Jamie Miller: An African Volk. The Apartheid Regime and Its Search for Survival, Oxford: Oxford University Press 2016, XXI + 439 S., 34 s/w-Abb., ISBN 978-0-19-027483-2, GBP 56,00
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In der Regel ist auf die obligatorischen Lobpreisungen auf der Rückseite von Büchern nicht allzu viel zu geben. Im Fall von Jamie Millers "An African Volk" sind diese jedoch absolut gerechtfertigt. Miller hat ein gut recherchiertes und detailreiches Buch geschrieben, das nicht nur die in den letzten Jahren oft beklagte mangelnde Forschung zur Geschichte der "weißen" Herrscher des Apartheidregimes bereichert [1], sondern exemplarisch vorführt, wie eine solche Geschichtsschreibung zeitgemäß aussehen kann. Miller erforscht die außenpolitischen Strategien, mit denen das Apartheidregime unter Präsident John Vorster seine prekäre Legitimität in einem postkolonialen Afrika zu sichern suchte. Der Schwerpunkt der Untersuchung liegt auf den Jahren 1974 bis 1976. Der Autor plädiert dafür, das Vorsters Außenpolitik zugrunde liegende politische Imaginäre nicht als bloße Fassade abzutun, sondern in seiner historischen Wirksamkeit ernst zu nehmen. Entstanden ist so ein lesenswertes, vielschichtiges Buch, das zwischen politischer Kulturgeschichte, klassischer Politikgeschichte und einer intellektuellen Biographie Vorsters changiert.
Es gliedert sich in drei große Teile, von denen der erste die Entwicklung und die anfänglich günstigen Bedingungen für die Neuausrichtung der südafrikanischen Außenpolitik umfasst und der zweite Herausforderungen und Krise rund um den Angola-Krieg ab 1975 analysiert. Ein dritter Teil beschäftigt sich mit dem Scheitern von John Vorsters "African outreach"-Politik und der Umorientierung hin zum Primat des "white redoubt" oder "total onslaught" unter seinem Nachfolger Pieter Willem Botha.
Nach einer sehr dichten Einleitung breitet Miller in den folgenden Kapiteln den historischen und ideengeschichtlichen Hintergrund für seine Interpretation aus. Im Mittelpunkt stehen die weiteren Umstände von Vorsters Wahl und dessen außenpolitisches Konzept. Miller gelingt es, die komplexen Verbindungen zwischen der verbesserten wirtschaftlichen und sozialen Situation der Buren in den 1960er Jahren, die neue außenpolitische Situation in einem postkolonialen Afrika mit einer wachsenden Zahl an unabhängigen Staaten und die daraus resultierenden Herausforderungen für das Regime und die Nationale Partei unter Vorster überzeugend aufzuschlüsseln. Erstmals orientierte sich Südafrika außenpolitisch innerhalb Afrikas und versuchte, durch Anerkennung der staatlichen Souveränität der "schwarzen" Staaten seine diplomatische Isolation aufzubrechen, worauf nicht zuletzt der Titel des Buches "An African Volk" hinweist. So sollten moderate, nicht kommunistisch beeinflusste afrikanische Staaten auf Pretorias Seite gezogen werden. In dieser Phase der Détente kooperierte Vorster unter anderem eng mit Sambias Präsident Kenneth Kaunda in den Verhandlungen über die politische Zukunft Rhodesiens. Auch die innersüdafrikanische Homeland-Politik, die forcierte staatliche "Unabhängigkeit" der den Schwarzen zugewiesenen Gebiete, wird von Miller als "innovative" Anerkennung "schwarzer" Souveränität interpretiert. Auch wenn die Motivation dahinter der Erhalt des weißen Apartheidregimes war, sei Vorsters Anerkennung für "African independence" innerhalb der ideologischen Neuausrichtung als wirkliche Überzeugung, nicht als politischer Pragmatismus zu werten und stellte zeitgenössisch im Gefüge des burischen Nationalismus eine wesentliche Innovation dar.
