Steffie Schmidt: Professoren im Norden. Lutherische Gelehrsamkeit in der Frühen Neuzeit am Beispiel der theologischen Fakultäten in Kopenhagen und Uppsala (= Forschungen zur Kirchen- und Dogmengeschichte; Bd. 116), Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2018, 376 S., ISBN 978-3-525-57058-6, EUR 75,00
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"Will man das Luthertum, das sich stärker als die anderen beiden großen Konfessionen von vornherein unter den spezifischen Gegebenheiten im föderalen Verbund des Heiligen Römischen Reiches herausbildete, als ein internationales Phänomen wahrnehmen, ist eine komparative Studie, die den Blick auf lutherische Gebiete außerhalb der Reichsgrenzen lenkt, unumgänglich. Die nordischen Königreiche als vielleicht wichtigste ausländische Rezipienten lutherischen Gedankenguts in der Frühen Neuzeit bieten sich für einen solchen Vergleich vorrangig an" (331). Entsprechend nimmt die hier anzuzeigende Studie - eine Göttinger Dissertation - zur inhaltlichen Eingrenzung des genannten Vergleichs exemplarisch die theologischen Fakultäten in Kopenhagen und Uppsala in den Blick, und zwar entlang dreier Themenkomplexe, die sich dann auch in der luziden Gliederung der Arbeit niederschlagen: Auf die Einleitung (11-25) folgen drei argumentativ geschickt ineinandergreifende Hauptteile, deren erster sich mit Fragen der Rechtsordnung beider Institutionen und ihrer daraus resultierenden Struktur befasst (27-113), bevor - sodann - angesichts der normativen Rahmenbedingungen die inhaltliche Ausrichtung und die faktische Ausgestaltung des akademischen Lehr- und Prüfungswesens ins Zentrum der Aufmerksamkeit rücken (115-223). Der dritte Hauptteil widmet sich schließlich den vielschichtigen Vernetzungsphänomenen und Austauschoptionen zwischen skandinavischen Theologieprofessoren und ihren Kollegen im Reich (225-330). Die Ergebnisse der Untersuchung werden abschließend noch einmal gebündelt und kontextualisiert (331-340). Beigegeben sind neben einer umfassenden Bibliographie ein Orts-, ein Personen- und ein Sachregister (345-376).
Insgesamt soll der Tatsache Rechnung getragen werden, dass "die nordischen Königreiche Dänemark-Norwegen und Schweden erheblich dazu beitrugen, dass die durch Martin Luther initiierte Reformation die Grenzen des Heiligen Römischen Reiches verließ und zu einem europäischen Ereignis wurde" (11). Die diesbezüglich in der Forschung herausgestellte zentrale Rolle gelehrter Institutionen, allen voran der Universitäten, veranlasst die Fokussierung auf die Hochschulen von Kopenhagen und Uppsala als den beiden ältesten Universitäten Skandinaviens, die im Zuge der reformatorischen Umbrüche wiedereröffnet wurden. Ihre Entwicklung im 16. und 17. Jahrhundert "unter protestantischen Vorzeichen gibt nicht nur Auskunft über die Vielgestaltigkeit bildungsgeschichtlicher Organisationsformen des Luthertums, sondern erlaubt auch genauere Differenzierungen zwischen den Königreichen des skandinavischen Kulturraums [...]" (15). Ziel ist es somit, wie auch der Aufbau der Studie verdeutlicht, "ein spezifisches Profil der skandinavischen Universitäten und der an ihnen angebotenen theologischen Ausbildung unter Berücksichtigung ihrer Kontakte zum internationalen gelehrten Luthertum" aufzuzeigen (25). Während nun sowohl die Umstände der Wiedereröffnung als dezidiert protestantische Institutionen als auch die Festlegung und weitere Entwicklung der rechtlichen Rahmenbedingungen sehr unterschiedlich ausfielen und so die ganze Breite und Wechselhaftigkeit der reformatorischen Um- und Aufbrüche in Dänemark-Norwegen und Schweden veranschaulichen, erzeugt die Notwendigkeit der Pfarrausbildung auffällige Gemeinsamkeiten auf der Ebene der akademischen Infrastruktur und der alltäglichen Lehrpraxis. Doch bereits deren lehrmäßige Fundierung weist - genauso wie die Gegenstände des theologisch-dogmatischen Unterrichts - erneut bemerkenswerte Differenzen auf, die exemplarisch die ganze innere Pluralität des frühneuzeitlichen Luthertums vor Augen stellen: "Anders als in Kopenhagen beschränkten sich die Professoren (in Uppsala) nicht auf die Confessio Augustana, sondern beschäftigten sich auch mit anderen Bestandteilen des Konkordienbuchs. Die unterschiedliche Bekenntnislage in Dänemark-Norwegen und Schweden spiegelt sich darin unmittelbar wider" (221).
