Rezension über:

Lucy Pollard: The Quest for Classical Greece. Early Modern Travel to the Greek World (= Library of Classical Studies; 8), London / New York: I.B.Tauris 2015, XIV + 297 S., 1 Kt., 23 s/w-Abb., ISBN 978-1-78076-961-5, GBP 85,00
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Rezension von:
Frank Hulek
Universität zu Köln
Redaktionelle Betreuung:
Matthias Haake
Empfohlene Zitierweise:
Frank Hulek: Rezension von: Lucy Pollard: The Quest for Classical Greece. Early Modern Travel to the Greek World, London / New York: I.B.Tauris 2015, in: sehepunkte 19 (2019), Nr. 2 [15.02.2019], URL: https://www.sehepunkte.de
/2019/02/30969.html


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Lucy Pollard: The Quest for Classical Greece

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Das Buch von Lucy Pollard entstand als Dissertation bei Catharine Edwards am Birkbeck College der University of London. Der Untertitel stellt das Thema des Buches klar: Westeuropäische (vor allem britische) Reisende, die im 17. Jahrhundert Griechenland und Kleinasien besuchten, also die ersten Berichte über diese Länder, die noch lange den Blick auf diese Länder beeinflussten. Die Suche nach einer klassischen Vergangenheit und mithin eine Rezeptionsgeschichte im engeren Sinne ist dabei nur eines der Themen, die Pollard diskutiert.

Ihr Ausgangspunkt ist dabei der Geistliche und Gelehrte John Covel (1638-1722), der 1670-1677 als Kaplan für die Levant Company beim englischen Botschafter in Konstantinopel weilte. Für ihre Arbeit hat Pollard die handschriftlichen Tagebücher von Covel in der British Library ausgewertet (12-18). Leider liegt diese Quelle bislang nur in Auszügen gedruckt vor [1] und Pollard verweist bei Zitaten nicht auf diese Druckausgaben, sondern nur auf die Manuskripte, wodurch es unnötig erschwert wird, die Zitate zu überprüfen und in den Textzusammenhang einzuordnen.

Abgesehen von Covels Tagebüchern bezieht Pollard die publizierten Berichte von zahlreichen anderen Reisenden aus der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts mit ein, nämlich unter anderem von Georg Wheler, Paul Rycaut und John Finch. Sie befasst sich dabei mit fünf übergeordneten Fragestellungen. Nach einer ausführlichen Einleitung erfährt der Leser im Kapitel "The Logistics of Travel", was die verschiedenen Reisenden über die Straßenverhältnisse, Seereisen, Unterkünfte, Proviantierung und exotische Speisen, Erlernen von Fremdsprachen und Übersetzer sowie Krankheiten und Ärzte geschrieben haben. Außerdem ist hier auch Covels Reiseroute zu finden (46-48), die ihn nicht nur zu seinem Einsatzort in der Hauptstadt des Osmanischen Reiches führte, sondern auch an verschiedene Orte, die er aus geografischem und antiquarischem Interesse aufsuchte.

Das zweite Kapitel "Scholars and Texts" beschäftigt sich mit der Literatur, die Covel und die anderen Reisenden als Grundlage für die Orientierung vor Ort, für die Identifikation von antiken Stätten und Landschaften und beim Verfassen ihrer Schriften nutzten. Oft hatten sie eine überraschend umfangreiche Reisebibliothek dabei. Entsprechend ihrer klassischen Ausbildung enthielt sie in erster Linie antike Texte. Pollard ermittelt unterschiedliche Gründe für die häufigen Zitate aus ihnen und postuliert, dass im ausgehenden 17. Jahrhundert der Umgang mit antiken Texten kritischer wurde. Dies führt sie im nächsten Kapitel "Antiquities, Proto-Archaeologists and Collectors" weiter aus. In diesem geht es um den Zustand der antiken Stätten in dieser Zeit, das Sammeln von Antiken und von Kodizes antiker Schriftsteller für westeuropäische Sammlungen und um die Interpretation antiker Gebäude und Gegenstände. Pollard sieht hier den Beginn der Archäologie als wissenschaftliche Disziplin (150).

