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Matthias Bauer: Die transnationale Zusammenarbeit sozialistischer Parteien in der Zwischenkriegszeit. Eine Analyse der außenpolitischen Kooperations- und Vernetzungsprozesse am Beispiel von SPD, SFIO und Labour Party (= Beiträge zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien; Bd. 176), Düsseldorf: Droste 2018, 457 S., ISBN 978-3-7700-5339-1, EUR 49,80
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Rezension von:
Jakob Stürmann
Osteuropa-Institut, Freie Universität Berlin
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Jakob Stürmann : Rezension von: Matthias Bauer: Die transnationale Zusammenarbeit sozialistischer Parteien in der Zwischenkriegszeit. Eine Analyse der außenpolitischen Kooperations- und Vernetzungsprozesse am Beispiel von SPD, SFIO und Labour Party, Düsseldorf: Droste 2018, in: sehepunkte 18 (2018), Nr. 11 [15.11.2018], URL: https://www.sehepunkte.de
/2018/11/31740.html


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Matthias Bauer: Die transnationale Zusammenarbeit sozialistischer Parteien in der Zwischenkriegszeit

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Matthias Bauer verfolgt in seiner 2013 an der LMU München eingereichten Dissertationsschrift das Anliegen, anhand der Zusammenarbeit der drei größten sozialistischen Parteien Europas "die bislang überwiegend negative Einschätzung der Sozialistischen Arbeiterinternationale im Allgemeinen - sowie SPD, SFIO [Section française de l'Internationale ouvrière] und Labour Party im Speziellen - in großen Teilen zu revidieren." (22) Er zeigt auf, wie sozialistische Politiker in den 1920er und 1930er Jahren in einem transnationalen Raum agierten. Sie waren an der Modernisierung der europäischen Außenpolitik beteiligt und entwickelten Loyalitäten sowohl zur sozialistischen Partei als auch zum eigenen Staat. Der Autor folgt theoretisch Ludger Pries, der transnationale Beziehungen als "intensivste Sozialkontakte zwischen Akteuren und Akteursgruppen, die über verschiedene Orte in mehreren Nationalstaaten hinweg verstreut leben" [1], bestimmt. Die Arbeit reiht sich ein in die neuere Forschung zur Geschichte der Arbeiterbewegung. Diese wählt einen vergleichenden, internationalen oder transnationalen Ansatz und hebt die Geschichte der Arbeiterbewegung dadurch aus der klassischen Nationalgeschichtsschreibung heraus. [2]

Das Buch ist in drei Hauptkapitel gegliedert. Vorangestellt ist ein Prolog, in dem Bauer theoretische Erwägungen zum Begriff des sozialistischen Internationalismus anstellt. Im darauffolgenden, knapp 100 Seiten umfassenden Kapitel beschreibt er die Geschichte der Zweiten Internationalen von ihrer Gründung bis 1922. Besonderes Augenmerk legt er dabei auf die Spaltungs- und Annäherungsbewegungen zwischen den sozialistischen Parteien nach dem Ersten Weltkrieg. Den Hauptteil des Buches bildet das zweite Kapitel mit mehr als 200 Seiten. Dort diskutiert Bauer das politische Handeln der sozialistischen Akteure zwischen 1923 und 1933 beispielhaft anhand der für die internationale Politik relevanten Entwicklungen und Verträge. Thematisiert werden unter anderem die Reaktionen sozialistischer Parteien auf die Ruhrkrise, die Verträge von Locarno, Abrüstungs- und Sicherheitsfragen und der Aufstieg der Nationalsozialisten. Das Kapitel schließt mit einem Epilog über den Zusammenbruch der Kooperation zwischen 1934 bis 1939 und einem Ausblick auf die Zeit nach 1945. Im kürzeren dritten Kapitel widmet sich Bauer den Kontakt- und Kooperationsformen des Parteiendreiecks und definiert den für die Studie zentralen Begriff des "transnationalen Akteurs" (373f.). Hierfür wechselt er von der bisherigen Methodik der hermeneutischen Quellenanalyse zu einer strukturanalytischen Betrachtung der Verflechtungen. Die Schlussbetrachtung beinhaltet eine prägnante Zusammenfassung der sechs Hauptthesen des Buches.

Akribisch zeichnet Bauer die Reaktionen des sozialistischen Parteiendreiecks auf relevante außenpolitische Entwicklungen in den Jahren 1914 bis 1933 nach. Positiv hervorzuheben ist die detaillierte Quellenarbeit. Der Autor hat in zahlreichen Archiven in Deutschland, Frankreich, Großbritannien und den Niederlanden Quellen in mehreren Sprachen ausgewertet. Um sich nicht in Details zu verlieren, sind die kleinen Resümees am Ende der meisten Unterkapitel hilfreich. Mit einer vorgeschlagenen Periodisierung der Zusammenarbeit zwischen den Parteien leistet Bauer einen übergeordneten Beitrag zum Verständnis der Zwischenkriegszeit. Auf die Zeit der "blockierten Modernisierung" (195) von 1919 bis 1923 folgte eine außenpolitische Modernisierungsphase, die bis 1929 eine Weiterentwicklung erfuhr. Ab 1930 spricht Bauer von einer "fortschreitenden Zersetzung der Verständigungsära" (305).

