Thomas Weißbrich: Höchstädt 1704. Eine Schlacht als Medienereignis. Kriegsberichterstattung und Gelegenheitsdichtung im spanischen Erbfolgekrieg (= Krieg in der Geschichte (KRiG); Bd. 67), Paderborn: Ferdinand Schöningh 2015, 468 S., 39 Abb., 16 Tafeln, ISBN 978-3-506-77104-9, EUR 39,90
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Renger de Bruin / Cornelis van der Haven / Lotte Jensen et al. (eds.): Performances of Peace. Utrecht 1713, Leiden / Boston: Brill 2015
Corina Bastian: Verhandeln in Briefen. Frauen in der höfischen Diplomatie des frühen 18. Jahrhunderts, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2013
Matthias Schnettger: Der Spanische Erbfolgekrieg. 1701-1713/14, München: C.H.Beck 2014
Matthias Pohlig: Marlboroughs Geheimnis. Strukturen und Funktionen der Informationsgewinnung im Spanischen Erbfolgekrieg, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2016
Heinz Duchhardt / Martin Espenhorst (Hgg.): Utrecht - Rastatt - Baden 1712-1714. Ein europäisches Friedenswerk am Ende des Zeitalters Ludwigs XIV., Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2013
Am 13. August 1704 vollzog sich nordwestlich von Augsburg im Gebiet zwischen Höchstädt (an der Donau) und Blindheim eine der größten und wichtigsten Schlachten des zwischen der "Großen Allianz" (Österreich, Heiliges Römisches Reich, Vereinigte Niederlande, England) und Frankreich, Spanien und ihren Verbündeten im Reich (Bayern, Köln) ausgetragenen Spanischen Erbfolgekriegs (1701-1714): Unter der Führung von John Churchill, Herzog von Marlborough, und des Prinzen Eugen von Savoyen trafen hier gut 52.000 "Alliierte" auf circa 56.000 bayerische und französische Soldaten unter den Marschällen Tallard und Marsin und dem Kurfürsten Maximilian II. Emanuel von Bayern. Die mit ca. 32.500 Toten und Verletzten sehr verlustreiche Schlacht bei Höchstädt (Battle of Blenheim) zählt zu den blutigsten Schlachten des 18. Jahrhunderts (61) - und markiert einen Wendepunkt im Krieg: Mit dem Sieg der Großen Allianz büßte die französische Armee ihren fast 50 Jahre alten Unbesiegbarkeitsnimbus ein.
Die vorliegende Studie, 2015 publiziert als überarbeitete Fassung einer an der Universität Gießen 2007 angenommenen Dissertation, wendet sich der gut erforschten Schlacht mit kommunikations- statt militärhistorischem Interesse zu: Dabei lautet die zentrale These, die Schlacht bei Höchstädt sei über das militärische Ereignis im engeren Sinn hinaus ein "Medienereignis" geworden, genauer: "zum größten medialen Ereignis der Zeit" (394). Die Schlacht erstmals als Medienereignis, also als "Phänomen [...] der extremen Verdichtung medialer, öffentlicher Kommunikation" zu untersuchen (15), ist das Ziel dieser Studie. Dem entspricht ihre Gliederung: Auf die Einleitung folgen im Kapitel II eine knappe Einführung in den Spanischen Erbfolgekrieg (51-56) und in die wichtigsten militärischen Daten der Schlacht (56-62), zudem zu Traditionen, selbstreflexiven Debatten und traditionellen Medien der publizistischen Begleitung von Kriegsgeschehen im Europa des 17. Jahrhunderts (etwa in Zeitungen oder Gelegenheitsgedichten, durch offizielle Stellen oder von Privatpersonen, in der Zeitungsdebatte des späten 17. Jahrhunderts; 40-51), aber auch zu pragmatischen Aspekten der medialen Kommunikation wie Tempo und Zentren der Nachrichtenverbreitung oder ihrer häufigen Unzuverlässigkeit (62-73).
