Aysel Yıldız: Crisis and Rebellion in the Ottoman Empire. The Downfall of a Sultan in the Age of Revolution, London / New York: I.B.Tauris 2017, xiv + 300 S., ISBN 978-1-78453-510-0, GBP 75,00
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Eugenia Kermeli / Oktay Özel (eds.): The Ottoman Empire: Myths, Realities and "Black Holes". Contributions in honor of Colin Imber, Istanbul: The Isis Press 2006
Şevket Küçükhüseyin: Selbst- und Fremdwahrnehmung im Prozess kultureller Transformation. Anatolische Quellen über Muslime, Christen und Türken (13-15. Jahrhundert), Wien: Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften 2011
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Christiane Czygan: Zur Ordnung des Staates. Jungosmanische Intellektuelle und ihre Konzepte in der Zeitung Ḥürrīyet (1868-1870), Berlin: Klaus Schwarz-Verlag 2012
Arno Strohmeyer / Norbert Spannenberger (Hgg.): Frieden und Konfliktmanagement in interkulturellen Räumen. Das Osmanische Reich und die Habsburgermonarchie in der Frühen Neuzeit, Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2013
Nahyan Fancy: Science and Religion in Mamluk Egypt. Ibn al-Nafis, Pulmonary Transit and Bodily Resurrection, London / New York: Routledge 2013
Ali Yaycioglu : Partners of the Empire. The Crisis of the Ottoman Order in the Age of Revolutions, Stanford, CA: Stanford University Press 2016
Michael Kemper / Maurus Reinkowski (Hgg.): Rechtspluralismus in der Islamischen Welt. Gewohnheitsrecht zwischen Staat und Gesellschaft, Berlin: De Gruyter 2005
Das vorliegende Buch ist die überarbeitete Version einer von Akşin Somel betreuten Dissertation ("Vaka-yı Selimiyye or the Selimiyye Incident: A Study of May 1807 Rebellion"), mit der Aysel Yıldız im Jahr 2007 an der Sabancı Üniversitesi promoviert worden ist. Im Zentrum steht eine Neubewertung der von Kabakçı Mustafa angeführten Rebellion, die am 29. Mai 1807 zur Absetzung des osmanischen Sultans Selim III. führte. Kabakçı Mustafa gehörte einer yamak genannten Einheit von Hilfstruppen an, die etwa 30 km von Istanbul entfernt auf der europäischen Seite stationiert waren und den Auftrag hatten, den Bosporus gegen Feinde zu verteidigen. Im Gegensatz zu den Janitscharen wurden sie nicht im Rahmen des devşirme-Systems rekrutiert, sondern stammten aus der Schwarzmeerregion. Am 25. Mai 1807 kam der Kanzleichef Mahmud Raif Efendi zu den Truppen, um sie zu überreden, die im Rahmen der Aufstellung einer neuen Armee verwendeten neuen Uniformen anzuziehen. Die Soldaten weigerten sich nicht nur, diesem Ansinnen Folge zu leisten, sondern sie brachten Mahmud Raif Efendi an Ort und Stelle um und zogen unter Führung von Kabakçı Mustafa gen Istanbul. In kurzer Zeit schlossen sich ihnen weitere Verbände und zahlreiche Janitscharen an. Der Aufstand richtete sich in erster Linie gegen die von Sultan III. im Rahmen seiner Neuordnung des Reiches (nizam-ı cedid) initiierten Militärreformen. Da man zu dieser Zeit Krieg gegen Russland führte, befand sich die osmanische Hauptarmee an der Front und konnte daher den Sultan nicht vor den Rebellen schützen. Kabakçı Mustafa übernahm die Macht in Istanbul. Nachdem elf prominente Anhänger des Nizam-ı Cedid umgebracht worden waren, musste Selim III. abdanken. Zu seinem Nachfolger deklarierte man seinen Cousin Mustafa IV. In den nun folgenden 14 Monaten herrschte in der Hauptstadt Chaos und Anarchie. Schließlich griff der Statthalter in Rusçuk, Alemdar Mustafa Pasha (gest. 1808), auch bekannt als Mustafa Bayraktar, ein und marschierte mit seinen Truppen in die Hauptstadt. Der Aufstand wurde beendet und die meisten der Rebellen ermordet oder ins Exil geschickt. Mustafa Bayraktar wollte Mustafa IV. zur Abdankung zwingen. Daraufhin ließ dieser zunächst Selim III. beseitigen. Allerdings scheiterte sein Plan, seinen zweiten Vetter, Mahmud, ebenfalls zu eliminieren. Dieser wurde im letzten Moment gerettet und Mustafa Bayraktar rief ihn am 28. Juli 1808 zum neuen Sultan - Mahmud II. (gest. 1839) - aus. Im Gegenzug erhielt er das Großwesirat. Mustafa Bayraktars anschließende Versuche, die Reformen durch einen Bündnisvertrag (sened-i ittifaq) mit einigen wichtigen Machthabern aus den Provinzen und die Wiederherstellung der Reformtruppen (sekban-i cedid), scheiterten bekanntlich. Die Janitscharen revoltierten und brachten ihn am 14. November 1808 um.
