Christoph Michels: Antoninus Pius und die Rollenbilder des römischen Princeps. Herrscherliches Handeln und seine Repräsentation in der Hohen Kaiserzeit (= KLIO. Beiträge zur Alten Geschichte. Beihefte. Neue Folge; Bd. 30), Berlin: De Gruyter 2018, VIII + 419 S., 132 Abb., eine Kt., ISBN 978-3-11-057150-9, EUR 99,95
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"Eine eigene Note hat Antoninus [...] der Politik selbstverständlich nicht verleihen können." [1] Dieses von Alfred Heuß formulierte Verdikt über den Platzhalter Antoninus Pius, der von Hadrian lediglich als Übergangslösung bis zum Herrschaftsantritt des eigentlichen Nachfolgers Marc Aurel angesehen worden sei und in seiner unerwartet langen Regierungszeit keine wesentlichen Impulse gesetzt habe, bestimmte lange Zeit die althistorische Forschung. Auch in neueren Arbeiten ist es oftmals mehr oder weniger explizit präsent. Wenn Christoph Michels in seiner Studie, die eine geringfügig überarbeitete Fassung seiner 2016 an der RWTH Aachen eingereichten Habilitationsschrift ist, eine systematische Analyse der Herrschaft dieses princeps als Desiderat bezeichnet, ist dies daher zweifellos korrekt. [2] Michels' Ziel besteht folglich darin, den hauptsächlich biographischen und stark der Darstellung des Pius in den literarischen Quellen verhafteten Ansätzen eine stärker strukturgeschichtlich orientierte Analyse entgegenzusetzen, die unter verstärkter Einbeziehung der nicht-literarischen, insbesondere numismatischen Quellen die "Wechselbeziehungen zwischen dem konkreten herrscherlichen Handeln und seiner Repräsentation" (1) in den Blick nehmen soll.
In der Einleitung (1-21) ordnet Michels seine Ausführungen in den Zusammenhang der neueren Forschung zum römischen Prinzipat ein und knüpft dabei insbesondere an Egon Flaigs Modell des Akzeptanzsystems mit seinem Fokus auf kaiserlichen Rollenbildern und den Erwartungshaltungen maßgeblicher gesellschaftlicher Gruppen (Senat, Armee, stadtrömische Bevölkerung) sowie an Aloys Winterlings Überlegungen zur "doppelbödigen Kommunikation" zwischen princeps und senatorischer Oberschicht an. [3] Vor diesem Hintergrund formuliert er die These, Antoninus Pius habe kein "Gesamtkonzept" für die Ausgestaltung seiner Herrschaft besessen, sondern die Grundmuster der Herrschaftsrepräsentation bzw. sein Rollenprofil (Michels verwendet den Terminus imago) in permanenter Auseinandersetzung mit den an ihn herangetragenen Erwartungen entwickelt. Um die Charakteristika des antoninischen Prinzipats herauszuarbeiten, sollen daher die zentralen Themenfelder identifiziert werden, auf denen sich dieser "dialogische Prozess" (21) manifestiert habe.
Als entscheidend erwies sich dabei Michels zufolge bereits die besondere Situation des Herrschaftsantritts (22-78). Der Konflikt zwischen dem neuen princeps und dem Senat bezüglich der Konsekration Hadrians habe ein grundlegendes "Akzeptanzdefizit" (77) des auch für Michels von seinem Vorgänger nur als Übergangslösung vorgesehenen Antoninus offengelegt. Diese Ausgangslage habe in Verbindung mit dem von Hadrian "geerbten" belasteten Verhältnis zu den Senatoren dazu geführt, dass sich Antoninus von Beginn seiner Herrschaft an um einen Ausgleich mit dem Senat bemüht habe, zugleich jedoch seine eigene Position nicht habe schwächen wollen. Es sei Pius gelungen, durch die Durchsetzung der Konsekration Hadrians und eine gleichzeitige Abgrenzung von diesem in der Behandlung der Senatoren die Tugend der pietas ins Zentrum seiner Herrschaftsrepräsentation zu rücken, die sich sowohl für den princeps selbst wie für die senatorische Oberschicht als anschlussfähig erwiesen habe. Die Verleihung des Pius-Titels sieht Michels folglich als einen "Ausdruck der Versöhnung" (67) an, der es Antoninus zugleich ermöglicht habe, in den folgenden Jahren ein auf diese Tugend fokussierendes Rollenmuster zu etablieren und auszugestalten. Zwar konstatiert Michels am Ende dieses Kapitels, dass sich dieses Rollenmuster schnell vom konkreten Anlass, d. h. der Konfliktsituation zu Herrschaftsbeginn, gelöst habe. Allerdings kommt er im weiteren Verlauf seiner Argumentation wiederholt auf die prekären Anfänge des Antoninus und ihre Bedeutung für die weitere Ausgestaltung der Herrschaft zu sprechen (etwa im Rahmen der Analyse zweier Usurpationsversuche um 150 n. Chr. [123] oder des Britannienfeldzugs [238]). In einigen Fällen ist diese Verknüpfung durchaus plausibel. In der Tat stellte die Abgrenzung zum Vorgänger für die meisten principes im Rahmen des Herrschaftsantritts und der Etablierung einer eigenen imago eine zentrale Herausforderung dar. Gerade im Verlauf längerer Herrschaften konnte diese Strategie jedoch an Funktionalität einbüßen bzw. durch andere, sich aus den gewandelten Bedingungen ergebende Faktoren ersetzt werden. Wenn daher beispielsweise die Hervorhebung der konsekrierten Faustina maior als Abkopplung von Hadrian gedeutet wird (175f.), stellt sich die Frage, ob diese Verbindungslinie so zwingend ist, wie Michels postuliert.
