Rezension über:

Henriette Hofmann / Caroline Schärli / Sophie Schweinfurth (Hgg.): Inszenierungen von Sichtbarkeit in mittelalterlichen Bildkulturen. Festschrift zu Ehren von Prof. Dr. Barbara Schellewald, Berlin: Dietrich Reimer Verlag 2018, 340 S., 90 Farb-, 7 s/w-Abb., ISBN 978-3-496-01595-6, EUR 79,00
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Rezension von:
Tina Bawden
Kunsthistorisches Institut, Freie Universität Berlin
Redaktionelle Betreuung:
Sigrid Ruby
Empfohlene Zitierweise:
Tina Bawden: Rezension von: Henriette Hofmann / Caroline Schärli / Sophie Schweinfurth (Hgg.): Inszenierungen von Sichtbarkeit in mittelalterlichen Bildkulturen. Festschrift zu Ehren von Prof. Dr. Barbara Schellewald, Berlin: Dietrich Reimer Verlag 2018, in: sehepunkte 19 (2019), Nr. 4 [15.04.2019], URL: https://www.sehepunkte.de
/2019/04/32199.html


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Henriette Hofmann / Caroline Schärli / Sophie Schweinfurth (Hgg.): Inszenierungen von Sichtbarkeit in mittelalterlichen Bildkulturen

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Angesichts des Themas, der Sichtbarkeit, darf der Blick zunächst auf einen sonst vernachlässigten Aspekt einer wissenschaftlichen Publikation fallen: den Einband. Ganz in Orange gehalten, ist er auf dem Buchdeckel mit einer nahsichtigen, leicht verschwommenen Aufnahme eines goldenen Mosaiks versehen. Kein Motiv stellt sich bei der Betrachtung ein, sondern Glanzreflexe verteilen sich zu einem Lichtbild. Besonders gelungen ist die Gestaltung aus mehreren Gründen: Mit dem Mosaik rückt der Buchdeckel ein Bildmedium in den Blick, dessen Eigenschaften maßgeblich durch die Kunsthistorikerin erforscht wurden, der dieser Band als Festschrift gewidmet ist. Der Einband präsentiert das Buch als eine glänzende Gabe an Barbara Schellewald. Vor allem aber werden bereits visuell zwei zentrale Aspekte der mittelalterlichen Inszenierung von Sichtbarkeit vermittelt, wie sie hier verstanden und diskutiert wird, nämlich Licht und Glanz.

In der Einführung legen die Herausgeberinnen dar, was mit dem gemeinsamen Nenner "Inszenierung von Sichtbarkeit" gemeint ist. Das Buch soll eine Bandbreite an mittelalterlichen Bildphänomenen präsentieren, die sich zwischen den Polen des erhaltenen Bildobjekts, der Wahrnehmung und dem Licht aufspannt, d.h. zwischen der Seherfahrung einzelner Objekte und Orte, der notwendigerweise prekären Sichtbarkeit mittelalterlicher Bilder vor Ort im Gegensatz zu neuzeitlichen, perfekt ausgeleuchteten musealen Kontexten und der Bedingtheit durch Lichteffekte und (historische / historiografische) Strategien der Sichtbarmachung. Konsequent ist daher das Plädoyer für eine Analyse mittelalterlicher Sichtbarkeitsfragen im Plural: "Sichtbarkeiten statt Sichtbarkeit" (13). Die in der Einführung formulierten roten Fäden sind hilfreich, denn sie führen Beiträge zu zeitlich, geografisch und thematisch recht heterogenen Phänomenen zusammen.

