Rezension über:

Sonja Hillerich: Deutsche Auslandskorrespondenten im 19. Jahrhundert. Die Entstehung einer transnationalen journalistischen Berufskultur (= Pariser Historische Studien; Bd. 110), Berlin / Boston: De Gruyter Oldenbourg 2018, 410 S., ISBN 978-3-11-057932-1, EUR 49,95
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Rezension von:
Robert Radu
Universität Stavanger
Redaktionelle Betreuung:
Nils Freytag
Empfohlene Zitierweise:
Robert Radu: Rezension von: Sonja Hillerich: Deutsche Auslandskorrespondenten im 19. Jahrhundert. Die Entstehung einer transnationalen journalistischen Berufskultur, Berlin / Boston: De Gruyter Oldenbourg 2018, in: sehepunkte 19 (2019), Nr. 3 [15.03.2019], URL: https://www.sehepunkte.de
/2019/03/32053.html


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Sonja Hillerich: Deutsche Auslandskorrespondenten im 19. Jahrhundert

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Die Journalismusgeschichte hat schon vor längerer Zeit den Pfad der klassischen Pressegeschichte verlassen und spätestens seit den 1990er Jahren ihr historisches Erkenntnisinteresse von Einzelmedien und deren Inhalten hin zu den Entstehungsbedingungen jener Inhalte und den daran mitwirkenden Akteuren gelenkt. Jörg Requates 1995 erschienene Studie zur Genese des Journalistenberufes im 19. Jahrhunderts kann als eminentes Beispiel für diesen Trend der Forschung gelten.

In diese Traditionslinie ist auch Sonja Hillerichs komparative Studie zur Entstehung des Berufs des Auslandskorrespondenten im 19. Jahrhundert einzuordnen. Sie stellt eine überarbeitete Fassung ihrer 2016 an der Universität Duisburg-Essen eingereichten Dissertation dar. Zugleich grenzt sich Hillerich von früheren, meist mit soziologischen Ansätzen der Professionalisierungsforschung operierenden Studien ab, indem sie sich ihrem Forschungsobjekt mit einem kulturwissenschaftlichen Zugang nähert. Ihr Interesse gilt der Herausbildung einer spezifischen beruflichen Kultur deutscher Auslandskorrespondenten. Hillerich geht von der These aus, dass deutsche Auslandskorrespondenten im Laufe des 19. Jahrhunderts nicht nur ein "berufsspezifisches Selbstverständnis entwickelten, sondern auch eine durch den Beruf geprägte Gruppenidentität" (16). Mit diesem kulturwissenschaftlichen Ansatz rückt "die Arbeitspraxis der Korrespondenten und ihr Konzept von guter journalistischer Praxis als Ausdruck ihrer beruflichen Kultur" (16) in den Mittelpunkt.

Die Studie ist vergleichend angelegt und sucht einer Berufskultur exemplarisch anhand von drei exponierten europäischen Wirkstätten deutscher Korrespondenten - London, Paris und Wien - nachzuspüren. Obwohl die Auswahl damit auf West- bzw. Zentraleuropa beschränkt bleibt, stellt sie doch eine interessante Ausgangslage für eine komparative Studie dar, differierten die vorherrschenden politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Rahmenbedingen, in die die journalistische Praxis eingebettet war, in diesen Städten doch erheblich.

Die Studie ist in drei systematisch aufgebaute Teile untergliedert. Das unter der Überschrift "Wahrnehmung und Identität" stehende erste Kapitel wählt einen Zugang über die Begriffsgeschichte und Praktikerliteratur, der sich jedoch als wenig ergiebig erweist, da der Begriff "Auslandskorrespondent", wie Hillerich zeigt, vor dem Ersten Weltkrieg in der Regel nicht gebraucht wurde (41). Allerdings hätte es sich gelohnt, dem semantisch angrenzenden Begriff des "auswärtigen Korrespondenten" nachzugehen, der im 19. Jahrhundert bereits verbreitet war und teils synonym zum Auslandskorrespondenten benutzt wurde. Als geeigneterer Zugang erweisen sich dagegen die zahlreichen Korrespondentenvereine, die seit den 1880er Jahren in verschiedenen europäischen Hauptstädten entstanden. Hillerich kann an ihrem Beispiel zeigen, wie sich ein - zumindest organisatorischer - Zusammenhalt zwischen internationalen Auslandskorrespondenten etablierte, der auch einen (berufs-)kulturellen Austausch gefördert hat. "Die berufliche Rolle und die Arbeitspraxis der Korrespondenten unterschiedlicher Nationen wiesen genug Gemeinsamkeiten auf, um eine grenzen überbrückende berufliche Solidarität zu begründen." (353).

