Rezension über:

Sabine Panzram (Hg.): Oppidum - Civitas - Urbs. Städteforschung auf der Iberischen Halbinsel zwischen Rom und al-Andalus (= Geschichte und Kultur der Iberischen Welt; Bd. 13), Münster / Hamburg / Berlin / London: LIT 2017, X + 932 S., zahlr. Abb., ISBN 978-3-643-13750-0, EUR 129,90
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Rezension von:
Felix Teichner
Fachbereich Geschichte und Kulturwissenschaften, Philipps-Universität, Marburg
Redaktionelle Betreuung:
Mischa Meier
Empfohlene Zitierweise:
Felix Teichner: Rezension von: Sabine Panzram (Hg.): Oppidum - Civitas - Urbs. Städteforschung auf der Iberischen Halbinsel zwischen Rom und al-Andalus, Münster / Hamburg / Berlin / London: LIT 2017, in: sehepunkte 19 (2019), Nr. 1 [15.01.2019], URL: https://www.sehepunkte.de
/2019/01/31309.html


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Sabine Panzram (Hg.): Oppidum - Civitas - Urbs

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Die antike Stadt steht seit Längerem im Zentrum des altertumskundlichen Diskurses. Ihre Erforschung hat, so die Herausgeberin Sabine Panzram einleitend, auch auf der Iberischen Halbinsel Konjunktur. Dies belegen nicht zuletzt die beiden soeben erschienenen deutschsprachigen Monographien zu den westhispanischen Städten Ebora Liberalitas Iulia und Mirobriga. [1]

Dieses große Interesse an den Städten ("rund 400 [römische] auf der Iberischen Halbinsel", 3) und Zentralorten der Vorzeit erklärt sich in erster Linie aus deren fundamentaler Bedeutung für das Verständnis früher Kulturen und Gesellschaften, insbesondere der des klassischen Altertums. Zudem erweist sich aber gerade das vielgestaltige urbane Leben, zumal, wenn man wie im vorliegenden Band auch gleich noch das suburbium mit einbezieht, für interdisziplinäre Betrachtungen mit unterschiedlichsten Methoden als bestens geeignet. Das DFG-geförderte Netzwerk TOLETUM (Antragstellerin Sabine Panzram [Hamburg]) bietet nun seit 2011 eine Plattform für den Dialog zwischen spanischen und deutschen Wissenschaftlern aus den unterschiedlichsten Bereichen der Altertumswissenschaften. Die dort vorgetragenen Forschungsergebnisse von Althistorikern, Klassischen Archäologen, Frühgeschichtlichern, Christlichen Archäologen, Bauforschern, Provinzialrömern, Altphilologen, Kirchenhistorikern und Epigraphikern lassen die "erstaunliche Diversität" der urbanen Zentren auf der Iberischen Halbinsel deutlich werden (3). Dabei reicht der Betrachtungszeitraum von der späten römischen Republik bis in die Zeit des al-Andalus und erfasst somit die wichtige Formationsphase des heutigen Europas, zumindest an dessen Westflanke.

Der mit zahlreichen Farb- und Schwarzweißabbildungen sowie einem ausführlichen Orts-, Personen- und Sachregister nahezu 1000-seitige Sammelband führt nun 39 Einzelbeiträge aus den jährlichen Workshops des TOLETUM-Netzwerkes zusammen, neben wissenschaftlichen Synthesen etablierter spanischer und deutscher Experten vor allem Detailuntersuchungen und Fallstudien aus der Feder verschiedener, in aller Regel in der Qualifikationsstufe befindlicher Nachwuchswissenschaftler (in jeweils einem Fall auch aus Frankreich [Susana Marcos] bzw. den Niederlanden [Pieter H. A. Houten]). So wurden durch das TOLETUM-Netzwerk eine Vielzahl akademischer Abschlussarbeiten begleitet. Die innere Gliederung des Bandes ergibt sich aus den Themenschwerpunkten der vorausgegangenen Netzwerktagungen: für den Auftakt im Jahre 2012 wurde der Schwerpunkt "Spätantike" gewählt, 2013 folgte das Thema "Skulpturenausstattung öffentlicher und privater Räume", im Jahre 2014 fokussierte man sich auf die "Spielstätten" und 2016 stand "Die Stadt außerhalb der Stadt: suburbia zwischen Republik und Spätantike" im Mittelpunkt. Die Mehrzahl der Autoren bedient sich dabei ihrer Muttersprache, 14 deutschen Beiträgen stehen 26 spanische Beiträge gegenüber. Allein die Beiträge zweier Spanier - José Miguel Noguera Celdrán ("Die römischen Skulpturen von Carthago Nova...", 197-228) und Rafael Hidalgo Prieto ("Der Palastkomplex Cercadilla in Córdoba und seine Umnutzung als christliche Kultstätte", 429-464) - wurden eigens in das Deutsche übertragen.

