frankreich und Deutschland wie auch die Industrielle Revolution. So interessant die Darstellung des britischen Historikers auch ist, letztlich stützt sie natürlich die Metaerzählung einer europäischen Vorgeschichte, die auf diesen Paradigmenwechsel, die die Moderne begründet, hinausläuft. Globalgeschichtlich gesehen ist diese Sicht - spätestens seit dem Erscheinen von Shmuel Eisenstadts "Multiple Modernities" [in: Daedalus 129/1 (2000), 1-30] - nicht unproblematisch. Die mannigfaltigen Ansätze in zahlreichen nicht(zentral)europäischen Gesellschaften - etwa in Russland, dem Osmanischen Reich, in Iran, Ägypten, Japan oder China -, auf die Herausforderungen der jeweiligen Zeit adäquate Antworten zu finden, werden damit ausgeblendet oder als etwas klägliche Modernisierungsversuche zweiter Ordnung eingestuft. Es wird noch länger eine Herausforderung für die Historikerzunft bleiben, eine globalgeschichtliche Perspektive des 18. und auch des 19. Jahrhunderts - trotz Osterhammel und Bayly - zu entwickeln. Vor diesem Hintergrund sind alle Arbeiten, die unsere Perspektive erweitern - zum Beispiel die hier vorliegende überarbeitete Dissertation von Ali Yaycıoğlu -, zu begrüßen.
Der an der Stanford University im Department of History tätige Assistant Professor zeigt in seinem Buch, dass die Dynamik des Osmanischen Reiches "in the Age of Revolutions" von einem globalen Blickwinkel aus betrachtet viel zu komplex ist, als dass man aus ihr - wie bisher weitgehend geschehen - die Geschichte einer gescheiterten Verwestlichung und verfehlter Reformen machen kann. "During this era, the Ottoman Empire offered", so Ali Yaycıoğlu "a divers repertoire of reform agendas, institutional restructuring, political discourse and shifting coalitions, which cannot reduced to conflicts between East and West, or old and new. These binaries are misleading for grasping the empire's multifaceted transformations." (1)
Das Buch gliedert sich in fünf Kapitel. Zunächst gibt der Verfasser eine kurze Einführung in die Geschichte des Osmanischen Reiches im 18. Jahrhundert. Im Vordergrund stehen die von Selim III. seit den 1790er-Jahren vorgenommenen Neuerungen. Mithilfe eines ganzen Bündels an Maßnahmen sollte die für alle offenkundige militärische und finanzielle Krise bewältigt werden. In den Augen der Reformer sollten die neuen Truppen die alte Militärelite, die aus lokalen Pfründeninhabern, dem bewaffneten Tross der Statthalter in den Provinzen und den Janitscharen bestand, nicht nur ersetzen. Vielmehr sollten sie mit ihren neuen Symbolen, ihrer Hierarchie, in der man nach Leistung und Auszeichnung befördert wurde, und ihrer modernen Ausbildung auch einen gesellschaftlichen Wandel versinnbildlichen. Natürlich fühlte sich dadurch eine Reihe von Personengruppen, insbesondere die Angehörigen des Janitscharenkorps, massiv bedroht. Sehr gut scheint mir zu sein, dass Ali Yaycıoğlu klarstellt, dass es bei den Auseinandersetzungen nicht um eine binäre Opposition alt gegen neu ging, sondern eher um ein Austarieren der Möglichkeiten, Koalitionen gesellschaftlicher Gruppierungen mit verschiedenen Interessen zu schmieden. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts war es völlig unklar, ob die Vertreter oder die Gegner der Neuen Ordnung in der Lage sein würden, die Mehrheit der gesellschaftlichen Kräfte hinter sich zu bringen.
Im zweiten Kapitel geht der Verfasser auf die Provinzeliten ein. Im Laufe des 18. Jahrhunderts agierten ihre Vertreter in zunehmendem Maße nicht mehr als Diener oder Angestellte der Zentrale, sondern eigenständig. Sie knüpften als selbständige Machthaber, die ihre neu erworbenen Positionen in der Regel nicht vererben konnten, zahlreiche Beziehungen mit den offiziellen Vertretern der Hohen Pforte in Istanbul. Letzten Endes waren es Aushandlungen, die ständig hinterfragt und dann wieder erneuert werden mussten. Diese neuen lokalen Potentaten wurden zu einem wichtigen Bestandteil des imperialen Herrschaftsgefüges. Das Osmanische Reich und seine zentralen Eliten waren auf die gute Zusammenarbeit mit den Provinznotabeln angewiesen, die vor Ort über weitere Mittelsmänner Steuern einzogen, die Ordnung aufrecht erhielten und Truppen aushoben. Allerding führte dieses System der dezentralen Machtverteilung zu starken Spannungen unter den neuen Eliten. Für die osmanische Gesellschaft insgesamt waren aus diesem Grund Konkurrenz, Kampf und Unsicherheit ebenso charakteristisch wie das Bemühen, politisch nützliche Allianzen zu bilden und zur Sicherung gemeinsamer Ziele zusammenzuarbeiten. Einige der Notabeln aus den Provinzen schlossen sich den Befürwortern der Neuen Ordnung an, wohingegen andere mit der Opposition gemeinsame Sache machten. Entscheidend war nicht, ob man traditionell oder modern war, sondern vielmehr, ob man an den Erfolg der Reformen glaubte oder nicht.