Dem Autor gelingt es, die Bedeutung des sozialistischen Parteiendreiecks für die Modernisierung der Außenpolitik in den 1920er Jahren darzustellen. So hebt er beispielsweise die frühe Positionierung für eine diplomatische Lösung der Ruhrkrise durch die SFIO und Labour Party hervor. Dieses Engagement wertet Bauer als Vorbote eines neuen Verständnisses europäischer Außenpolitik. Der alten Diplomatie wurde eine "Multilateralisierung der zwischenstaatlichen Interaktionen" (194) entgegensetzt. So trieben etwa deutsche Sozialdemokraten wie Rudolf Hilferding und Rudolf Breitscheid den deutsch-französischen Verständigungsprozess voran. In Absprache mit dem Deutschen Auswärtigen Amt führten sie informelle Gespräche mit Politikern der SFIO.

Die transnationale Verflechtung von drei Parteien darzustellen, gelingt Bauer größtenteils gut. Eine theoretische Schwierigkeit ergibt sich jedoch aus den vielfältigen Zugängen zum Forschungsgegenstand. So analysiert er die transnationale Zusammenarbeit anhand der politischen und persönlichen Beziehungen "transnationaler Mittlerfiguren" (373), im bi- und multinationalen Umgang, innerhalb der Sozialistischen Arbeiter-Internationale und anhand des publizistischen Austausches. Schwierigkeiten entstehen dadurch, dass alle Parteien zu verschiedenen Zeiten innerhalb ihrer nationalen Parlamente zwischen Opposition und Regierungsbeteiligung wechselten. Diese unterschiedlichen Rahmenbedingungen haben großen Einfluss auf die Vernetzungsprozesse. Die Frage nach der "'doppelte[n] Loyalität'" (17) zwischen der sozialistischen Partei und dem eigenen Nationalstaat erscheint hierbei von großer Bedeutung. Dargestellt wird dieser Loyalitätskonflikt beispielsweise anhand des Labour-Politikers Ramsay MacDonald, der während des Ersten Weltkrieges noch zentrale Mittlerperson innerhalb der sozialistischen Bewegung war. 1929 bis 1931 führte er als britischer Premierminister eine Regierung, die "weder innen- noch außenpolitisch genuin sozialistische Akzente zu setzen" (290) vermochte. MacDonald durchlebte somit eine Verschiebung seines politischen Fokus von einem internationalistischen sozialistischen Standpunkt zu einem nationalen Selbstverständnis. Bauer beschreibt diese Verschiebung jedoch nicht als Bruch sondern erklärt sie damit, dass "die Rücksichtnahme auf nationale Interessen und Befindlichkeiten durch sozialistische Politiker kein Novum sondern Usus" (302) gewesen sei. An anderen Stellen ergeben sich Widersprüche: So betont Bauer, dass die sozialistischen Parteien keine gemeinsame außenpolitische Strategie verfolgten. Dennoch schlussfolgert er, dass der Modernisierungsprozess der europäischen Außenpolitik durch das Parteiendreieck stark beeinflusst wurde. Bei dieser und ähnlichen Passagen wäre eine vertiefte Argumentation wünschenswert gewesen.

Bauer hat hervorragende quellenanalytische Arbeit geleistet, die Zusammenarbeit des sozialistischen Parteiendreiecks in der Zwischenkriegszeit detailgetreu nachgezeichnet und dadurch die außenpolitischen Entwicklungen der Zwischenkriegszeit in Westeuropa aus einer neuen Perspektive beleuchtet. Dagegen lässt seine Analyse an einigen Stellen Präzision vermissen. Es scheint fast so, als hemme ihn die zu Beginn des Buches formulierte Prämisse einer positiven Darstellung des Parteiendreiecks. So benennt er zwar politische Niederlagen der Arbeiterbewegung, begründet diese jedoch schnell anhand einer vermeintlichen Alternativlosigkeit. Anders als von Bauer zu Beginn der Arbeit angekündigt, revidiert er mit diesen Bewertungen nicht die überwiegend negative Einstellung über die Sozialistische Arbeiter-Internationale. Vielmehr beschreibt er dadurch das Parteiendreieck als schwachen politischen Akteur. In seiner Schlussbetrachtung argumentiert Bauer zeitweilig nicht aus den historischen Gegebenheiten heraus. So beschreibt er das Beziehungsgeflecht der 1920er Jahre als ein Vorspiel für die Epoche nach 1945. Damit klammert er den Nationalsozialismus aus. Trotz dieser Kritikpunkte ist das Buch besonders all denjenigen zu empfehlen, die sich für politische Entwicklungen in der Zwischenkriegszeit oder Geschichte der Arbeiterbewegung interessieren.


Anmerkungen:

[1] Ludger Pries: Transnationalisierung. Theorie und Empirie grenzüberschreitender Vergesellschaftung, Wiesbaden 2010, 15.

[2] Vgl. bspw. Stefan Berger: Ungleiche Schwestern? Die britische Labour Party und die deutsche Sozialdemokratie im Vergleich. 1900-1931, Bonn 1997; Willy Buschak: Die Vereinigten Staaten von Europa sind unser Ziel. Arbeiterbewegung und Europa im frühen 20. Jahrhundert, Essen 2014.

Jakob Stürmann