In Anbetracht der Breite der gewählten Themenfelder kann an dieser Stelle allein auf drei, aus der zugegebenermaßen subjektiven Perspektive des Rezesenten besonders innovative Beiträge aufmerksam gemacht werden: Unsere Vorstellung über die Fortentwicklung antiker Spielstätten während des Mittelalters ist durch christliche Narrative, etwa das Martyrium des Heiligen Fructuosus im Amphitheater von Tarraco geprägt. Jorge Elices Ocón berichtet nun in einem aus seiner Dissertation an der Universidad Autónoma de Madrid hervorgegangenen Beitrag über die Auflassung, Spolisierung und Umnutzung entsprechender öffentlicher Großbauten innerhalb des al-Andalus ("Roma quanta fuit, ipsa ruina docet", 131-155 [2]). So wird das unvermeidlich schon im Abschnitt über die hispanischen Spielstätten thematisierte Theatrum Balbi in Cadiz in den arabischen Quellen als Ḥiṣn al-mal'ab bezeichnet (151), eine fortifikatorische Umnutzung, wie sie auch in anderen Teilen des Imperiums zu beobachten ist.

Neben den langjährigen Forschungen zu den Häfen von Tarraco, Baelo Claudia oder Gades sind es derzeit vor allem die von der Forschergruppe um Juan Manuel Campos Carrasco und Javier Bermejo Meléndez vorangetriebenen Studien zum suburbanen Hafenviertel von Huelva, die wichtige neue Erkenntnisse zur baulichen Struktur hispanischer Häfen, den Werkstätten im Hinterland und den Handelskontakten liefern ("Los suburbios de Onoba Aestuaria: el área portuaria", 739-766). Besonderes Augenmerk verdient schließlich auch der Vorbericht zu den von Juan Manuel Roja Rodríguez-Malo, Christoph Eger, Raúl Catalán Ramos und Luis García Vacas durchgeführten Ausgrabungen an der möglichen Klosteranlage in Guarrazara (ggf. "Santa Maria in Sorbaces"), die die Fundumstände des dort im Jahre 1858 geborgenen Depots aus Weihekronen und Votivkreuzen des westgotischen Herrscherhauses zu klären suchten ("Wo einst goldene Kronen und Kreuze verborgen wurden...", 563-596).

Die vier für den vorliegenden Sammelband ausgewählten Themenfelder werden durch Resümees ausgewiesener Fachkollegen zusammengefasst, in denen der "state of the art" beschrieben und weiterführende Perspektiven aufgezeigt werden: den beiden Katalanen Ricardo Mar Medina (Tarragona) und Javier Arce (Lille) obliegt dies im Hinblick auf die Spielstätten ("Los teatros romanos de Hispania...", 157-176), während der Andalusier Carlos Márquez Moreno (Córdoba) einen Überblick über die letzte Dekade der Skulpturenforschung liefert ("Grupos escultórios en la Hispania romana...", 333-346). Den "Boom" der Erforschung der Spätantike auch auf der Iberischen Halbinsel skizziert die Herausgeberin selbst, zusammen mit dem christlichen Archäologen Achim Arbeiter (Göttingen) ("Fokus Spätantike...", 597-619), und der durch ein langjähriges Forschungsprojekt mit den hispanischen suburbia bestens vertraute Desiderio Váquerizo Gil (Cordoba) beschäftigt sich mit der "Urbs extra moenia ... en la Hispania Romana" (879-896).

Die auf den ersten TOLETUM-Workshop im Jahre 2010 zurückgreifenden Ausführungen der Herausgeberin über die Tradition und die Perspektiven der deutsch-spanischen Zusammenarbeit im Bereich der antiken Städteforschung bilden die verbindende Klammer des Sammelbandes: Zumindest für die althistorisch-epigraphischen Disziplin stellen zweifellos Emil Hübner und seine Arbeiten am CIL den entscheidenden Ausgangspunkt dar. Seit 1943 entwickelten sich dann - dies betont die Herausgeberin zu Recht - die Wissenschaftler, Forschungsunternehmen und Druckreihen der Abteilung Madrid des Deutschen Archäologischen Institutes zur wichtigsten Triebfeder der binationalen Altertumsforschung.

In Anbetracht des nun vorliegenden, überaus gelungenen Kompendiums darf man mit Spannung weitere Ergebnisse des deutsch-spanischen Forschungsnetzwerkes TOLETUM erwarten. Dabei sollten - im Sinne des angestrebten "transepochalen Ansatzes" (11) - verstärkt jene über die mediterran beeinflusste Welt hinausgehenden Phänomene, etwa die nordwestliche Castro-Kultur oder Keltike, in den Blick gezogen werden, insbesondere unter Berücksichtigung der portugiesischen Forschung. Zudem wären die sich in den Beiträgen von Jan Schneider ("Vergleich ländlicher Siedlungsstrukturen...", 657-680) oder Pieter H. A. Houten ("El papel de las aglomeraciones secundarias...", 681-708) bereits abzeichnenden Forschungsansätze "Landschaftsarchäologie", "Geoarchäologie" und "Wirtschaftsarchäologie" zu vertiefen.


Anmerkungen:

[1] Theodor Hauschild / Felix Teichner: Der römische Tempel in Évora [Portugal]. Ausgrabung, Beschreibung, Wertung, Wiesbaden 2016. Außerdem Felix Teichner (Hg.): Mirobriga. Eine Stadt im fernen Westen des Imperiums, Marburg 2018.

[2] Als Dissertation inzwischen online abrufbar unter: http://hdl.handle.net/10486/679950

Felix Teichner