Nach dieser komprimierten Grundlegung leisten drei Großkapitel die Detailanalysen: Da die in Höchstädt unterlegenen Höfe an einer Verbreitung der Niederlage wenig Interesse hatten und eine publizistische Aufarbeitung in ihrem Einflussbereich weitgehend unterbanden, liegt der Fokus zunächst (Kapitel III) auf der Verbreitung der Siegesmeldung (und Flugschriften), auf Zeitungsartikeln, (militärtechnisch differenzierten) Schlachtberichten, schließlich auf visuellen Aufarbeitungen in Kupferstichen sowie in Landkarten und Schlachtplänen in den Gebieten der Großen Allianz (75-211). Es folgt (Kapitel IV) eine breite Vorstellung deutschsprachiger und englischer Gelegenheitsdichtung aus Anlass der Schlacht von Höchstädt, unterscheidend zwischen Kasuallyrik, poetischen Siegesfeiern, englischer Panegyrik und Satiren auf den unterlegenen Gegner (213-344), bevor schließlich (Kapitel V) der publizistische Umgang mit der Niederlage in Kurbayern und Frankreich rekonstruiert wird: das Bemühen der Höfe, die Niederlage zu relativieren, das Ausbleiben "jegliche[r] Art der Visualisierung" (393), das Bemühen um Ablenkung, schließlich der Ausdruck von Spott und Hohn in Straßenliedern (347-393).
Thomas Weißbrichs Studie ist in ihrer Anlage innovativ: Liegt der Schwerpunkt "medien- und kulturwissenschaftlicher Forschung" zu den "Medialisierungen von militärischen Konflikten" (15) bisher auf militärischen Ereignissen der jüngeren Geschichte, so bietet der Fokus auf das Jahr 1704 diesen Forschungen eine historische Tiefendimension. Die umfangreiche Recherche publizistischer Reaktionen auf die Schlacht sammelt und hebt zeitgenössische Quellen ins Bewusstsein, die bisher in historiographischen Darstellungen (vgl. 23), aber im Fall der Gelegenheitsdichtungen auch in literaturwissenschaftlichen Forschungen noch nicht umfassend beachtet wurden. Bemerkenswert ist zudem das transdisziplinäre Unterfangen, so differente Medien wie Flugschriften, Zeitungsbeiträge, Relationen, Gelegenheitsgedichte und visuelle Darstellungen mit sehr unterschiedlichen Autoren und Kommunikationsverfahren nebeneinander und in ihrer Wechselwirkung zu untersuchen, um ein komplexes Bild von der publizistischen Reaktion auf eine militärisches Ereignis in der frühen Neuzeit erarbeiten zu können.
Der systematische Aufbau der Arbeit setzt sich innerhalb der einzelnen Abschnitte fort, die wahlweise chronologisch oder erneut nach Gattungen und darin chronologisch vorgehen. Zu den wichtigsten Ergebnissen gehört, dass die mediale Reaktion im deutschsprachigen Gebiet der Großen Allianz zwar vielstimmig und intensiv erfolgt, bereits nach drei Wochen aber abebbt, während sie in England "fast ein Vierteljahr" (397) lang anhält. Ebenso signifikant ist, dass innerhalb der Großen Allianz keine koordinierte PR-Arbeit zu beobachten ist, so dass unterschiedliche Erinnerungsnarrative auf dem Kontinent und in England entstehen, bei denen die militärischen Anteile Prinz Eugens (Kontinent) und Marlboroughs (England) am Sieg unterschiedlich stark hervortreten. Deutlich wird die Schwierigkeit der Zeitungsmacher und der Öffentlichkeit, an verlässliche Informationen zu gelangen, da kein Zeitzeuge das Kampfgeschehen individuell überblicken und den Kampfverlauf umfassend erfassen konnte, und weil viele Berichterstatter Interesse an einer bestimmten (manipulativen) Darstellung hatten, wie etwa jene Militärs, die in Relationen fachwortreich vom Kampfgeschehen berichteten, eine Vogelschau auf die Ereignisse konstruierten, erfolglose Operationen verschwiegen und den Verlauf der Schlacht gern als "perfekte[n] Betrieb der Kriegsmaschinerie" inszenierten (175). Besonders erhellend ist die Analyse von Grafiken zur Schlacht, da diese von Künstlern angefertigt wurden, die keine militärische Ausbildung besaßen, nicht vor Ort waren, denen keine Skizzen der Schlachtszene vorlagen, die vielmehr "imagined battles" entwarfen (180), in denen "standardisierte Darstellungsweisen mit konkreten Informationen und Details" verschmolzen (181), ja mitunter Darstellungen zu früheren Schlachten nur partiell umgearbeitet wurden.
