Claudia Denk / Andreas Strobl (Hgg.): Landschaftsmalerei, eine Reisekunst? Mobilität und Naturerfahrung im 19. Jahrhundert, Berlin: Deutscher Kunstverlag 2017, 360 S., 45 Farb-, 176 s/w-Abb., ISBN 978-3-422-07409-5, EUR 39,90
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Unter der Leitfrage "Landschaftsmalerei - eine Reisekunst?" fand im Sommer 2015 im Münchner Lenbachhaus ein mehrtägiges Symposium zum Thema Mobilität und Naturerfahrung im 19. Jahrhundert statt. Daraus hervorgegangen ist ein reich bebilderter Tagungsband, der mit neunzehn Artikeln einen anregenden Beitrag zur Erforschung der Landschaftsmalerei des 19. Jahrhunderts leistet.
Der Inhalt des Bandes gliedert sich in drei Hauptteile. Die Beiträge des ersten Teils widmen sich den Bedingungen von reisenden Landschaftsmalern. Hervorzuheben wäre hier der Artikel von Christiane Schachtner, denn am Beispiel des von ihr unter anderem behandelten Münchner Malers Johann Georg Dillis wird das Thema der Publikation auf vielfältige Weise berührt. Vom Aufbruch des Künstlers, der sich im Dienste der Bildfindung nach noch wenig dargestellten Regionen sehnt, über die Akademiekritik bis hin zu diversen Methoden des mobilen künstlerischen Arbeitens, geht Schachtner dem Typus des reisenden Landschaftsmalers um 1800 nach. Anschaulich legt sie dar, wie das Unterwegssein den Künstlern neue Blickachsen bot und man sich den künstlerischen Reizen und Herausforderungen der neuen Mobilität zu stellen versuchte. Über Dillis' aus der fahrenden Kutsche gezeichneten Skizzen schreibt sie treffend, dass diese wirkten "als habe er eine Kamera gehalten" (83). Die wegweisende Modernität der im 19. Jahrhundert reisenden Landschaftsmaler wird hier erahnbar.
Als Prolog vorangestellt ist dem ersten Teil ein Artikel von Bernhard Maaz, der sich den Spielarten der Dach(stuben)aussicht in der europäischen Malerei zwischen Aufklärung, Romantik und Realismus widmet und somit als durchaus anregender Auftakt ins Hauptthema fungiert.
Entwickelte sich die Landschaftsmalerei im 19. Jahrhundert vor allem außerhalb der Ateliermauern, verwundert es nicht, dass die Thematik der Akademiekritik in mehreren Artikeln berührt wird. Andreas Tacke bemerkt, dass diese dem mobilen Künstler "quasi mit in die Wiege gelegt" (55) worden sei. In seinem Beitrag über Aspekte der Künstlermobilität vor 1800 macht er gleichsam deutlich, dass das Reisen auch in der frühen Neuzeit nicht selten obligatorischer Teil der Künstlerausbildung war. Erst im 18. Jahrhundert aber avancierte die Wanderschaft zur Lebensphilosophie. Dies geht aus Claudia Denks Artikel über Pierre-Henri de Valenciennes' Ratgeber für den reisenden Landschaftsmaler Elémens de Perspective Practique à l'Usage des Artistes hervor. Überaus nachvollziehbar verortet sie Valenciennes' Ratgeber innerhalb des von Rousseau geprägten Zeitgeistes und macht dabei deutlich, dass Valenciennes nicht nur neue Herangehensweisen für die Praxis der Landschaftsmalerei entwarf, sondern dabei auch die ideologische Neubewertung eines zunehmend freien Künstlertums repräsentierte. Denks Beitrag ist im zweiten Hauptteil des Bandes vertreten, der im Diskussionsfeld um Funktion und Wertigkeit von Studien und Skizzen ansiedelt. Dass diese Schwerpunktsetzung Sinn ergibt, erschließt sich im Laufe der Lektüre des gesamten Tagungsbandes schnell, denn nahezu alle Artikel berühren, mehr oder weniger ausführlich, den Aspekt der künstlerischen Studie. Ganz explizit widmet Werner Busch sich künstlerischer Vorarbeiten der Landschaftsmaler. In einem historisch weit gefassten Artikel stellt er Überlegungen zu den künstlerischen Bedingungen und Bestimmungen der Ölskizze an.
Der dritte Hauptteil des Bandes trägt den Titel "Nah und Fern - die Suche nach Neuem".
