Roland D. Gerste: Wie das Wetter Geschichte macht. Katastrophen und Klimawandel von der Antike bis heute, 2. Auflage, Stuttgart: Klett-Cotta 2018, 288 S., 19 s/w-Abb., ISBN 978-3-608-96253-6, EUR 9,95
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Der Augenarzt, Historiker, Journalist und Sachbuchautor Ronald Dietmar Gerste ist ein hervorragender Amerikakenner, insbesondere der Geschichte der Präsidenten und der First Ladys der USA. Seine Interessen reichen darüber hinaus von der Medizingeschichte über Gustav III. von Schweden, den "Zauberkönig" bis hin zur Klimageschichte. "Wie das Wetter Geschichte macht" erschien erstmals 2015 und lehnt sich u.a. an Arbeiten von Wolfgang Behringer an. Gerste zeigt an 29 Beispielen aus den vergangenen zweieinhalb Jahrtausenden die Wirkmächtigkeit der Kontingenz auf der Mikroebene des Wetters, aber auch die historische Relevanz der Makroebene des Klimawandels.
Im Prolog weist er darauf hin, dass die Gewässer um Grönland im 11. Jahrhundert mindestens 10° Celsius wärmer waren als heute. Ab ca. 1350 wurde die grüne Insel zunehmend von Eis bedeckt. Die dort siedelnden Wikinger verschwanden. Um 7600 v. Chr. führte der Anstieg des Meeresspiegels "zur historisch so signifikanten Abtrennung Britanniens vom Rest Europas" [!] (28). Besonders wetteranfällig war zu allen Zeiten die amphibische Kriegsführung. Mehrfach wurden die bis dahin größten Flotten der Geschichte ein Opfer von Stürmen, bevor die Landungstruppen ihr Ziel erreichten. 480 v. Chr. scheiterte Xerxes I. Versuch, mit 1237 Triremen Griechenland zu erobern. Zwei ungewöhnlich heftige Stürme ließen nur noch 650 der von drei Reihen von Ruderern angetriebenen Kriegsschiffe übrig. Orts- und Windkenntnisse führten dazu, dass die 330 Schiffe der Athener und ihrer Verbündeten den Sieg in der größten Seeschlacht der Antike davontrugen. Der Mongolenherrscher Kublai Khan versuchte, 1274 und 1281 mit gigantischen Flotten 3.500 Schiffen und 100.000 Mann Landungstruppen Japan zu erobern. Er scheiterte am "Götterwind", dem Kamikaze. 1588 und 1589 rettete der "protestantische Sturm" die Engländer vor der spanischen Invasion. Umgekehrt erlaubte eine gerade 24-stündige Ruhe in den anhaltenden Sommerstürmen des Jahres 1944 die Landung der Alliierten in der Normandie.
Das Gedeihen des römischen Imperiums wird mit u. a. mit dem antiken Klimaoptimum erklärt. "Warmperioden stehen eher für kulturelle und gesellschaftliche Blühte, für Weiterentwicklung und Fortschritt; Kälteperioden hingegen seien eher von Instabilität und Krisenerscheinungen geprägt" (25). Auf Roms Glanz folgte das Pessimum der Völkerwanderungszeit. Das Jahr 536 brachte negative Temperaturrekorde. Erst um 800 kam es wieder zu klimatischen Verhältnissen, die jenen aus der großen Zeit Roms entsprachen. Die Justinianische Pest der Jahre 535 bis 542 war wohl die Folge eines gigantischen Vulkanausbruchs, der zu Klimaverschlechterung und Missernten führte und das Immunsystem der Menschen schwächte. Ebenso wie das "Jahr ohne Sommer", 1816, eine Folge des Ausbruchs des Tambora auf Sumbawa im heutigen Indonesien war. Die minder- und mangelernährte Bevölkerung war besonders anfällig. 25 Millionen Menschen sollen der Pest des Justinian zum Opfer gefallen sein.