Als Analyse eines Medienereignisses allerdings überzeugt die Studie nicht ganz. Zwar vermittelt die Untersuchung einen sehr guten Eindruck von der Vielfalt der publizierten Reaktionen und bietet zu vielen einen ersten, hilfreichen Zugriff. Die These aber, Höchstädt sei zwischen 1667 und 1714 ein Medienereignis ohne Vergleich, wird nicht belegt: Keine Vergleichszahlen werden genannt zur medialen Reaktion auf andere Schlachten des Spanischen oder Nordischen Krieges, obgleich auch diese mit Relationen, Zeitungsnachrichten und Gelegenheitsdichtungen begleitet wurden. Nicht immer zielführend ist der stark additive Zugriff auf die einzelnen Publikationen: So verdienstvoll die Ermittlung der vielen Reaktionen auf die Schlacht ist, die oft sehr knappe Abarbeitung zahlreicher Relationen oder Zeitungsbeiträge nacheinander führt nur bedingt dazu, diskursive Topoi und argumentative Muster klar hervorzuheben. Besonders die für die Analyse eines Medienereignisses zentrale Untersuchung der Publikationsmotivationen und der institutionellen Vernetzungen der Publizisten kommt dabei zu kurz. In Kapitel IV verschwimmen durch die Abarbeitung vieler Gelegenheitsdichtungen nacheinander die dort zu gewinnenden Erkenntnisse über literarische Topoi und wiederkehrende Deutungsmuster, so dass nicht deutlich genug konventionelle Reaktionen identifiziert und zusammenfassend vorgestellt werden, um im Gegenzug unkonventionelle Positionen differenziert als solche hervorzuheben und im Detail zu analysieren. Die Studie bietet am Ende jedes größeren Teilabschnitts klare Zusammenfassungen der Ergebnisse. Die jedoch verbleiben mit Blick auf die Schlacht als Medienereignis häufiger auf der Ebene des Erwartbaren, des bereits Bekannten oder fallen zu allgemein aus. Zu den Gelegenheitsgedichten etwa heißt es, in ihnen kam es zu "konkurrierenden Darstellungen der Schlacht", "Kampfhandlungen [...] wurden dramatisiert und heroisiert", die Dichter machten "Anleihen bei der antiken Mythologie, dem Alten Testament und der antiken Geschichte" und "kontextualisierten die Schlacht zudem historisch oder religiös und luden sie so mit verschiedenen Bedeutungen auf" (289f.). Zu kurz geraten auch der Vergleich mit der medialen Reaktion auf andere zeithistorische Ereignisse und das Bemühen, aus der Beschreibung publizierter Reaktionen auf die Schlacht kommunikative und institutionelle Strukturen im Europa um 1700 abzuleiten und zu analysieren. Anders gesagt: Ein intensiverer Versuch, die reiche Quellenlage zur Rekonstruktion gesellschaftlicher Prozesse zu nutzen, wäre wünschenswert gewesen, um das Medienereignis Höchstädt weniger als singulären Einzelfall, sondern mit Blick auf seine Beispielhaftigkeit für die Mediengeschichte des 18. Jahrhunderts zu profilieren.
Johannes Birgfeld