Der Band umfasst neben der Einleitung dreizehn reich bebilderte Aufsätze unterschiedlicher Länge, der kürzeste umfasst 12, der längste 53 Seiten. Ihnen ist jeweils ein kurzes englisches Abstract vorangestellt. Die in den Beiträgen behandelten Regionen reichen von Irland bis Katalonien, von Rom über Betlehem nach Georgien. Die in den Blick genommenen Bildmedien und Kunsttechniken sind ebenso vielfältig und umfassen neben den Mosaiken die Goldschmiedekunst, Tafelmalerei, Bücher und Textilien. Das einleitend abgesteckte Feld vermag alle im Band enthaltenen Aufsätze aufzunehmen. Es gibt viele Beiträge zu historischen Strategien und Prozessen der Sichtbarmachung, z.B. Michele Bacci zur Rezeptionsgeschichte der Bethlemer Mosaiken, Gia Toussaint zum Aufstieg einzelner Handschriften zu Heiligenreliquien, Sabine Söll-Tauchert zur Rezeptionsgeschichte des Büstenreliquiars der Heiligen Ursula, Karin Krause zum Programm der "byzantinischen" Fresken im Dom von Genua. Der Zusammenhang mit der Sichtbarkeit ist bei den analysierten historischen und kunsthistorischen Inszenierungsstrategien wie der Verschiebung von Aufmerksamkeit oder Interpretation, der Rezeptionsgeschichte und Kontextualisierung mal mehr, mal weniger zwingend. Enger im Thema fokussiert und daher von besonderem Interesse scheint der Zusammenhang zwischen Licht und Sichtbarkeit, weshalb in dieser Besprechung der Schwerpunkt auf einige der Beiträge gelegt wird, die sich mit diesem Verhältnis beschäftigen bzw. die von den Herausgeberinnen formulierten Hypothesen weiterführen.

Stehen prekäre Sichtbarkeiten im Zentrum der Fragestellung, so dürfen die so wandelbaren Textilien nicht fehlen. Zwei Beiträge widmen sich diesen als Material und Motiv unter sehr unterschiedlichen, aber komplementären Aspekten: David Ganz analysiert die Gewänder des Ordens vom Goldenen Vlies am spätmittelalterlichen burgundischen Hof und hebt dabei die Semantik der wabenförmigen Grundstruktur der Chormäntel sowie die Inszenierung der Christusszenen auf der Kasel als Lichtereignisse hervor, die immer wieder zum Thema des Gewands zurückführen. Im Gegensatz zur "flächendeckende[n] Überformung mit Bildern" (253), die in der textilen Welt des burgundischen Hofes die Wahrnehmung herausfordert, ist es bei dem von Susanne Wittekind analysierten Phänomen die potentielle Reduktion von Bild auf Farbe und Licht: Im Zentrum ihres Beitrags stehen gemalte weiße Tücher, die unter den östlichen Apsisfenstern in katalanischen Kirchen des 11. und 12. Jahrhunderts scheinbar von der Sohlbank herabhängen. Wittekind zeigt, wie die Malereien in diesen Bauten darauf abzielen, einfallendes natürliches Sonnenlicht (lux) und artifizielles Licht (lumen, hier: Kerzenlicht) zu kontrastieren, indem z.B. auch gemalte Öllampen in die Nachbarschaft des Ostfensters rücken. Nicht nur Malerei bzw. Farbe wird damit explizit in ihrer Doppelfunktion als Träger und Zeichen des Lichtes eingesetzt; bei der liturgischen Feier setzen die variablen Lichtverhältnisse - von Blendung über Streuung bis hin zur Ausleuchtung des Raums - auch unterschiedliche Möglichkeiten der Rezeption. Der Kontrast wird dank des Bildprogramms rezipierbar. Der Beitrag von Ulrich Rehm zeigt weiterhin, dass diese Strategie speziell in Altarnähe wichtig werden und dabei je nach Objekt und Medium auf unterschiedliche Kontraste angespielt werden konnte: Auf dem von ihm analysierten vergoldeten Gloucester Candlestick (kurz nach 1100) werden Licht und Dunkelheit, Ordnung und Chaos, Tugend und Laster in ein Spannungsverhältnis gebracht.