Das zweite Kapitel nimmt die politischen "Rahmungen" in den Blick, in denen sich die journalistische Praxis vollzog. Hier stehen vor allem das Parlament als besonders prominenter Ort der Korrespondententätigkeit sowie die diplomatischen Einrichtungen des Gastlandes als Kontaktzonen und Orte der Informationsakquise im Mittelpunkt. Hillerich kann zeigen, dass die Ministerialbürokratie in Wien bereits seit den 1870er Jahren eine - wie übrigens Bismarck zur selben Zeit in Berlin auch - aktive Pressepolitik betrieb und Kontakt zu in- und ausländischen Journalisten pflegte, "um auf diese informelle Weise Einfluss auf deren Berichte aus Wien zu gewinnen" (113). Freilich war diese Pressepolitik auf Beeinflussung abgestellt und weit davon entfernt, Journalisten in ihrer Funktion als Vertreter der Öffentlichkeit anzuerkennen und auf Augenhöhe zu begegnen. Die Wiener Pressepolitik musste sich in der Realität daher als äußerst ineffektiv erweisen, wie Hillerich wiederholt aufzeigt (115), und es darf mehr als zweifelhaft erscheinen, dass es der "Preßleitung" in Wien tatsächlich gelang, einen signifikanten Einfluss auf das Gros der Berichte auszuüben, die Auslandskorrespondenten tagtäglich aus Wien in ihre Heimat sandten.

Anders gestalteten sich die Arbeitsbedingungen dagegen in London. Es ist auffällig, wie wenig Bedeutung die politischen Institutionen in der britischen Hauptstadt Auslandskorrespondenten beimaßen und wie schwer sich die tägliche Recherchepraxis gestaltete. Hillerich zeigt dies am Beispiel des britischen Unterhauses. Vertreter ausländischer Zeitungen blieben dort prinzipiell von der "Reporters' Gallery" ausgeschlossen. Es mag als ein auffälliger Befund erschienen, dass diese Berufsgruppe "ausgerechnet im Mutterland von Pressefreiheit und Parlamentarismus (...) außen vor" blieb (213).

Im dritten Kapitel geht Hillerich der Formierung des Berufsstandes der Auslandskorrespondenten - und damit der Entstehung einer beruflichen Kultur nach. Hillerich datiert diese Formierungsphase auf die Jahre zwischen 1848 und den 1870er Jahren und betitelt die anschließenden Jahre bis 1914 "goldenes Zeitalter der Auslandsberichterstattung". Auslandskorrespondenten seien in diesem Zeitraum als "Vertreter eines spezifischen journalistischen Berufs" wahrgenommen worden und hätten sich auch selbst als solche verstanden (347). "Während sich die politischen Akteure [...] zu Beginn des Untersuchungszeitraums noch nicht für deutsche Auslandskorrespondenten interessierten, brachten sie ihnen an dessen Ende nicht allein Interesse, sondern in manchen Fällen sogar Wertschätzung entgegen." (349).

Diese Feststellung kann freilich nur in stark verallgemeinerter Form Gültigkeit beanspruchen, und sie verdeckt die, mithin auffälligen, Unterschiede in der Berufskultur, die zwischen den einzelnen untersuchten Metropolen vorherrschten. So zeigt Hillerich selbst überzeugend auf, wie sich verschiedene Korrespondententypen als Ergebnis der unterschiedlichen Arbeits- und Rahmenbedingen im jeweiligen Gastland herausbildeten, in Wien beispielsweise der sogenannte "offiziöse Korrespondent". Welchen Einfluss das Gastland auf die Berufspraxis seiner Auslandskorrespondenten hatte, zeigt sich auch daran, dass diese trotz Verankerung in den journalistischen Traditionen ihres Heimatlandes Komponenten aus unterschiedlichen journalistischen Kulturen aufgriffen. Für London verweist Hillerich exemplarisch auf die Kombination aus "Meinungslastigkeit des deutschen Journalismus" und "Nachrichtenorientierung des britischen Journalismus".

Für eine Studie, die sich dezidiert eines kulturwissenschaftlichen Ansatzes bedienen und damit der journalistischen Praxis besondere Aufmerksamkeit widmen möchte, ist die Dominanz normativer Quellen (Vereinssatzungen, Parlamentsreglements) auffällig, was eine zufriedenstellende Beantwortung der Forschungsfrage doch ungemein erschwert. Dies liegt freilich im Mangel an Quellenmaterial (Selbstzeugnisse, Redaktionsarchive) begründet, das über die Praxis Aufschluss hätte geben können. Wenn auch weitere Untersuchungen nötig sein werden, um Hillerichs Befunde zu erhärten oder weiter zu differenzieren, ist die vorliegende Studie dennoch als Pionierleistung zu würdigen, die auf akribischer und umfassender, in mehreren Ländern durchgeführter Archivrecherche fußt und damit als mustergültig für eine geschichtswissenschaftliche Dissertation gelten kann.

Robert Radu