Katalin Péter: Studies on the History of the Reformation in Hungary and Transylvania (= Refo500 Academic Studies; Vol. 45), Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2018, 214 S., 10 s/w-Abb., ISBN 978-3-525-55271-1, EUR 80,00
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Katalin Péter, emeritierte Professorin des Instituts für Geschichte der Ungarischen Akademie der Wissenschaften, wurde einmal als ungarische Miss Marple bezeichnet. [1] Und tatsächlich führt sie den neugierigen Leser mit der Sammlung einiger ihrer zwischen 1984 und 2005 entstandenen und hier erstmals ins Englische übersetzten Aufsätze wie eine Detektivin zu den Spuren der Reformationsgeschichte in Ungarn, die sie vom Anfang des 16. bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts behandelt. Im Mittelpunkt ihrer Untersuchungen stehen dabei nicht die "üblichen Verdächtigen", wie Theologen und Fürsten, sondern "der gemeine Mann", Unterschichten, Bauern und Stadtbürger, deren Schicksale Péter mit Feingefühl und nicht ohne Sympathie skizziert. Über sich selbst und ihren wissenschaftlichen Ansatz schreibt sie gleich zu Anfang: "I am not [...] a person of abstract thoughts" (27).
Der Band setzt sich aus 12 Beiträgen zusammen, die in zwei große thematische Kapitel aufgeteilt wurden. Der erste Themenbereich ist der Frühreformation gewidmet und dient zugleich als Einführung in die Geschichte der Region, die seit dem Mittelalter durch ein Zusammenleben vieler Völkergruppen, Sprachen und Religionen (vor allem Katholiken und Orthodoxe) sowie durch die adligen Landesherren geprägt war. Nach der Schlacht bei Mohács (1526) wurde Ungarn zwar in drei Herrschaftsgebiete aufgeteilt, die Autorin bemüht sich aber erfolgreich, ein Gesamtbild der Konfessionskulturen der Region darzustellen.
Als Vorgeschichte der Reformation behandelt Péter die Rebellion von György Dózsa (1514), die zwar nicht religiös motiviert war, aber unter dem Leitwort der Freiheit stattfand und trotz der Niederlage die Verhältnisse zwischen den Landesherren und Bauern beeinflusste. Kurz nach der Rebellion, schon ab den frühen 1520er-Jahren, waren in Ungarn Wanderprediger aktiv, die in den Quellen als "Lutheraner" bezeichnet wurden. Die Autorin zweifelt aber daran, dass sie alle die Gedanken Martin Luthers wiedergegeben haben. Die antiprotestantischen Gesetze verhinderten nicht die Verbreitung der Reformation, die in manchen Gebieten paradoxe Erscheinungsformen annahm, wenn z.B. der gleiche katholische Priester die Eucharistie manchen Gläubigen unter einerlei Gestalt, anderen unter beiderlei Gestalt spendete. Trotz der gängigen Vorstellungen der Adels- und Fürstenreformation, die eine Praxis des "cuius regio eius religio" lange vor dem Augsburger Religionsfrieden voraussetzen, behauptet Péter, dass adlige Patrone im Spiegel der Visitationsakten kein Interesse für Religion entwickelten.
Nach der Teilung des Königreichs gestaltete sich die Lage der neuen Lehre in den drei ungarischen Herrschaftsgebieten sehr unterschiedlich: In Porta gab es kein adliges Patronat, aber die osmanische Obrigkeit ging mit den Konfessionen und Religionen sehr pragmatisch um. Paradoxerweise sah die Lage unter der Herrschaft der Habsburger nicht anders aus. Nur in Siebenbürgen präsentierten die Herrscher eine tolerante Auffassung, die nach der Autorin nur mit der Lage im Königreich Polen zu vergleichen sei. Die in Siebenbürgen regierende Isabella Jagiellon (Jagiellonica) wurde zwar katholisch erzogen, aber laut Péter soll sie von ihrem Vater, König Sigismund I. Jagiellon von Polen, seine tolerante Haltung übernommen haben, eine "peerless religious policy, which strengthened the relations between the king and his subjects, thereby serving to enhance royal authority" (92). Gerade dieser Vergleich müsste aus Sicht der polnischen Reformationsforschung viel vorsichtiger formuliert werden, denn - anders als in Siebenbürgen - unterstützten polnische Herrscher z.B. nie die protestantischen Gymnasien (vgl. 92-93). Auch Stephan Bathory, den Péter in eine Reihe toleranter Herrscher stellt, betrieb als König von Polen eine relativ klare konfessionelle Politik, in deren Rahmen nur die katholische Kirche und katholische Adlige gefördert wurden.
