Joël Graf: Die Inquisition und ausländische Protestanten in Spanisch-Amerika (1560-1770). Rechtspraktiken und Rechtsräume, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2017, 320 S., 3 s/w-Abb., ISBN 978-3-412-50907-1, EUR 45,00
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Die vorliegende Arbeit stellt die Frage nach dem Vorgehen der Inquisition gegen ausländische Protestanten in Hispanoamerika, das, wie Joël Graf überzeugend herausarbeitet, dem Bild der konsequenten Verfolgung Andersgläubiger wenig entspricht, das dem Santo Oficio ehemals anhaftete. Gleichzeitig distanziert sich Graf jedoch von Versuchen aus jüngerer Zeit, in der Geschichte der Inquisition eine Entwicklung hin zu mehr Toleranz sehen zu wollen. Vielmehr als eine neue, ähnlich stringente Interpretationslinie zu zeichnen, verweist er auf die Pluralität vor allem der rechtlichen Traditionen sowie der jeweiligen historischen Gegebenheiten, die die Inquisitoren bei ihrer Tätigkeit in Betracht zu ziehen hatten, worauf die im Plural gehaltenen Begriffe "Rechtspraktiken" und "Rechtsräume", die im Untertitel des Buches zu finden sind, hindeuten.
Gemäß dieser Prämisse geht es Graf vorrangig darum, eine teleologische Darstellung der Thematik zu vermeiden, insbesondere bei der Frage nach der Bedeutung der Abkommen, die Spanien im Lauf des Untersuchungszeitraumes vor allem mit den Niederlanden und England abschloss, und in denen Rahmenbedingungen für den Umgang mit Protestanten aus jenen Ländern in den spanischen Territorien festgelegt wurden. In der Regel sollte dabei nicht behelligt werden, wer durch die Ausübung seiner Religion keinen escándalo hervorrief und dem katholischen Ritus öffentlich Reverenz erwies. In Teilen der Forschung wurde dies häufig als Zeichen dafür gewertet, dass im Lauf der Zeit der Toleranz, bedingt durch die Erfordernisse der Staatsräson, zunehmend Vorrang vor der unbedingten Verteidigung des katholischen Glaubens eingeräumt wurde. Der Autor verwahrt sich gegen solche Erklärungsmuster, zum einen durch eine zeitgenössische Betrachtung des Toleranzbegriffs, zum anderen dadurch, dass er aufzeigt, dass das häufig gemäßigte Vorgehen der hispanoamerikanischen Inquisition gegen ausländische Protestanten durchaus bereits vor dem Abschluss der genannten Verträge zu finden ist.
In den Fallbeispielen, die den überwiegenden Teil des Buches ausmachen, wird deutlich, dass der Inklusion der Ausländer meist Vorrang gegenüber der Verhängung exemplarischer Strafen eingeräumt wurde. Das galt vor allem im Fall einer Selbstanzeige, die in der Regel lediglich eine Absolution ad cautelam, einen Freispruch unter Vorbehalt, nach sich zog und offenbar durchaus auch von Seiten der Protestanten als Mittel genutzt wurde, um sich dauerhaft in die hispanoamerikanische Gesellschaft zu integrieren. [1] Harte Strafen mussten demnach vor allem diejenigen Protestanten befürchten, die "rückfällig" wurden, ferner diejenigen, die nicht durch die "Dissimulation" ihres wirklichen Glaubens bereits recht gut in die Gesellschaft integriert waren. Ein gewisses Vermögen, das im Falle einer Verurteilung konfisziert wurde, schien für die Beamten des Santo Oficio ebenso ein Anreiz für eine härtere Bestrafung gewesen zu sein wie eine französische Herkunft: Zum einen bestanden keine Schutzverträge mit Frankreich, zum anderen konnten die französischen Protestanten nicht im gleichen Maße auf ihre Unkenntnis des katholischen Glaubens aufgrund ihrer Herkunft verweisen wie Niederländer oder Engländer.
Zwar behielten sich die hispanoamerikanischen Inquisitoren häufig vor, gegen protestantische Ausländer vorzugehen, obgleich deren Schutz in den genannten Verträgen rechtlich verankert war, doch wurden in ihren Reihen immer wieder Stimmen laut, die die Gültigkeit derselben für die Indias in Frage stellten. Eine weitere zentrale Frage Grafs lautet daher: "War Amerika anders?". Er weist dabei nach, dass die hispanoamerikanischen Inquisitoren trotz vereinheitlichender Bestrebungen des spanischen Inquisitionsrates häufig ihre Spielräume nutzten. Diese waren nur zum Teil Folge der räumlichen Entfernung zum Inquisitionsrat. In besonderem Maße wurden sie mit dem Argument begründet, dass die indigene Bevölkerung der amerikanischen Territorien eines besonderen Schutzes vor Häretikern bedürfe. Zudem hielten sich alle Ausländer, katholisch oder nicht, während der gesamten Kolonialzeit prinzipiell illegal in den spanischen Besitzungen in Amerika auf, woran auch die internationalen Verträge, die auf Handelsinteressen Rücksicht zu nehmen suchten, nichts änderten. Die amerikanische Inquisition bewegte sich damit stets zwischen kirchlichen Interessen und politischen und ökonomischen Notwendigkeiten. Darin besteht eine der Ursachen dafür, dass häufig Klärungsbedarf mit kirchlichen wie weltlichen Autoritäten bestand, weshalb von einer einheitlichen Vorgehensweise nicht die Rede sein kann.
Das Buch schließt folgerichtig mit einem Hinweis auf die Diversität der "strukturellen Voraussetzungen" und juristischen Traditionen der hier untersuchten "Rechtsräume" wie auch der "Rechtspraktiken", die je nach Fall, aber auch nach den beteiligten Personen oder der jeweiligen historischen Situation, variierten. [2] Durch seinen breiten geographischen und vergleichenden Ansatz sowie die Infragestellung gängiger Interpretationsmuster dürfte Grafs Monografie eine Referenz für die Erforschung der Inquisitionstätigkeit in Hispanoamerika werden. Zugleich lässt sie jedoch Raum für künftige Untersuchungen, etwa durch eine mögliche Ergänzung der Quellenbasis durch Material aus weiteren hispanoamerikanische Archiven (die Arbeit basiert vorwiegend auf Archivmaterial aus Spanien und Mexiko) oder auch eine Ausweitung des Untersuchungszeitraums über die - ohnehin recht kurz gehaltene - Darstellung der bourbonischen Herrschaftszeit bis zur Abschaffung der Inquisition in Hispanoamerika hinaus.
Anmerkungen:
[1] Graf stützt sich dabei vor allem auf Tamar Herzog, die die Bedeutung des katholischen Glaubens für die Integration von Ausländern in die spanische Gesellschaft hervorgehoben hat (s. vor allem Tamar Herzog: "Can You Tell a Spaniard When You See One? "Us" and "Them" in the Early Modern Iberian Atlantic", in: Pedro Cardim et. al.: Polycentric Monarchies. How did Early Modern Spain and Portugal Achieve and Maintain a Global Hegemony?, Brighton 2012, S. 147-161).
[2] Eine stärkere Verknüpfung des Vorgehens gegen Ausländer mit den politischen und ökonomischen Interessen von Regierung und konkurrierenden "einheimischen" Wirtschaftsinteressen in den jeweiligen Zeitabschnitten wäre dabei interessant gewesen. Vgl. dazu etwa Martin Biersack: "Las prácticas de control sobre los extranjeros en el virreinato del Río de la Plata (1730-1809)", in: Revista de Indias 76 (2016), S. 673-716.
Alexandra Gittermann