Katarzyna Woniak: Verdrängen und Wiederentdecken. Die Erinnerungskulturen in den west- und nordpolnischen Kleinstädten Labes und Flatow seit 1945. Eine vergleichende Studie (= Studien zur Ostmitteleuropaforschung; 36), Marburg: Herder-Institut 2016, X + 419 S., ISBN 978-3-87969-403-7, EUR 61,00
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Diese Rezension erscheint auch in der Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung.
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Forschungen zur Erinnerungskultur im deutsch-polnischen Kontaktbereich boomen seit mehr als 20 Jahren. Als Höhepunkt dieser Entwicklung kann das fünfbändige Werk Deutsch-Polnische Erinnerungsorte gelten. In dem die Publikation ergänzenden interdisziplinären Lexikon Modi Memorandi, das nur auf Polnisch erschienen ist [1], hat Woniak den Beitrag zur lokalen Erinnerung verfasst und damit ihre aus der hier zu besprechenden Dissertation gewonnene Expertise in das Großprojekt eingebracht.
Der Fokus auf das Lokale füllt nach der Rekonstruktion der Erinnerungskultur von Großstädten wie Danzig, Breslau, Bromberg oder Stettin tatsächlich eine Forschungslücke. Woniak hat sich dazu der Erinnerungskultur ihrer Heimatstadt Labes (Łobez) nach 1945 zugewandt und als Vergleichsobjekt das bereits durch Mathias Niendorf in den Fokus der deutschen Historiografie gerückte Flatow (Złotów) [2] ausgewählt. Neben der Auswertung der lokalen Historiografie und der archivalischen Überlieferung der staatlichen Behörden auf unterschiedlichen Ebenen hat Woniak auch Schul- und Pfarreiarchive durchgesehen sowie in beiden Orten etwa zehn Bewohner befragt. Zur Rekonstruktion der Traditionspflege der ehemaligen deutschen Bewohner hat sie auch deren Sammlungen und Publikationen ausgewertet sowie ein Interview geführt. Wegen der in Kleinstädten geringeren Archivproduktion konnte sie dabei viel tiefer gehen als es bei vergleichbaren Forschungen zu Großstädten möglich wäre.
Die Einwohnerzahl Labes' erhöhte sich von den 1970er Jahren bis heute von 7000 auf 11000, in Flatow stieg dieser Wert von 11000 auf 18000. Die etwa 150 Kilometer voneinander entfernt im Nordwesten Polens gelegenen Kreisstädte gehörten bis 1945 zum Deutschen Reich. Im Unterschied zu Labes war Flatow jedoch bis 1772 Bestandteil Polens gewesen und verfügte über eine polnischsprachige autochthone Bevölkerung, sodass die historische Traditionspflege hier im Gegensatz zum bis 1945 praktisch nur von Deutschen bewohnten Labes eine völlig andere Grundlage hatte. In Flatow bestehende institutionelle und personelle Kontinuitäten gab es im ausschließlich von Neusiedlern bewohnten Labes nicht.
Vor diesem Hintergrund und aufgrund der größeren Bevölkerungszahl verwundert es nicht, dass die historische Traditionspflege in Flatow intensiver ausgeprägt war als in Labes. Dennoch fehlte es in beiden Kreisstädten an Institutionen, Personal und auch Geld, um eine größeren Städten vergleichbare Erinnerungskultur zu pflegen. Es mangelte lange Zeit an Publikationen, die historische Informationen bündelten und erinnerungskulturelle Aktivitäten anregen konnten. Der von oben verordnete "Tag der Befreiung" (der Tag der Eroberung der Stadt durch sowjetisch-polnische Truppen 1945) blieb so jahrzehntelang der wichtigste historische Jahrestag. Ein Rote-Armee-Denkmal in Labes (1948) und ein Soldatendenkmal in Flatow (1951) verwiesen ebenfalls auf die polnisch-sowjetische Freundschaft. Parallel dazu gab es noch Überreste deutscher Denkmäler, deren endgültige Beseitigung nicht zu den Prioritäten der lokalen Gesellschaften gehörte. Der in Traugutt-Turm umbenannte Bismarckturm in Flatow verschwand so erst 1965. Erst die Feier des 700. bzw. 600. Geburtstags der beiden Kleinstädte in den 1970er Jahren brachte mehr Lokalkolorit in die ritualisierte Erinnerungskultur.