Einem entlegenen Künstlerziel widmet sich hier unter anderem Knut Ljøgodt. Sein Schwerpunkt liegt auf den Werken des bis ans Nordkap gereisten norwegischen Malers Peder Balke. An dessen Beispiel macht Ljøgodt deutlich, dass gerade das Reisen in völlig unbekannte Gefilde das Potenzial neuer künstlerischer Umsetzungen barg. So wird die experimentelle Maltechnik Balkes betont, die zu dessen Lebzeiten allerdings auf wenig Verständnis stieß. Balkes Werk stellt insofern durchaus ein Unikum dar, griffen doch zahlreiche, auch weitgereiste Maler, bei der Umsetzung ihrer Landschaftsmotive auf gewissermaßen bewährte Darstellungsmuster zurück. Sehr anschaulich beschreibt dies Thomas von Taschitzki am Beispiel des sogenannten "Urwaldmalers" Ferdinand Bellermann. Hatte Bellermann in Venezuela zahlreiche Studien angefertigt, justierte er die Kompositionen seiner tropischen Landschaften zurück im Atelier doch zugunsten spezifischer Wirkungsqualitäten. Diese wiederum waren "nicht nur durch Humboldts Naturanschauung sensibilisiert, sondern auch durch die Vorbilder der europäischen Landschaftsmalerei geprägt" (191). Generell zählt Alexander von Humboldt, neben Valenciennes und Dillis (dies mag dem Tagungsort München geschuldet sein), zu jenen Persönlichkeiten, die in diversen Artikel des Bandes wiederholte Erwähnung finden.
Obgleich die drei Hauptkapitel des Tagungsbandes unterschiedliche Themenschwerpunkte repräsentieren, sind Überschneidungen zwischen den einzelnen Kapiteln doch unverkennbar. Dadurch geht aus der Lektüre des gesamten Bandes deutlich hervor, wie einflussreich Valenciennes für die Entwicklung der Landschaftsmalerei im 19. Jahrhundert war. Dass Valenciennes, laut Vorwort, denn auch "die Patenschaft für die Konzeption der Tagung mit übernommen hat" (10) ist somit durchaus nachvollziehbar. Gleichzeitig geht aus dieser "Patenschaft" aber auch hervor, dass der Schwerpunkt des Bandes auf künstlerischen Arbeitsschritten und werkimmanenten Analysen liegt. Herangehensweisen unter Einbeziehung von Phänomenen des Touristischen, des Othering oder des unweigerlich eurozentrischen Blickes der teils entfernte Kontinente bereisenden Maler, bleiben dahingegen weitgehend aus. Allein Ruth Pullin streift dieses Feld in ihrem Artikel über den bis nach Australien gereisten Maler Eugen von Guérard. So sollte angemerkt werden, dass das Thema der Landschaftsmalerei als "Reisekunst" auch unter Berücksichtigung von Tourismustheorien erhellend untersucht werden kann, wie Karina Lykke Grand 2012 in ihrer Publikation über Reisebilder des dänischen Goldenen Zeitalters bewiesen hat. [1] Auch der Begriff der Mobilität hätte stellenweise genauere Definition verdient. Dass er sich keineswegs allein auf das Reisen beschränken lässt, geht schließlich aus Iris Lauterbachs Artikel über Mobilität und Naturerfahrung im Landschaftsgarten hervor. Ihr Artikel liefert einen detailreichen Überblick über Gestaltungsweisen des europäischen Landschaftsgartens um 1800 und macht dabei deutlich, dass der Aspekt der Bewegtheit für Wirkung und Wahrnehmung in dieser, für die Entwicklung der Landschaftsmalerei nicht unerlässlichen Kunstgattung, von ausschlaggebender Bedeutung ist.
Als Epilog dient dem Band eine von Thomas Noll verfasste Analyse von Adalbert Stifters Erzählung Nachkommenschaften und das Scheitern des Landschaftsmalers. Fundiert bewegt sich Noll darin zwischen Literaturanalyse und Kunstwissenschaft und geht der Problematik des um die Darstellung möglichst "wirklicher Wirklichkeit" (306) bemühten Landschaftsmalers nach.
Grundsätzlich leistet die Publikation einen anregenden Einblick in die Thematik reisender Landschaftsmaler, vor allem zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Sie macht deutlich, dass sich das Genre der Landschaftsmalerei im 19. Jahrhundert ganz maßgeblich durch jene Künstler entwickelte, die Anregungen außerhalb der Atelier- und Akademiemauern sammelten. Überaus weit verzweigte Beziehungsgeflechte werden ersichtlich, und machen den Tagungsband nicht nur zu einem Einstieg, sondern auch zu einem Ausgangspunkt für weitere Forschungen zum Thema.
Anmerkung:
[1] Karina Lykke Grand: Dansk Guldalder. Rejsebilleder, Aarhus 2012.
Marie-Louise Monrad Møller