Bernd Kleinhans: Filme im Geschichtsunterricht. Formate - Methoden - Ziele (= Historia et Didactica. Praxis; Bd. 3), St. Ingbert: Röhrig Universitätsverlag 2016, 234 S., ISBN 978-3-86110-598-5, EUR 24,80
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Das von Bernd Kleinhans vorgelegte Buch schließt eine Lücke: Während Aufsätze und Unterrichtsmaterialien zum Einsatz von Filmen im Geschichtsunterricht zahlreich vorhanden sind, stellte ein einschlägig geschichtsdidaktisch ausgerichtetes Handbuch bisher ein Desiderat dar. [1] Der Band will Lehrenden Orientierungswissen an die Hand geben. Kleinhans trägt deshalb die fachwissenschaftlichen, curricularen, pragmatischen und rechtlichen Rahmenbedingungen zum Einsatz von Filmen im Geschichtsunterricht auf rund 200 Seiten komprimiert zusammen und verzichtet ganz bewusst darauf, fertige Stundenentwürfe zu liefern. Um es vorweg zu nehmen: Trotz der folgenden Kritik an einzelnen Konzepten und Zuordnungen ist dem Autor ein für das anvisierte Zielpublikum sehr gut strukturierter, hilfreicher und lesbarer Überblick gelungen.
Der Band startet mit einer Skizze der Geschichtsdidaktik im 'Visual Turn' (Kapitel 1). In sehr knapper Form wird hier über die geschichtswissenschaftliche Neubetrachtung der Bilder und die damit verbundenen Herausforderungen für den Geschichtsunterricht informiert. Kleinhans teilt zentrale Forderungen der 'Visual History'. Das wird insbesondere an seinem abschließenden Plädoyer deutlich, dass es nicht reiche, "Filme als zusätzliche Quelle zum traditionellen Quellenkorpus heranzuziehen", sondern dass "die Bedeutung von Filmbildern als wirklichkeitsschaffende Instanzen und als Akteure in gesellschaftlichen Diskursen und in historischen Prozessen deutlich werden" müsse (19). [2]
Das zweite Kapitel nimmt zunächst eine allgemeine geschichtsdidaktische wie kompetenztheoretische Verortung für den Einsatz von Filmen im Geschichtsunterricht vor. Wohltuend ist hier die Metaperspektive, die Kleinhans bei seiner konzisen Vorstellung zentraler Konzepte und Kompetenzen einnimmt. Es geht weniger darum, ein spezifisches Modell zu protegieren als Schneisen und Schnittmengen der Diskurse zu identifizieren und einzelne Kompetenzen mit Leben zu füllen. Das Kapitel schließt mit einem Parcours zum Film in den Bildungsplänen der Länder, in denen die Forderung, den Film als Quelle und Darstellung in den Unterricht zu integrieren, bereits flächendeckend anzutreffen ist. Kleinhans Darstellung lässt sich in diesem Zusammenhang auch als konkrete Planungsgrundlage begreifen, die die Lücke zwischen abstrakten, curricularen Zielbestimmungen und bereits existierenden Arbeitsmaterialien für den Unterricht schließt.
Das Kapitel "Filmformate für den Unterricht" (Kapitel 3) ist mit gut 80 Seiten das weitaus umfangreichste des Bandes. Hier reflektiert Kleinhans zunächst das Problem der Klassifikation, das er vor allem daran festmacht, dass Filme immer Quellen und Darstellungen zugleich sind. Anschließend führt er drei Großkategorien ein, denen er einzelne Filme zuordnet: Dokumentarische, fiktionale und hybride Formate. In diesem - wie in anderen Abschnitten des Buches - erweisen sich cineastische Expertise und Forschungserfahrung des Autors als großer Vorteil, da er einzelne bekannte und eher unbekannte Filme luzide in seine Darstellung einfließen lässt. Unter die dokumentarischen Formate fasst Kleinhans unter anderem Wochenschauen, zeitgenössische und geschichtliche sowie fiktive Dokumentationen. Kleinhans attestiert diesen Filmtypen - im Gegensatz zu fiktionalen Formaten - ein direktes Referenzverhältnis zur Wirklichkeit: Dokumentarisch ist die Aufnahme, die ein Ereignis zeigt, das sich auch so zutragen würde und nicht eigens für die Kamera inszeniert wurde. Deshalb auch seien hochmanipulative Produktionen wie Reichsparteitagsfilme oder Wochenschaubilder letztlich dieser Kategorie zuzuordnen. 'Mockumentarys' schlägt Kleinhans - obigem Referenzverhältnis widersprechend - ebenfalls dem dokumentarischen Format zu, weil sie "ihre Narrationen mit denselben filmsprachlichen Mitteln wie seriöse Geschichtsdokumentationen" inszenierten und dabei auch "oft bekanntes authentisches Filmmaterial" integrierten (89). Wie immer können solche kategorialen Zuordnungen nur idealtypische sein. Das Dilemma, in das Kleinhans mit seiner Kategorisierung gerät, hätte sich allerdings abmildern lassen, wenn "Hybridität" nicht als eigene, dritte Großkategorie fungieren würde, sondern als ein wichtiges Charakteristikum vieler Filmproduktionen mit historischem Hintergrund.
