Brian Fitzgerald: Inspiration and Authority in the Middle Ages. Prophets and their Critics from Scholasticism to Humanism (= Oxford Historical Monographs), Second Impression, Oxford: Oxford University Press 2017, XI + 277 S., ISBN 978-0-19-880824-4, GBP 65,00
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Die Windungen, die die mittelalterliche Diskussion um das Lehramt am Fallbeispiel der Prophetie genommen hat, nachzuvollziehen macht sich Fitzgerald in seiner Dissertation zur Aufgabe. Dabei geht er in sechs großen Schritten vor. Das erste Kapitel ist Hugo von Sankt Viktor gewidmet, das zweite hat die scholastische Exegese von Prophetie des ausgehenden 12. Jahrhunderts zum Gegenstand; im dritten Kapitel stehen zunächst weniger Einzelautoren im Fokus, sondern die Bedingungsfaktoren Polemik - sowohl gegen den Islam als auch abendländische Abweichler - und Predigt, wie sie konstituierend für die dominikanische Auffassung von Prophetie waren. Dabei erfahren neben Innocenz III. vor allem Humbert von Romans und Hugo von Saint-Cher größere Aufmerksamkeit. Im vierten Kapitel rückt dann der allfällige Dominikaner in den Mittelpunkt: Thomas von Aquin wird als Gegner Petrus Johannes Olivis untersucht. Im fünften und sechsten Kapitel steht die Schwelle vom 13. zum 14. Jahrhundert mit den Autoren Nicholas Trevet und, als einzigem Laien, Albertino Mussato im Mittelpunkt der Betrachtungen. Ein einerseits feingliedriger, andererseits reduzierter Index auf wenigen Seiten (269-277) beschließt den Band.
Damit ist schon angedeutet, dass der Fokus vor allem auf den scholastisch geprägten Autoren und den Dominikanern im Besonderen liegt; die mystisch geprägten Autoren, die sich auch zur Prophetie äußern, kommen deutlich seltener und weniger umfangreich zu Wort. Somit ist durchaus die Möglichkeit gegeben, dass hier vor allem das amtskirchliche Verständnis von Prophetie zum Vorschein kommt. Der dominikanische Schwerpunkt bei deutlich geringerer Wahrnehmung der franziskanischen Literatur privilegiert somit das stark am Studium orientierte Verständnis von Prophetie des Ordo Praedicatorum. Die Franziskaner hatten jedoch bei ähnlicher Strahlkraft oftmals eine andere Auffassung von Prophetie. Bei der Lektüre meint man zwar ein Who's Who der theologischen Literatur des 12. und 13. Jahrhunderts vorzufinden, doch sind einige zentrale Autoren (legitimerweise?) nicht in die Untersuchung einbezogen. [1]
À propos Autoren: Ein Beispiel sollte Anlass geben, weitere Autorenzuschreibungen zu überprüfen: Fitzgerald kommt kurz auf einen Pariser Theologen, Peter von Poitiers, zu sprechen (82), zu dem er Lebensdaten angibt. Diese stimmen aber nicht überein mit den einschlägigen Verzeichnissen, etwa den im Mirabile-Portal der SISMEL zusammengeführten, wo mehrere Peter aus Poitiers verzeichnet sind. Da stimmt bei einem Petrus Pictaviensis das von Fitzgerald angegebene Todesjahr ungefähr mit dem allgemein bekannten überein, bei einem anderen stimmt weitestgehend der Titel eines Psalmenkommentars, den Fitzgerald herangezogen hat, nicht aber das Todesjahr. [2]
Die Lektüre der Einleitung - wie auch des gesamten Buches - gerät einigermaßen mühsam. So entbehrt es nicht einer gewissen Ironie, wenn Fitzgerald immer wieder betont, dass die mittelalterlichen Autoren Klarheit und Verständlichkeit als wichtiges Kriterium höherer Prophetie betrachteten, der vorliegende Text aber genau wegen dieses wenig eingelösten Kriteriums einiges an Lektürezeit fordert. Die Fragestellung ist ein wenig versteckt (9). Auf wenigen Seiten (2-4) wird die Verbindung von Autorität, Inspiration und Prophetie umrissen, im weiteren Fortgang der Untersuchung fällt dann fast ausschließlich der Begriff der Prophetie. Das wird ebenso verständlich wie bedenklich, wenn man in einer Fußnote der Einleitung den Hinweis findet, dass "'prohecy' and 'inspiration' without strict differentiation" (3, Anm. 8) verwendet wird. Wenn die Inspiration aber im Titel des Buches steht, erscheint die Wahl der Prophetie als Leitbegriff der Untersuchung nicht in letzter Konsequenz geglückt.
