Dietrich Erben / Christine Tauber (Hgg.): Politikstile und die Sichtbarkeit des Politischen in der Frühen Neuzeit (= Veröffentlichungen des Zentralinstituts für Kunstgeschichte in München; Bd. 39), Passau: Dietmar Klinger Verlag 2016, 368 S., ISBN 978-3-86328-146-5, EUR 34,90
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Thema des Bandes sind Kunst und Architektur im Dienst der Darstellung von Politik in den Jahrhunderten der Frühen Neuzeit. Dabei wird die Ausübung von politischer Macht als symbolische, im wesentlichen visuelle Kommunikation betrachtet und untersucht, und visuelle Kommunikation dient also, so gesehen, der Ausübung politischer Macht, ja sie ist mit ihren spezifischen Mitteln geradezu ein Teil derselben. Ihre Spezifik besteht darin, dass sie Politisches nicht nur demonstriert (das geht auch mit anderen Mitteln wie Verhalten und Sprechen), sondern zugleich 'sichtbar' macht. Denn politische Herrschaft, die durch mehr oder weniger gewaltsam ausgeübte Macht etabliert und gesichert wird, lässt sich allein auf diese bloß instrumentelle Weise auf Dauer nicht aufrechterhalten: "Deshalb folgt es dem Gedanken schierer Effizienz, wenn sich Macht nicht ständig instrumentell verausgabt, etwa durch Verwaltung und andere Kontrollinstitutionen oder durch Kriege, sondern sich symbolisch, etwa im Zeremoniell, in der politischen Rhetorik oder in der visuellen Kommunikation repräsentiert" (1), liest man im Eingang der sehr prägnant formulierten Einleitung der beiden Herausgeber dieses Bandes. Ihr folgen 15 Vorträge eines Wissenschaftlichen Kolloquiums, das im Juni 2015 in der Münchner Siemens-Stiftung zum Thema "Politikstile und die Sichtbarkeit der Politik in der Frühen Neuzeit" stattfand. Die Tagung wurde als ein interdisziplinäres Projekt der Geschichtswissenschaft (Politikgeschichte) und der Kunstgeschichte von der TU München (Dietrich Erben) und dem Zentralinstitut für Kunstgeschichte an der Universität (Christine Tauber) organisiert.
Die leitende begriffliche Größe in allen Beiträgen ist der 'Politikstil'. Angesprochen sind damit die Mittel und meist symbolischen Formen, mit denen jeweils politisch agiert, demonstriert, kommuniziert wird, im wesentlichen Werke der Kunst, besonders der Malerei, der Skulptur und der Architektur, sakraler wie (zunehmend) profaner Bauten. Da diese Mittel und symbolischen Formen sehr verschieden sind, kommt es zu einer Vielzahl unterschiedlicher 'Politikstile', und der Begriff wird deshalb meist im Plural verwendet. [1] Neben 'Politikstilen' und 'Stilen des Politischen' ist in mehreren Beiträgen konsequent auch von 'Stilisierung', 'Inszenierung' und 'Ästhetisierung' der Politik (mit oder ohne Bezug auf Walter Benjamins 'Kunstwerk-Aufsatz') die Rede, während mit dem Begriff der 'Stilpolitik', mit dem Christine Tauber in ihrer gewichtigen Untersuchung über den "Palazzo del Te in Mantua" operiert, doch eigentlich etwas anderes gemeint ist, nämlich 'Politik' auf einer anderen Bedeutungsebene (wie nicht selten im Englischen 'the politics of...'): als Handhabung, als Strategie, als interessengeleiteter Umgang mit einem Gegenstand usw. (weshalb man dann auch von einer 'Politik des Politikstils' sprechen könnte, ohne die Logik zu verletzen). Dass das von Stollberg-Rilinger u.a. immer wieder herangezogene Konzept des 'Habitus' von Bourdieu wenig ergiebig ist, liegt an der in diesem Band nun einmal zentralen Thematik der Rolle und Funktion der visuellen Künste für die 'Sichtbarkeit des Politischen', so wie auch soziales Handeln und die Sprachlichkeit von Diskursen nur ganz am Rande vorkommen. [2] Dass Kunst, mitsamt der Rolle des Künstlers, hier also in erster Linie als Auftragskunst und der Künstler als Partner im Dienst der politischen Macht gesehen wird, rückt diesen Band in das Forschungsgebiet der Kunstpatronage einerseits [3] und andererseits der nicht weniger und schon länger etablierten, vielfältigen Forschungen zur politischen Ikonografie, die in Deutschland mit dem Hamburger Forschungszentrum und dem Namen von Martin Warnke verbunden sind [4], der in dem Band - selbstverständlich, möchte man sagen - mit einem eigenen Beitrag vertreten ist ("Das Bildnis als Medium der Partizipation").