Das dritte Kapitel widmet sich der von Antoninus besonders in der Kommunikation mit Senat und stadtrömischer Bevölkerung hervorgehobenen Rolle des civilis princeps (79-142). Michels konstatiert hier ein gewisses Spannungsverhältnis zwischen einem "bewusst nichtautokratischen Herrschaftsstil" (140), gekennzeichnet durch clementia und moderatio und einer sich gerade unter Antoninus Pius verfestigenden Distanz zwischen dem princeps und den Angehörigen der senatorischen Elite, wie sie in der Korrespondenz des Fronto fassbar sei.
Sichtbar sei dieses Spannungsverhältnis auch im Rahmen der für Antoninus eindeutig nachweisbaren Förderung und herausgehobenen Präsentation der kaiserlichen Familie. Zu Recht betont Michels im vierten Kapitel (143-209) im Gegensatz zu etablierten Forschungsansätzen, Antoninus habe beispielsweise durch die Hervorhebung seiner vorbildlichen Ehe mit Faustina auch über deren Tod hinaus oder durch die gezielte Förderung des Marcus eine dem propagierten Ideal des Adoptivkaisertums eigentlich entgegenstehende Dynastisierung des Prinzipats betrieben. Die Tatsache, dass die Rolle als Mittelpunkt und Bewahrer der Dynastie einen bzw. gar den Kernpunkt antoninischer Herrschaftsrepräsentation bildete, zeigt eindrücklich die Bedeutung des dynastischen Prinzips auch unter den Bedingungen des Akzeptanzsystems.
Im fünften Kapitel nimmt Michels schließlich die im Falle des Antoninus in der Forschung zumeist nur stiefmütterlich behandelte oder gar ganz ausgeblendete Rolle als siegreicher Feldherr in den Blick (210-295). Er kann überzeugend nachweisen, dass auch der oftmals als "Friedenskaiser" betitelte princeps diese Rolle durchaus bespielte und im Rahmen seiner Herrschaftsdarstellung an bestimmten Punkten prominent in Szene setzte. Insbesondere der Britannienfeldzug habe durch die Annahme der zweiten Imperator-Akklamation und ihre Präsentation im Rahmen der Münzprägung dazu gedient, Antoninus das für jeden princeps zumindest in Ansätzen notwendige militärische Prestige zu verschaffen. Dass Antoninus auf diesem Gebiet durchaus innovativ tätig wurde und sich auch in Abgrenzung zu seinen Vorgängern eine eigene militärische imago zulegte, demonstriert Michels zufolge die Darstellung der Einsetzung des Quadenkönigs im Münzbild.
Gerade im Bereich der militärischen imago kann der Vergleich mit den Vorgängern und Nachfolgern, den Michels immer wieder anstellt, einen grundsätzlichen Punkt verdeutlichen: Das kaiserliche Rollengefüge, das sich seit der Etablierung des Prinzipats durch Augustus herausgebildet hatte, erlaubte und erforderte gleichzeitig von jedem princeps spezifische Schwerpunktsetzungen. Um ein Herrschaftsprogramm und seine mediale Repräsentation möglichst umfassend in den Blick zu nehmen, ist es daher notwendig, die unterschiedlichen Rollen nicht nur gesondert, sondern vergleichend und in ihrem Zusammenspiel zu analysieren. Nur auf diese Weise ist es letztlich möglich, spezifische Verschiebungen im Rollengefüge zu identifizieren. Dies wiederum würde es ermöglichen, auch abgesehen von dem von Michels wiederholt als maßgeblich dargestellten Faktor historischer Kontingenz der Frage nach sich ergebenden Widersprüchen und Friktionen sowie nach Vermeidungsstrategien noch detaillierter nachzugehen. Miteinzubeziehen wäre dabei trotz der von Michels formulierten Vorbehalte (21) auch die Rolle des Antoninus als Gesetzgeber. Selbst wenn diese Rolle im Repräsentationsprogramm weniger prominent vertreten ist, ließen sich möglicherweise im Rahmen einer umfassenden Analyse des kaiserlichen Rollenportfolios und gerade mit dem Anspruch, sowohl Herrschaftsrepräsentation als auch Herrschaftspraxis in den Blick zu nehmen, auch hier Querverbindungen zu den anderen analysierten Rollen aufzeigen.
Insgesamt hat Michels mit seiner Studie zweifellos das Bild dieses noch immer zu Unrecht unterschätzten Kaisers an wichtigen Stellen plausibel differenziert und korrigiert und damit die notwendigen Voraussetzungen für eine weitere Beschäftigung mit Antoninus Pius geschaffen.
Anmerkungen:
[1] A. Heuß: Römische Geschichte. Hrsg. v. J. Bleicken, W. Dahlheim u. H.-J. Gehrke. Paderborn 92003, 350.
[2] Maßgeblich ist noch immer die Arbeit von W. Hüttl: Antoninus Pius, 2 Bde., Prag 1936, über die auch die letzte neue monographische Behandlung von B. Rémy: Antonin le Pieux. Le siècle d'or de Rome. Paris 2005 nicht wesentlich hinausgelangt.
[3] E. Flaig: Den Kaiser herausfordern. Die Usurpation im römischen Reich. Frankfurt a. M. / New York 1992. (Historische Studien; Bd. 7.); A. Winterling: Caligula. Eine Biographie. München 2003.
Wolfgang Havener