In dem folgenden Abschnitt analysiert Ali Yaycıoğlu, wie die Provinzgemeinschaften auf die Herausforderungen und Änderungen des 18. Jahrhunderts reagierten. Während die zentrale Administration von den Provinzen abgekoppelt und die Macht an die Provinznotabeln übertragen wurde, entwickelten die Gemeinschaften vor Ort von sich aus Regularien, um die fiskalischen und administrativen Angelegenheiten mit den übergeordneten Institutionen möglichst effektiv zu klären. Man beauftragte gewählte oder ernannte Repräsentation mit diesen Aufgaben. Bemerkenswerterweise akzeptierte der osmanische Hof im Laufe der Zeit diese Vorgehensweise, da sich das Zusammenspiel für alle Beteiligten als vorteilhaft erwies. Gerade die Reformer erkannten, dass diese von unten entwickelten Mechanismen sehr viel wirksamer waren als von oben vorgegebene administrative Anordnungen. Die neue Provinzverwaltung legitimierte sich im Grunde durch das eigenständige gemeinsame Handeln. Auf diese Weise wurden die lokalen Gemeinschaften bis zum Ende des 18. Jahrhunderts zu politischen Akteuren. Dies geschah bisweilen auf Kosten der dortigen Notabeln.
Im nächsten Abschnitt wechselt der Verfasser in den Modus der erzählenden Geschichtsschreibung. Er schildert ausführlich, was zwischen August 1806 und November 1808 vorgefallen ist. Der Verlauf des Aufstandes gegen Selim III. muss an dieser Stelle nicht noch einmal wiedergegeben werden. Auch für Ali Yaycıoğlu ist es kein Kampf zwischen alt und neu. In der Auseinandersetzung spiegeln sich komplexe gesellschaftliche Verhältnisse und Dynamiken. Die um die Janitscharen gruppierten Reformgegner kamen aus sehr unterschiedlichen Bevölkerungsschichten und hatten nicht immer dieselben Gründe, die Neuerungen abzulehnen. Interessanterweise rückt der Autor bei seiner Beschreibung der Gründe für den Misserfolg von Selim III. folgende Ereignisse in den Vordergrund, die häufig unerwähnt bleiben: (1) 1806 wollte der Sultan die Neuen Truppen auch in Thrakien einführen. Zu diesem Zweck sollten dort im Umfeld der Städte spezielle Kasernen errichtet werden. Der Widerstand in der Provinz war so groß, dass eine Koalition aus Janitscharen und Notabeln eine Armee aufstellte und sie gegen die Truppen des Herrschers führten. Nach einigen bewaffneten Auseinandersetzungen erkannte Selim III. die Ausweglosigkeit der Lage und zog sich nach Istanbul zurück. Für die Durchsetzung seiner Reformen bedeutete dies natürlich einen sehr empfindlichen Rückschlag. (2) 1806 war es im Rahmen der Napoleonischen Kriege zu einer neuen Osmanisch-Russischen Auseinandersetzung gekommen. Am 6. März 1807 gelang es dem russischen Vize-Admiral Dmitrij Nikolajevič Senjavin (gest. 1831) für zwei Monate eine Blockade der Dardanellen zu errichten. In Istanbul brach die Versorgung mit Lebensmitteln zusammen. Das Leiden der Bevölkerung entlud sich in Aufständen. Auch vor diesem Hintergrund muss, so Ali Yaycıoğlu, der Erfolg der Reformgegner und die Entmachtung von Selim III. im Mai 1807 gesehen werden.
Den Abschluss des Werkes bildet - etwas überraschend - die Übersetzung und Interpretation des von dem Großwesir Mustafa Bayraktar (gest. 1808) mit einigen Provinznotabeln geschlossenen Bündnisvertrages (sened-i ittifaq). Die lokalen Machthaber verpflichten sich gegenüber Mahmud II. (gest. 1839) gegen die Zusicherung vor allem der Erblichkeit ihrer Positionen zur Treue. Darüber hinaus hatten sie im Kriegsfall Truppenkontingente zu stellen und durften sich nicht in die Angelegenheiten anderer Lokalfürsten einmischen.
Insgesamt hat Ali Yaycıoğlu ein sehr lesenswertes Buch mit einer überzeugenden allgemeinen These vorgelegt: im 18. Jahrhundert habe es im Osmanischen Reich jenseits aller Ereignisse, die mit den Reformen von Selim III. verbunden sind, einen wichtigen gesellschaftlichen und politischen Wandel gegeben. Ein bis dahin hierarchisches Grundgefüge habe einer eher partizipatorischen Ordnung weichen müssen. Ein Großteil der imperialen Politik sei fortan nur mit der Beteiligung kommunaler Repräsentanten möglich gewesen. Zentrale und auf Provinzebene agierende Akteure hätten sich miteinander verbunden, um das Empire gemeinsam zu regieren.
Stephan Conermann