Die Untersuchungen der Konfessionskulturen in Ungarn lassen an der Anwendung des Konfessionalisierungsparadigmas in Osteuropa zweifeln. Laut Péter war der Alltag des gemeinen Mannes nie völlig durch die neuen konfessionellen Normen geregelt (135). In vielen Regionen Ungarns lebten Katholiken, Reformierte und Lutheraner nicht nur friedlich nebeneinander, sondern sie übersahen sogar die konfessionellen Normen. So bezeugen etwa die Kirchenvisitationen, dass katholische Priester verheiratet waren und die Eucharistie unter beiderlei Gestalten spendeten. Die Kirchenlieder, die in den Kirchen gesungen wurden, waren konfessionsneutral ("confessionally neutral", 142). Gläubige besuchten die Gottesdienste anderer Konfessionen und sogar das Beharren auf der Treue zur eigenen Konfession bedeutete nicht zwangsläufig ein tieferes Wissen über deren Inhalt (200-204). Die Studien über die Konfessionskulturen werden durch Untersuchungen zur Buchgeschichte und zum Schulwesen abgeschlossen. Eine wachsende Rolle von Laien und weltlichen Inhalten in den Publikationen des 17. Jahrhunderts interpretiert die Autorin als eine Erscheinung der fortschreitenden Säkularisierung. Die Öffnung des höheren Schulwesens für Bauern legt sie als Demokratisierung der Bildung aus. Trotzdem weigert sich Péter, die Reformationsgeschichte als eine Fortschrittsgeschichte zu beschreiben.
Alle Aufsätze sind aus einer komparatistischen Perspektive verfasst. Die Autorin bezieht sich oft auf englisch- und deutschsprachige Forschungsliteratur und stellt die Ergebnisse eigener Untersuchungen in den Kontext der europäischen Reformationsgeschichte. Unter den zitierten Autoren und Werken fehlen jedoch die wichtigsten Arbeiten und Konzepte aus den letzten 20 bis 30 Jahren, weil die hier übersetzten Aufsätze ursprünglich zwischen 1984 und 2005 erschienen und für die Drucklegung nicht (und wenn, dann nur geringfügig) bearbeitet wurden. Einerseits muss angesichts der Entstehungszeit ihre Aktualität bewundert werden, andererseits sind sie angesichts der in den letzten Jahren geführten Debatten um die Konfessionalisierung, die Konfessionskulturen und die Toleranzkonzepte teilweise längst überholt.
Die klar verfassten Beiträge, in denen die Verfasserin ihre eigene Position deutlich darlegt, lesen sich zwar allesamt sehr gut, jedoch liegt darin zugleich auch eine Schwachstelle. Die Neigung zu persönlichen Wertungen und Stellungnahmen trägt dazu bei, dass der Leser nach der Lektüre genauso gut über den Ablauf der Reformation in Ungarn wie über die Weltanschauung der Verfasserin informiert ist. Darüber hinaus sind nicht alle Behauptungen so logisch und selbstverständlich, wie die Autorin es gerne sehen würde, etwa die Feststellung: "The highest degree of tolerance is not merely accepting another religion, but joining it" (93).
Anmerkung:
[1] Gabriella Erdélyi: The Hungarian Miss Marple and the Adventures of Early Modern History. A Profile of Katalin Péter, in: Colloquia. Journal for Central European History 16 (2009), 152-176, https://www.ceeol.com/search/article-detail?id=275035.
Maciej Ptaszyński