Wenig treffend erscheinen in diesem Sinne auch die Prototypen des fiktionalen Formats: "echter" Historienfilm versus Kostüm- und Kulissenfilm. Hier verwandeln sich unter der Hand Zuschreibungen wie Echtheit und Authentizität wieder in Eigenschaften, die ein Film hat oder auch nicht. Als Historienfilme lässt Kleinhans hier nur solche Filme gelten, die "fachwissenschaftliche Erkenntnisse berücksichtigen und Widersprüche zu den historischen Fakten möglichst vermeiden" (103). Kostümfilme würden daher als "Instrument der Geschichtsvermittlung" von vornherein ausscheiden. So berechtigt sich Filme nach ihrem mehr oder weniger seriösen Anspruch unterscheiden lassen, und es offensichtlich ist, dass 'Das Vermächtnis der Wanderhure' (2012) auf SAT1 andere Ansprüche und Ziele verfolgt als Oliver Hirschbiegels 'Elser - Er hätte die Welt verändert' (D 2015), so sehr führt man Lehrende und Lernende doch aufs Glatteis, wenn man Spielfilme als "echt" einstuft (104). Auch wenn beispielsweise der Regisseur Hirschbiegel sich bei seiner Inszenierung an Verhörprotokollen und Zeitzeugenberichten orientiert, bleiben bei diesem Drama doch letztlich die gleichen dekonstruktiven Methoden gefragt wie bei allen anderen Filmproduktionen. Die Grundlage mag quellengesättigt sein, die gewählten Perspektiven, die Handlung und der Plot bleiben zentrale Regieentscheidungen ebenso wie die für die Inszenierung und Vermarktung bewusst in Dienst genommenen Authentifizierungsstrategien. Mit gutem Grund ließe sich ein Film wie 'Elser' auch als Doku-Drama kennzeichnen, das gerade mit Blick auf seine Hybridität und damit auf die Frage spannend ist, wie hier Fakten und Fiktionen amalgamieren, bewusst ausgestellt und konterkariert werden. [3]
Die unterrichtlichen Einsatzfelder (Kapitel 4) umreißt Kleinhans anschließend in einem Dreischritt. Neben der Verwendung von Filmen als Einstieg oder Zusammenfassung einer Unterrichtseinheit liegt der Schwerpunkt hier auf der Betrachtung von Filmen als historische Quellen. Ähnlich wie in der 'Visual History' und anderen einschlägigen Darstellungen markiert der Autor drei Ebenen der Quellenanalyse: Die Bilder werden in ihrem Abbild-Charakter ernstgenommen, sie gelten als Quellen für geschichtstheoretische Ideen oder als Ausdruck der Geschichtskultur. Diesem sehr anschaulich verfassten, spezifisch geschichtswissenschaftlichen Zugriff folgt eine Übersicht und Anleitung zur Filmanalyse (Kapitel 5), die die wichtigsten filmischen Gestaltungselemente und Erzählstrategien erläutert. Hieran anschließend werden einzelne Lehr- und Lernformen in der Arbeit mit Filmen dargestellt sowie die Leserinnen und Leser über den rechtlichen Rahmen im Umgang mit Filmen aufgeklärt (Kapitel 6 und 7).
Im Kontext seiner Ausführungen zur Filmanalyse im Unterricht formuliert Kleinhans ein Plädoyer für das Anerkennen subjektiver Seherlebnisse und eine Kritik an der Geschichtsdidaktik, die es bisher versäumt habe, "der Bedeutung des Filmes durch die Entwicklung von eigenen Methoden der historischen Filmanalyse gerecht zu werden" (150). Kleinhans markiert damit eine Lücke in der Lücke. Ihm gelingt es, jenes Übersichts- und Orientierungswissen in kompakter und gut lesbarer Form zusammenzustellen und zu erweitern, das sich Lehrende bisher aus einzelnen Aufsätzen und Handbuchartikeln zusammensuchen mussten. Im Ergebnis wird offensichtlich, dass zwar auf der Produktseite viel vorhanden ist und dieser Bereich insbesondere durch die 'Visual History' in den letzten Jahren neuen Schwung erhalten hat. Gleichzeitig wird jedoch auch deutlich, inwiefern bei dem nun schon lange nicht mehr neuen Medium Film noch einiges im Dunkeln liegt. Das betrifft einerseits die Klassifizierung und analytische Durchdringung der Filmprodukte; es betrifft aber auch und insbesondere die Konsumenten. Diese werden zwar - wie so oft - handlungsorientiert adressiert, bleiben aber letztlich die großen Unbekannten.
Anmerkungen:
[1] Vergleiche etwa als einen der jüngsten Beiträge: Britta Wehen: Geschichtsvideos im Netz, in: Daniel Bernsen / Ulf Kerber (Hgg.): Praxishandbuch Historisches Lernen und Medienbildung im digitalen Zeitalter, Bonn 2017, 237-248.
[2] Vergleiche hierzu Gerhard Paul: Visual History, Version: 3.0, in: Docupedia-Zeitgeschichte, 13.03.2014, http://docupedia.de/zg/paul_visual_history_v3_de_2014 (zuletzt aufgerufen am 26.03.2018).
[3] Vergleiche hierzu die weite Definition des Begriffs Doku-Drama bei Matthias Steinle: Alles Dokudrama? - Über das Neue im Alten eines schillernden Begriffs, in: Medienwissenschaft 1 (2010), 10-16. Vergleiche auch die Analyse zu einer weiteren Hirschbiegel-Produktion, die strukturell sehr gut auf den ein Jahrzehnt später produzierten Film 'Elser' übertragbar ist: Michael Wildt: Der Untergang. Ein Film inszeniert sich als Quelle, in: Zeithistorische Forschungen 2 (2005), 131-142, http://www.zeithistorische-forschungen.de/1-2005/id%3D4760 (zuletzt aufgerufen am 26.03.2018).
Sabine Moller