Das kirchen- und theologiegeschichtliche Kernstück der sehr gut lesbaren Monographie bildet der dritte Hauptteil, der sich der Frage zuwendet, "wie sich die Verbindungen zwischen skandinavischen und deutschen Theologieprofessoren gestalteten" (226). Deutlich wird, dass die Kontakte wesentlich durch die peregrinatio academica gespeist wurden: Die Bildungsreisen skandinavischer Theologen an wirkmächtige akademische Ausbildungsstätten im Reich stifteten nicht nur direkte Bekanntschaften, sondern dienten auf beiden Seiten auch als Informationsquellen. Grundsätzlich lässt sich für die allermeisten Theologieprofessoren in Kopenhagen und Uppsala eine solche peregrinatio academica nachweisen: "Die Studien an der heimischen Universität durch einen Aufenthalt an ausländischen Hochschulen zu ergänzen, kann als Einstellungskriterium gewertet werden" (233). Beachtung verdienen in diesem Kontext die von Kopenhagen und Uppsala aus angesteuerten Reiseziele: Während Theologen erstgenannter Hochschule etwa bis Mitte des 17. Jahrhunderts im Reich mehrheitlich die Leucorea besuchten, lässt sich für ihre schwedischen Zeitgenossen eine klare Präferenz für Rostock feststellen, demgegenüber Wittenberg und Greifswald eine nachgeordnete Rolle spielten, was nicht zuletzt "den enormen Einfluss des [...] David Chytraeus auf die schwedische Theologie in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts bestätigt" (237). Bezüglich des Informationsflusses und seiner Inhalte ist dann die Auswertung der erhaltenen Korrespondenzen höchst aufschlussreich, die zudem als wahrnehmungshistorische Quellen ersten Ranges zu stehen kommen und die die Verstetigung des Austauschs sowie die Qualität der Vernetzung über die Bildungsreisen hinaus dokumentieren (vgl. 246-288).
Doch dabei bleibt die Analyse nicht stehen; vielmehr geht es ihr auch um die Identifikation von Gelegenheiten, "bei denen von Theologen aus dem Reich auf institutioneller Ebene der Kontakt zu den Professorenkollegien an den theologischen Fakultäten im Norden gesucht wurde", um zu eruieren, "inwiefern die skandinavischen Fakultäten vom gelehrten Luthertum im Alten Reich überhaupt als Gesprächspartner, potentielle Verbündete und ernstzunehmende Autoritäten in Auseinandersetzungen mit theologischen Anknüpfungspunkten wahrgenommen wurden" (289). Dieser Fragekomplex berührt notwendigerweise das Feld des theologischen Gutachtenwesens. Tatsächlich wurden die Fakultäten in Kopenhagen und Uppsala nicht nur konsultiert, sondern waren durch die Frage nach Stellungnahmen direkt in die Lehrstreitigkeiten im Reich involviert, und zwar keineswegs immer nach Wunsch. Die angefragten Professoren bzw. Fakultäten in Dänemark-Norwegen und Schweden agierten meist vorsichtig zurückhaltend, wie beispielsweise das Verhalten der Fakultät in Uppsala im Rahmen der sog. Synkretistischen Streitigkeiten veranschaulicht (299-316). Gewissermaßen eingeklemmt zwischen den außen- und bündnispolitischen Absichten ihrer weltlichen Obrigkeit einerseits, dem Drängen und der vorangehenden Positionierung ihrer Kollegen im Reich andererseits, verfolgten die schwedischen Theologen im Zusammenhang mit dem Kasseler Religionsgespräch von 1661 die Strategie, "den Wittenbergern so weit wie notwendig entgegenzukommen, um nicht den Verdacht zu erregen, mit den ,Synkretisten' zu sympathisieren" (303). Zugleich aber suchten sie die Deckung der königlichen Autorität, bevor sie sich weiter in den theologischen Streit hineinziehen ließen: "Poltisches Kalkül war der religiösen Überzeugung und akademischen Entscheidungsgewalt übergeordnet" (304). Hinzu trat ein anderes bemerkenswertes Motiv: Aufgrund der engen Verquickung von Theologie und Politik und vor dem Hintergrund der schwerlich zu überschätzenden Bedeutung von Rangfragen hätte ein gleichermaßen vollständiges wie eindeutiges Einschwenken auf die Wittenberger Linie auch als politische Unterordnung Schwedens unter den Willen des sächsischen Kurfürsten gelesen werden können. "Trotz aller politischer Gegensätze im Norden verläuft in diesem Fall eine klare Grenze zwischen dem dänisch-norwegischen und schwedischen Königreich auf der einen Seite und den Territorien und Städten des Heiligen Römischen Reiches auf der anderen Seite. Hier macht sich nicht nur die räumliche und kulturelle Distanz zu Zentraleuropa bemerkbar, sondern auch das politische Selbstbewusstsein und die Unabhängigkeit eines skandinavischen Königtums gegenüber einem (Kur-)Fürstentum im Alten Reich" (309).
Derartige Fragen und die damit einhergehenden Aushandlungsprozesse setzen freilich eine internationale Tragweite skandinavischer Stellungnahmen in Form theologischer Gutachten voraus, was wiederum die internationale Verflechtung des frühneuzeitlichen Luthertums auch an dieser Stelle eindrücklich vor Augen führt. Die skandinavischen Professoren partizipierten jedenfalls an den umfassenden Debatten und theologiegeschichtlichen Entwicklungen des frühneuzeitlichen Luthertums, und das mitnichten nur peripher. Ihre traditionsreichen Fakultäten gestalteten eben die Herausbildung lutherischer Internationalität wirksam mit, ohne dabei ihr eigentümliches Profil aufzugeben. Dass und warum also die Untersuchung von Phänomenen der Netzwerkbildung, des Austauschs und der Reziprozität innerhalb lutherischer Gelehrtenkultur im europäischen Raum der weiteren Forschung zu Konfessionalisierung und Konfessionskulturen insgesamt wichtige Impulse zu geben vermag, verdeutlicht dieser rundum erhellende und differenzierte Blick in den Norden.
Christian Volkmar Witt