In den beiden folgenden Kapiteln "Among the Greeks" und "Among the Turks" trägt Pollard die verschiedenen Äußerungen über die christlich-orthodoxen, meist griechischen, und muslimischen Bewohner des Osmanischen Reiches zusammen. Sie arbeitet heraus, dass Covel als anglikanischer Geistlicher ein Interesse daran hatte, theologische Gemeinsamkeiten (z.B. im Eucharistieverständnis) mit den Orthodoxen herauszufinden, um auf dieser Grundlage einen Kirchenbund unter Ausschluss der Katholiken zu ermöglichen (181f.). Andererseits betonen die Reisenden einen kulturellen Abstand zwischen den antiken Griechen und den schwachen christlichen Untertanen des Osmanischen Reiches und sehen eher sich selbst als Gebildete aus einem christlichen Land in der Nachfolge der Griechen der klassischen Zeit (187).

Bei den damals verallgemeinernd als Türken bezeichneten muslimischen Bewohnern Griechenlands und Kleinasiens hingegen sah es anders aus: Covel und seine Zeitgenossen betonten die Unterschiede der Religion und begriffen sie als barbarische Ungläubige. Sie schrieben ihnen aber auch einige positive Eigenschaften wie gute Umgangsformen, Ehrlichkeit und Mut zu. Das Osmanische Reich als Herrschaftsform sei dabei auch als ein Vorbild für die Briten und ihr im Entstehen begriffenes Empire aufgefasst worden, so Pollard (205). Eine kurze "Conclusion" fasst Ergebnisse vor allem aus dem zweiten und vierten Kapitel zusammen und ordnet sie in einen größeren zeitgeschichtlichen Kontext ein.

Pollards Buch zeichnet ein sehr facettenreiches Bild von den Erfahrungen der britischen Reisenden im 17. Jahrhundert, indem sie eine große Menge von Informationen aus zahlreichen Quellen zusammengetragen hat. Hervorgehoben seien etwa ihre Beobachtungen über die Rolle von Frauen in den Reiseberichten (z.B. 28, 60, 63, 168, 197f.) oder darüber, wie stark die religiösen Zugehörigkeiten die Wahrnehmung des Anderen bestimmten. Die Autorin ordnet außerdem ihre Ergebnisse in die Zeit- und Mentalitätsgeschichte Englands in der Zeit nach dem Bürgerkrieg ein.

Pollard macht auf diese Weise klar, dass die Berichte und ambivalenten Wertungen oft mehr über die Reisenden selbst und über ihre kulturellen Prägungen als über die beschriebenen Orte und Menschen aussagen. Anders als man es von einer gedruckten Dissertation erwarten würde, findet die Auseinandersetzung mit der Forschungsliteratur nur reduziert und allenfalls in den Endnoten statt [2], wodurch das Buch sicherlich für einen breiteren Leserkreis attraktiver wird. Ein stärkeres Einbeziehen der bisherigen Forschung hätte aber möglicherweise als Korrektiv beim Umgang mit den Quellen dienen können und den Beitrag des Buches zum wissenschaftlichen Diskurs verdeutlicht. Der akademische Leser wird das Buch aber als gut lesbaren Überblick über die Schriften der Orientreisenden der frühen Neuzeit schätzen, der auch über ein ausführliches Register (265-281) erschlossen wird. Dem Verlag I. B. Tauris ist neben der Wahl des nicht ganz passenden Titels sicherlich die unzureichende Karte (XIII) und der Preis anzulasten, der für ein Buch mit dieser Ausstattung abschreckend hoch ist.


Anmerkungen:

[1] James Theodore Bent (ed.): Early Voyages and Travels in the Levant II. Extracts from the Diaries of Dr. John Covel, 1670-1679, London 1893; Frederick William Hasluck: The First English Traveller's Account of Athos, in: Annual of the British School at Athens 17 (1910/1911), 103-131; Jean-Pierre Grélois (éd.): Dr John Covel: Voyages en Turquie 1675-1677 (= Réalités Byzantines; 6), Paris 1998.

[2] Im Literaturverzeichnis (251-264) finden Roberto Weiss: The Renaissance Discovery of Classical Antiquity, Oxford 1969; Robert Eisners: Travelers to an Antique Land. The History and Literature of Travel to Greece, Ann Arbor 1991; Hans-Joachim Gehrke: Die wissenschaftliche Entdeckung des Landes Hellás, in: Geographia Antiqua 1 (1992), 15-36; David Constantine: In the Footsteps of the Gods. Travellers to Greece and the Quest for the Hellenic Ideal, London 2011 keine Berücksichtigung.

Frank Hulek