Philip Haas: Fürstenehe und Interessen. Die dynastische Ehe der Frühen Neuzeit in zeitgenössischer Traktatliteratur und politischer Praxis am Beispiel Hessen-Kassels (= Quellen und Forschungen zur hessischen Geschichte; 177), Darmstadt: Hessische Historische Kommission Darmstadt 2017, 393 S., 8 s/w Abb., ISBN 978-3-88443-332-4, EUR 36,00
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Die während seiner Mitarbeit im Sonderforschungsbereich/Transregio 138: "Dynamiken der Sicherheit" entstandene seitenstarke Arbeit intendiert - gleich vorwegnehmend - in gelungener Weise die Überprüfung der kolportierten großen Bedeutung von dynastischen Ehen in der Frühen Neuzeit und die Erforschung der politischen Interessen für Familie und Land, welche theoretisch (in der Traktatliteratur) mit der Heiratsverbindung zu erreichen waren und tatsächlich (in den Verhandlungen) verfolgt und umgesetzt wurden. Mit der Untersuchung der die Fürstenehe betreffenden Traktatliteratur leistet Haas einen bedeutenden Beitrag zur Definition und Abgrenzung von zeitgenössischen Interessensbegriffen wie salus/utilitas publica oder amicitia. Die in den einzelnen Theoriewerken definierten und priorisierten Interessen einer dynastischen Ehe, d.h. kurz- und langfristige Vorteile, die den einzelnen Parteien und dem Staat durch die Verbindung entstehen sollten, gleicht Haas mit einer Reihe von Heiratsprojekten des bisher in der Forschung wenig beachteten protestantischen Landgrafenhauses Hessen-Kassel ab. Der zeitliche Untersuchungsrahmen erstreckt sich vom Ende des Dreißigjährigen Krieges, nach dem - so Haas - für Hessen-Kassel eine neue Ära auch in der Ehepolitik begann, bis 1740, dem Jahr der Konversion des Erbprinzen Friedrich zum Katholizismus, wodurch sich neue Verhandlungsfronten eröffneten.
Nach der Darstellung des Forschungsstandes zum Thema der dynastischen Ehe und des den Prämissen der "Neuen Politikgeschichte" und der Mikrogeschichte folgenden methodischen Zugangs widmet sich der Autor im zweiten Teil der von zahlreichen Analysen gestützten Betrachtung der dynastischen Ehe in den zeitgenössischen Traktaten und speziell in den hessischen Hausordnungen. Haas kristallisiert hier die "Interessen" sprachlich und ontologisch heraus, um sie dann in den verschiedenen Quellen zu den einzelnen Heiratsprojekten mit mehr oder weniger Intensität wiederzufinden.
Der dritte Teil der Arbeit untersucht die ausgewählten Eheschlüsse Hessen-Kassels mit Brandenburg (1649, 1679, 1700), Dänemark (1667), Nassau-Diez/Oranien (1709), Schweden (1715) und England-Hannover (1740). Entlang dieser fast hundertjährigen hessischen Heiratspolitik entwickeln sich - wie auch in den Traktaten angeführt - die Verbindungen zum "Instrument einer interessengeleiteten Politik" (323) mit dem Zweck, sowohl der Kriegsführung und Subsidienpolitik als auch der Friedenswahrung dienlich zu sein. Selbstverständlich zielte die frühneuzeitliche Fürstenehe auch auf die Dynastieerhaltung und wo möglich auf die Erweiterung von Erbansprüchen. Besonders wichtig scheint darüber hinaus - theoretisch wie praktisch - die durch die Eheschließung garantierte politische Freundschaft (amicitia) zwischen Fürsten und ihren Häusern gewesen zu sein. Weitere Forschungsergebnisse sind für Haas die Schlüsselstellung der Sicherheit des rangniedrigeren bzw. schutzbedürftigen Parts innerhalb der dynastischen Verbindung; das war in den meisten Fällen - aber wie der Autor zeigen konnte, nicht ausschließlich - die Braut.
Haas ist in seiner methodisch überzeugenden Arbeit ein Abgleich zwischen der normativen Ebene der Traktate und Hausordnungen und der Praxis der dynastischen Eheanbahnungen, Heiratsverhandlungen und der im fürstlichen und diplomatischen Schriftverkehr formulierten Interessen und Erwartungen gelungen. Die quellengesättigte, gut strukturierte Arbeit besticht durch eine klare Sprache und jenseits einiger Tippfehler durch gute Lesbarkeit.
Ein einziger Kritikpunkt, der anzubringen ist, soll und kann diese Leistung nicht schmälern. Die Kennzeichnung wörtlicher Zitate ist in der Arbeit sehr variabel gehandhabt und deswegen verwirrend. Es wird zwischen Absatz, Kleindruck und Kursiv gewechselt, jedoch stets ohne Anführungszeichen, wodurch nicht immer klar ist, ob es sich tatsächlich um ein wörtliches Zitat oder nur um eine Hervorhebung handelt.
Jenseits dieser allein die äußere Form betreffenden Anmerkung ist Haas eine qualitativ hochwertige, methodisch wohlüberlegte und inhaltlich aussagekräftige Arbeit gelungen.
Elena Taddei