Fitzgerald arbeitet deutlich heraus, wenn auch nicht immer wünschenswert klar formuliert, dass die kirchlichen Autoren immer mehr darum ringen, festzulegen, wer in der Lage ist, sich prophetisch zu äußern, wer also letztlich Anteil am Lehrprimat der Kirche hat: Das kann einerseits im Sinne einer Selbstversicherung, andererseits aus einer Konfliktsituation erwachsen. Die Selbstversicherung findet man vor allem in der sich etablierenden akademischen Zunft; die Bedeutung des Berufes wird also von seinen Ausübenden selbst betont. Wie schon die Scholastiker, so bestätigten sich die Dominikaner selbst in ihrer Bedeutung, da ihre Tätigkeiten mindestens eine Prophetie niederen Grades waren. In den Konfliktsituationen galt es, theologische Abweichler zu diskreditieren: Natürlich konnten sich Mohammed (89-94), die Katharer (101), vor allem aber Joachim von Fiore (besonders 113, 176), Petrus Johannes Olivi (Kap. 4) und die ihnen folgenden Spiritualen nicht glaubwürdig prophetisch äußern, schließlich waren sie schlimmstenfalls Häretiker. Mindestens aber waren sie nicht von der Vernunft geleitet - ein Faktor, der bei den scholastisch geprägten Autoren von exorbitanter Bedeutung war; die Entrückung (raptus) wurde zunehmend argwöhnisch beäugt.
Wenn in der Nachfolge des Petrus Lombardus, vor allem aber der dominikanischen Autoren, allerdings nun schon Predigt und das Singen von Psalmen als prophetisch betrachtet werden konnten, war die Grenze zu gegenwärtiger, nicht liturgischer Dichtung zunehmend dünn - was von Albertino Mussato in seinen früheren Jahren sehr nachdrücklich verfochten wurde. Er zog gleichwohl noch eine Abgrenzung zur theatralischen Aufführung von Dichtung, denn diese würde nur irreleiten, auch wenn sie die göttlich inspirierte Dichtung zur Aufführung brächte.
Auf Handschriften, mit denen der Autor reichlich gearbeitet hat, wird hin und wieder verwiesen ohne die entsprechende Stelle im Zitat beizugeben (bspw. 82, 172, 181). Der Verweis auf Übersetzungen (bspw. 64) ist manchmal etwas schwer nachvollziehbar, wenn im Quellenverzeichnis nur der lateinische Text verzeichnet ist. Im Lateinischen, sofern wiedergegeben, finden sich vereinzelt Tippfehler (etwa 53, 55, 222). Bei langen Schachtelsätzen der lateinischen Autoren greift Fitzgerald hin und wieder wenig förderlich in die Interpunktion ein (bspw. 59, 64).
Im Index werden etwa fünfzehn behandelte Autoren nicht aufgeführt, wobei das Auswahlkriterium nicht immer deutlich wird, wenn etwa wenig 'ertragreiche' Autoren wie Homer sehr wohl im Index verzeichnet sind, nicht jedoch Gottfried von Vinsauf, Johannes von Garlandia, Thomas von Cantimpré (101), Johannes de Monte Sancti-Eligii (104) und andere mehr. Doch das ist freilich nicht dem Autor, sondern dem Verlag zuzurechnen.
Zusammenfassend bleibt festzuhalten: Zwar trüben einige Faktoren den Gesamteindruck, doch bietet Fitzgerald eine sehr reiche, sehr gelehrte, vor allem aus den Quellen erarbeitete Monographie, in der eine Vielzahl mittelalterlicher Autoren herangezogen wird.
Anmerkungen:
[1] Es genüge der Verweis auf G. L. Potestà / L. Hödl / M. Laarman, in LexMA VII, coll. 252-256.
[2] Das Todesjahr des Petrus Pictaviensis de Sancto Victore stimmt gemäß SISMEL-Kompendium um ein Jahr mit dem von Fitzgerald angegebenen überein (nach 1216 gegenüber 1215); nur für Petrus Pictaviensis († 03.09.1205) ist ein Psalmenkommentar bekannt. Zu beiden sei auch verwiesen auf die Lexikoneinträge F. Courth: Petrus Pictaviensis, Chorherr v. St. Viktor, in: LexMA VI, coll. 1981-1982, und F. Courth: Petrus Pictaviensis, Kanzler, in: LexMA VI, col. 1981.
Andreas Kistner