Die Inszenierung von Sichtbarkeit ist in den Beiträgen von Ganz, Wittekind und Rehm eingebettet in christliche Ritualsysteme. Als in ihren Referenzrahmen komplementär dazu können die Beiträge von Annette Hoffmann/Gerhard Wolf und Silke Tammen gelesen werden. Der erste beschäftigt sich am Beispiel der Stadt Mzcheta mit der Christianisierung Georgiens und analysiert die konstitutive Rolle, die Lichterscheinungen für die Genese einer Sakraltopografie und ihrer legendarischen Bekräftigung spielen. Spielt hier die Rezeption in und durch eine Gemeinschaft eine wichtige Rolle, richtet Silke Tammen dagegen den Blick auf eine Gruppe eher einzeln rezipierter Gegenstände - "mittelalterliche Schmuckdinge" (217). An Beispielen spätmittelalterlicher Reliquiaranhänger zeigt sie, wie hier Strategien des Bergens, Verbergens und Enthüllens, der Mehransichtigkeit und der apotropäischen Abwehr in Schrift und Bild eingesetzt wurden. Kategorisierungen gegenüber resistent, haben Reliquiaranhänger viel mit Andachtsanhängern und kleinformatigen Diptychen und Triptychen gemeinsam. Tammen zeigt, dass ihre Erforschung viel zur Geschichte der inneren wie äußeren, visuellen wie taktilen Wahrnehmung beitragen kann. Die Analyse von Reliquiaranhängern führt nicht nur zu einer vorsichtigeren Einschätzung davon, wie wichtig die Sichtbarkeit der Reliquien in Reliquiaren war, sondern es rücken auch das körperliche Tragen solcher Objekte, ihre Handhabung und die Lektüre von kleinformatigen Andachtsbildträgern in den Blick. Religiöser Schmuck, argumentiert Tammen, ist mehr als nur lesbar. Nicht nur nach außen gerichtetes Zeichen von Frömmigkeit oder Status (so die verbreitete Einschätzung), kann er ebenso zum "Instrument[...] der Introspektion" (227) werden. Der Beitrag weist damit auf einen wichtigen Aspekt hin: wird Sichtbarkeit entzogen oder instabil, so treten notwendigerweise weitere Formen der Wahrnehmung hinzu, um das Sehen zu ergänzen.

Hier deutet sich an, dass die in diesem Band in den Blick gerückten Themen zwischen den Beiträgen und über diese hinaus weitergedacht werden können, und dass damit die Herausforderung gelungen ist, eine Festschrift als Ausgangspunkt neuer Forschung zu präsentieren. Wie diese Rezension zeigt, ist eine Lektüre als Sammelband in Teilen möglich. Gleichzeitig lässt die Ausrichtung andere Rezeptionsweisen zu, nämlich das Querlesen, um - in den Beiträgen gespiegelt - einen Eindruck von den Forschungsinteressen der gefeierten Wissenschaftlerin zu gewinnen, und natürlich die Lektüre einzelner Beiträge. Das so oft kritisierte Festschrift-Format [1] kann sehr vielseitig sein, wenn es diese unterschiedlichen Rezeptionsmöglichkeiten bereitzustellen vermag. Der vorliegende Band schafft das. Er vereint viele für sich gehaltvolle Einzelbeiträge unter unterschiedlich eng gefassten Auslegungen der "Inszenierung von Sichtbarkeit", ohne einzuengen.


Anmerkung:

[1] Vgl. z.B. Henry Keazor: Rezension von: Hannah Baader / Ulrike Müller-Hofstede / Kristine Patz (Hgg.): Ars et Scriptura. Festschrift für Rudolf Preimesberger zum 65. Geburtstag, Berlin 2001, in: sehepunkte 2 (2002), Nr. 10 [15.10.2002], URL: http://www.sehepunkte.de/2002/10/3517.html.

Tina Bawden