Wirklich einschneidende Veränderungen brachte erst das Ende der Volksrepublik Polen und die damit einhergehende geopolitische Umorientierung der staatlichen Stellen von der deutsch-sowjetischen zur deutsch-polnischen Freundschaft mit sich. Dies schlug sich auch in den ehemals deutschen Kleinstädten nieder, deren Erinnerungskultur seitdem zunehmend offen auf die deutsche Vergangenheit hinwies. Es zeigt sich jedoch, dass Labes hier offener war, zwei nach 1945 zerstörte Denkmäler (Roland, Turnvater Jahn) wiedererrichtete und bereits 1993 einen deutsch-polnischen Gedenkstein aufstellte. Woniak erklärt dies mit der in Labes aufgrund der fehlenden polnischen Vergangenheit schwierigeren Identitätssuche der Bewohner. In Flatow steht dagegen wegen der Präsenz der Autochthonen der Kampf gegen die Germanisierung vor 1945 im Mittelpunkt der lokalen Erinnerungskultur, was eine Betonung der deutsch-polnischen Freundschaft erschwert. Die Offenlegung und Kennzeichnung jüdischer Spuren in Flatow sieht Woniak vor diesem Hintergrund als Strategie an, eine multikulturelle anstatt nur deutsch-polnische Vergangenheit darzustellen.
Abschließend lässt sich sagen, dass vor allem der deskriptive Teil der Arbeit von Woniak überzeugt und neue Erkenntnisse mit sich bringt. Getrübt wird dies jedoch dadurch, dass der Text trotz aufwändigem Lektorat (X) immer noch zahlreiche sprachliche Unsauberheiten und Polonismen enthält. Selbst auf dem Buchrücken erfährt der Leser, dass die Studie die Analyse der Erinnerungskulturen "betrifft" anstatt "behandelt". Ärgerlich sind auch falsche Übersetzungen wie "Völkische Sportverbände" (28) für "Ludowe Zespoły Sportowe", da in diesen sicherlich kein völkisches Gedankengut gepflegt wurde. Gleiches gilt für das Fehlen einer Karte, die dem Leser gezeigt hätte, wo genau Labes und Flatow eigentlich liegen. Inhaltlich bleibt zu bedauern, dass eine Analyse der Akteure im Gegensatz zur Ankündigung (17) weitgehend ausbleibt. Stattdessen wird häufig auf "man" (u. a. 66 f., 75) oder auch den "örtlichen Klerus" (95) verwiesen. Es bleibt daher weitgehend offen, wer die Akteure der Erinnerungskultur waren, welche Biografien sie hatten, welcher Generation sie angehörten etc. Da aber gerade in Kleinstädten eine Person den Unterschied ausmachen bzw. den Ton angeben kann - man denke hier nur an Zbigniew Czarnuch in Vietz (Witnica) -, ist dies mehr als nur zu bedauern. Ebenfalls fraglich bleibt, wie typisch Flatow für nordwestpolnische Kleinstädte mit einem polnischen Bevölkerungsanteil vor 1945 und der Zugehörigkeit zu Polen vor 1772 ist. Weitere Untersuchungen zu anderen Kleinstädten wie Schlochau (Człuchów), Deutsch Krone (Wałcz) und Schönlanke (Trzcianka) wären daher sehr wünschenswert.
Anmerkungen:
[1] Robert Traba / Magdalena Saryusz-Wolska (eds.): Modi memorandi. Leksykon kultury pamięci [Lexikon der Erinnerungskultur], Warschau 2014.
[2] Mathias Niendorf: Minderheiten an der Grenze. Deutsche und Polen in den Kreisen Flatow (Złotów) und Zempelburg (Sępólno Krajeńskie) 1900-1939, Wiesbaden 1997.
Stefan Dyroff