Vorsters außenpolitische Strategie war jedoch keineswegs unumstritten und vor allem kurzlebig, wie der zweite Teil zeigt. Seine innerparteilichen Gegenspieler um P.W. Botha, die sogenannten "Verkramptes" oder "hawks", sahen in der Anerkennung der Souveränität postkolonialer Staaten eine Gefahr für Südafrika und die Erhaltung weißer Herrschaft. Außerdem nahmen sie im Kontext des Kalten Krieges die meisten afrikanischen Unabhängigkeitsbewegungen als von der Sowjetunion beeinflusst wahr, weshalb es im Rahmen ihrer "total strategy" auch diese vermeintliche kommunistische Expansion aktiv zurückzudrängen galt. Die Konfliktlinie zwischen den "hawks" und den "doves" oder "Verligtes" um Vorster dient Miller als strukturierender Faden seines Buches. Im Angolakrieg 1975 brach sie offen auf. Das südafrikanische militärische Engagement erfolgte laut Miller nicht nur auf Betreiben der USA, sondern eigenständig, ja fast in einem Alleingang des Militärs unter Botha, der das Kabinett vor vollendete Tatsachen stellte. Dies ließ alle vorherigen Ansätze der politischen Entspannung fragwürdig erscheinen. Letztendlich war eben doch Machterhaltung um jeden Preis für das Apartheidregime das zentrale außenpolitische Ziel. Miller bezieht damit, quellengestützt, eine sehr klare Position in der Forschungsdebatte um den Angola-Krieg [2], zeigt aber vor allem, welche Rolle südafrikanische Interessen an diesem Stellvertreterschauplatz des Kalten Krieges spielten.
Der letzte Teil widmet sich dann dem erneuten Wandel der südafrikanischen Außenpolitik nach dem Angola-Krieg. Miller zeigt, dass der anfängliche Erfolg von Vorsters Entspannungspolitik wohl auch zu einem guten Teil dem historischen Moment geschuldet war. Mit dem Angola-Krieg, spätestens jedoch mit der Wahl Jimmy Carters zum US-Präsidenten war dieser jedoch beendet: Verteidigung der "weißen Bastion" mittels "total strategy" war nun die Devise, personifiziert im Machtwechsel zu Botha. Aber selbst wenn Südafrika Politik auf Augenhöhe gegenüber dem postkolonialen Afrika hätte betreiben wollen, wurde dem Regime im globalen Kontext nicht mehr die Möglichkeit dazu gegeben.
Neben der überzeugenden Interpretation und der gelungenen Einbindung der südafrikanischen Perspektive in den globalen Kontext des Kalten Krieges zeichnet sich Millers Arbeit durch die sorgfältige Quellenanalyse und den Einbezug von Interviews mit maßgeblichen politischen Protagonisten aus. Schön ist auch der Einsatz von Fotografien und insbesondere zeitgenössischen südafrikanischen politischen Karikaturen. Gerade letztere verdeutlichen Millers Thesen oft exemplarisch und tragen so wesentlich zu einem besseren Verständnis bei.
Die Vielschichtigkeit des Buches ist seine große Stärke und gleichzeitig sein größtes Problem: Je nach geschichtswissenschaftlicher Präferenz erscheint manches zu detailliert, anderes zu oberflächlich. Die politikgeschichtlichen Teile hätten gestrafft, die kulturgeschichtlichen ausgebaut werden können, denn um die postulierte Relevanz des politischen Imaginären genauer herauszuarbeiten, hätte die Analyse des persönlichen und politischen Umfeldes von Vorster sowie der ideologischen Einflüsse auf ihn ausführlicher sein können. So wirkt er zum Teil wie ein isolierter, unproblematischer und verdienstvoller Politiker, da seine Person im Gegensatz zu Botha erst gegen Ende kritisch eingeordnet wird. Doch mag dies auch der schwierigen Quellenlage geschuldet sein. Zudem bewirkt die Konzentration auf die Außenpolitik eine Schieflage, denn die soziale Realität der Apartheidgesellschaft wird bis auf den Soweto-Aufstand nahezu komplett ausgeblendet. Der Leser muss sich selbst daran erinnern, dass Südafrika ein Unrechtsregime war. Denn auch wenn Miller innenpolitische Debatten einbezieht, so umfasst dies nahezu ausschließlich solche im Inneren des weißen Regimes.
Dennoch ist Millers Studie sehr ambitioniert, und sie will auch keine allumfassende Studie zu Apartheid sein. Allen, die sich für eine moderne Politikgeschichte Südafrikas interessieren, kann sein Buch nur empfohlen werden. In jedem Fall demonstriert Miller eindrücklich, dass die wissenschaftliche Beschäftigung mit den politischen Strukturen von Apartheid keineswegs als abgeschlossen betrachtet werden kann.
Anmerkungen:
[1] 14. Siehe v.a. Saul Dubow: Apartheid, 1948-1994, Oxford 2014, IX.
[2] Siehe ausführlich Robert McNamaras Rezension: http://www.history.ac.uk/reviews/review/2159
Sarah Schwab