Die Beiträge der Historiker in diesem Band sind ergiebig und wegweisend vor allem für die begriffliche Reflexion der Politikgeschichte: sehr nützlich und anregend die "Einführenden Überlegungen" von Barbara Stollberg-Rilinger, dann Wolfgang E. Weber und vor allem Gerrit Walther zur Frage eines "adligen Politikstils" sowie Wolfgang Hardtwig, dessen Epilog Politischen Stilen von 1800 bis 1945 nachgeht. Zu den "exemplarischen Fallstudien" der Kunsthistoriker "über das frühneuzeitliche Politik-, Symbol-, Zeichen- und Kunstverständnis" (1) gehören dann Dietrich Erbens eigene, auch theoretisch außerordentlich anregende Studie über Cosimo I. Medici ("Die Fiktion der Politik und die Schönheit der Bürokratie"), Ulrich Heinens Abhandlung über den Stil des Politischen um 1600 bei Justus Lipsius und seinen von der politischen Philosophie des Neostoizismus geprägten Kreis und etwa Ulrich Pfisterers reizvoller Beitrag über sich selbst als Künstler stilisierende Herrscher, hier vor allem am Beispiel des Zaren Peter des Großen. Klaus Pietschmann handelt von Hochzeitsopern der 1660er-Jahre in Paris, Dresden und Wien, Philippe Bordes über "The Rococo in France", Étienne Jollet von Denkmälern und im Besonderen vom "Monument à Louis XIV place Vendôme (1699)", und Eva-Bettina Krems unterrichtet sehr instruktiv über die "Vielfalt ästhetischer Inszenierung von Politik: Die Wittelsbacher in München im frühen 18. Jahrhundert". Dietrich Erbens Studie, die u.a. mit einer detailgenauen und begrifflich prägnanten Exemplifizierung der für Politik konstitutiven Dimension von 'Fiktion' und 'Fiktionalisierung' aufwartet, die durch die Sichtbarkeit der Politikstile zuallererst geleistet wird, ist konzeptionell und theoretisch vielleicht der am nachhaltigsten inspirierende wie auch für die künftige Forschung richtungsweisende Beitrag in diesem fehlerlos gedruckten und mit zahlreichen, auch farbigen Abbildungen opulent ausgestatteten Band.
Anmerkungen:
[1] Für einen nicht formalistischen und nicht epochentypologischen Stilbegriff, der in der Kunstwissenschaft seit Längerem als obsolet gilt, wird mehrfach herangezogen der Band: Stil. Geschichten und Funktionen eines kulturwissenschaftlichen Diskurselements, hgg. von Hans Ulrich Gumbrecht / Karl Ludwig Pfeiffer, Frankfurt/M. 1986, der so eine überraschend neue Aktualität gewinnt.
[2] Zwar ist Sprache neben Bildern und Bauten gewiss entscheidend für den Diskurs des Politischen und die Politikstile, doch wäre es der Kooperation der Kunstgeschichte mit der Literaturwissenschaft aufgegeben, die Rolle der Sprache (und der Literatur und Autoren im Besonderen) auch für die 'Sichtbarkeit' des Politischen zu thematisieren; man denke etwa an Formen der Präsentation von Literatur und Schriftstellern in visuellen Medien, vor allem im Fernsehen. Zum Thema vgl. den neueren Band: Autorbilder. Zur Medialität literarischer Kommunikation in Mittelalter und Früher Neuzeit (= Tholos. Kunsthistorische Studien; Bd. 2), hg. von Gerald Kapfhammer (u.a.), Münster 2007.
[3] International seit den 60er-Jahren und vor allem Martin Warnkes "Hofkünstler" (zuerst 1985). Zu neueren Ansätzen vgl. auch: Die Kunst der Mächtigen und die Macht der Kunst. Untersuchungen zu Mäzenatentum und Kulturpatronage, hgg. von Ulrich Oevermann / Johannes Süssmann / Christine Tauber, Berlin 2007.
[4] Vgl. Politische Ikonographie. Ein Handbuch, 2 Bde., hgg. von Uwe Fleckner / Martin Warnke / Hendrick Ziegler, 3. Aufl., München 2014 (zuerst 2011).
Herbert Jaumann