Diese hier nur grob skizzierten Vorkommnisse stehen im Mittelpunkt von Aysel Yıldız' interessantem Buch. Mit großer Sorgfalt wird der Hergang der Ereignisse aus den Quellen rekonstruiert. Dabei schenkt die Verfasserin den Interessen der Aufständischen besondere Aufmerksamkeit. Sie möchte das Ereignis aber auch in einen Gesamtzusammenhang der Rebellionen im Osmanischen Reich seit dem Beginn des 18. Jahrhunderts stellen. Die Studie ist in sechs Kapitel eingeteilt. Auf "Rebellious Routines" (17-43), das eine detaillierte Chronologie der Vorfälle im Mai 1807 bietet, folgt "The Breeding Ground" (44-72), in dem Aysel Yıldız den Aufstand von 1807 in den Kontext der sozialen und wirtschaftlichen Krisen am Ende des 18. Jahrhunderts stellt. Unter anderem führten diese Krisen dazu, dass sehr viele unerwünschte Leute nach Istanbul strömten. Die zentrale Administration des Osmanischen Reiches verfügte nicht über die Finanzmittel, die sichtbaren Probleme zu lösen. Letztlich konnten, so die Verfasserin, auch die von Selim III. durchgeführten Reformmaßnahmen keine Abhilfe schaffen. Die unsichere und unklare Lage bildete den Nährboden für gewaltsame Aufstände. In dem dritten Kapitel ("Does Modernization Breed Revolution?", 73-101) werden die verschiedenen Reaktionen auf Reformen untersucht. Die Analyse zeigt, dass es nicht nur Reaktionen auf den sogenannten Modernisierungsprozess waren, die zu sozialer Unruhe und Instabilität geführt hatten, sondern ebenso der politische Machtkampf zwischen den lokalen Eliten, deren Rivalität in Bezug auf knappe Ressourcen sowie die Bedrohung der dezentralisierten Machtstrukturen mit den damit verbundenen Rechten und Privilegien.
Der nächste Teil ("Great Powers and the Ottoman Empire", 102-129) beschreibt den internationalen Kontext, um die Rolle der Außenpolitik innerhalb der internen politischen Entscheidungsprozesse und -strukturen der Hohen Pforte zu illustrieren. Die Reformen, so kann die Verfasserin zeigen, wurden nicht selten von den europäischen Großmächten für die Durchsetzung eigener Interessen benutzt. Deren Einmischung in die Politik des Hofes schürte in der Gesellschaft die Stimmung gegen die Regierung, da sie als unfähig angesehen wurde, die Stellung des Osmanischen Reiches im internationalem Konzert der Mächte zu behaupten. Es dominierte ein Gefühl von Unsicherheit und politischer Schwäche. Man fühlte sich von allen Seiten bedroht. Vor allem die Blockade der Dardanellen durch russische Einheiten vom März bis zum Mai 1807 machte der Bevölkerung in Istanbul zu schaffen und führte mittelbar zur Absetzung von Selim III. Das fünfte Kapitel ("Elite Rivalry", 130-161) analysiert die Rivalitäten innerhalb der Machtelite in der Hauptstadt, wobei der Fokus auf den möglichen Verbindungen zu dem Aufstand liegt. Sehr schön herausgearbeitet werden die Identität, die Ansichten und das Netzwerk jeder Gruppe. Aysel Yıldız geht dabei auf die inneren Kämpfe der verschiedenen Gruppierungen, die überall spürbaren Patronageverhältnisse und persönlichen Beziehungen ebenso ein wie auf die Einstellung der Beteiligten zur außenpolitischen Situation oder ihre Zugehörigkeit zu bestimmten religiösen Strömungen. Auf diese Weise entsteht ein spannendes, vielschichtiges Bild der politischen und gesellschaftlichen Fraktionen in Istanbul zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Insgesamt gesehen scheint die Bedeutung der beratenden Versammlungen zu- und die Durchsetzungsfähigkeit der Großwesire abgenommen zu haben.
In dem abschließenden Teil der Arbeit ("When the Feet Become the Head: The Limits of Obedience", 162-192) wendet sich die Verfasserin den Rebellen zu. Es gelingt ihr recht gut, aus den Quellen Personen und deren Motive und Legitimationsstrategien zu identifizieren. Es erstaunt sicherlich nicht, dass die Aufrührer hauptsächlich aus den Reihen der Armee kamen. Sie sahen sich als Repräsentanten der gesamten - notleidenden und aus ihrer Sicht schlecht regierten - Bevölkerung. Interessanterweise verhielten sich die Handwerker eher neutral. Während sich die Haltung der führenden Religionsgelehrten offenbar nur schwer vereinheitlichen lässt, bleiben die niedrigrangigen Ulama in den Texten unerwähnt.
Aysel Yıldız hat alles in allem eine lesenswerte und informative Darstellung der Ereignisse von 1807 und 1808 verfasst, in der die verschiedenen Protagonisten gut zur Geltung kommen. In der Gesamtschau der Rebellionen im Osmanischen Reich seit dem 17. Jahrhundert folgten, so resümiert sie, die beiden Aufstände, die zur Abdankung von Selim III. und Mustafa IV. führten, einem etablierten Muster. Erst die Vernichtung der Janitscharen im Jahr 1826 beendete die lange Reihe der Erhebungen, die sich in der Hauptstadt abspielten, auf den Palast konzentrierten und von traditionellen militärischen Verbänden getragen wurden.
Stephan Conermann