Die Kultur der Maya blühte mehr als tausend Jahre. Letztlich wurde sie ein Opfer ihres eigenen Erfolges. Die Bauern mussten eine stetig wachsende städtische Bevölkerung ernähren. Die massiven Waldrodungen führten in Mittelamerika zu einem regionalen Klimawandel, zu Dürre, Hungersnöten und Kannibalismus sowie zu einem dramatischen Bevölkerungsrückgang.
Die meisten der heute existierenden deutschen Städte wurden zwischen dem 11. und 13. Jahrhundert, in der mittelalterlichen Warmperiode gegründet. Die Bevölkerung Europas verdreifachte sich. Vorbote der Kleinen Eiszeit war der lange Regen 1315 und in dessen Folge der Große Hunger. Der Preis für Getreide stieg innerhalb weniger Monate um 320 Prozent. In Thüringen lagen ungezählte Tote auf den Straßen der Städte und Dörfer. Auch hier kam es zu Kannibalismus. Es folgte der Schwarze Tod, der Pestzug der Jahre 1347 bis 1352. Bis zu 40 Prozent der Bevölkerung Europas fand den Tod. Allein in England wurden währen der Kleinen Eiszeit rund 3000 Dörfer aufgegeben. Der Januar 1709 brachte einen absoluten Kälterekord. Auf Korsika erfroren die Ölbäume und die Mündung des Tejo war ebenso zugefroren wie die Kanäle Venedigs, Schafherden erfroren auf den Feldern. Die niederländische Marine konnte im Januar 1794 nicht gegen Frankreich eingesetzt werden, weil sie festgefroren war. Sommerhitze und eisige Winter ließen sowohl Napoleons wie Hitlers Invasionen in Russland scheitern. Der Hungerwinter 1946/47 ließ in Deutschland Hunderttausende Menschen sterben, führte aber auch zu internationaler Hilfe, ein wichtiger Schritt zur Reintegration der Deutschen in die Völkergemeinschaft.
Nebel rettete 1776 die Armee George Washingtons und ermöglichte auch Hitlers letzte Offensive in den Ardennen im Dezember 1944. Schon 1939 hatte Nebel verhindert, dass das Attentat auf Hitler im Bürgerbräu-Keller erfolgreich gewesen wäre: Weil sein Flugzeug nicht starten konnte, verließ Hitler die Veranstaltung früher als üblich, um mit einem Sonderzug von München nach Berlin zurückzukehren. Große Hitze rettete ihn am 20. Juli 1944. Die Lagebesprechung war in eine luftige Baracke verlegt worden. Die Bombe konnte ihre Wirkung nicht voll entfalten. Ein Hagel am 13. Juli 1788 und eine anschließende Hungerkatastrophe wurden zum Katalysator der Französischen Revolution. Im folgenden Winter froren die Flüsse und die Mühlen konnten das Getreide nicht mehr mahlen. Robespierre wurde am 28. Juli 1794 gefangen genommen, weil ein Gewitter seinen Anhänger zerstreut hatte. Talleyrand kommentierte: "Regen ist kontrarevolutionär" (160).
Regen und Schlamm verhinderten 1815 den effektiven Einsatz der napoleonischen Artillerie in Waterloo. Regen löschte aber am 25. August 1814 auch das von den Briten den Flammen übergebene Washington. Die Operation Eagle Claw zur Rettung der Geiseln in der amerikanischen Botschaft in Teheran wurde infolge eines Sandsturms zum Desaster, und er kostete Jimmy Carter die zweite Präsidentschaft.
Der Epilog beginnt eindrucksvoll mit Warnungen von Klimaforschern. "Wir gehen einer Klimakatastrophe entgegen und Schuld daran trägt der Mensch, vor allem aufgrund der von ihm verursachten Emissionen, welche die Zusammensetzung der Atmosphäre nachhaltig beeinflussen. Sie prophezeiten Unruhen und Migrationen sowie Kriege um knapper werdende Ressourcen. »Viele Meteorologen befürchten«, so schrieb das Hamburger Abendblatt, »dass es einen 'Punkt ohne Umkehr' geben mag, von dem aus die verschmutzte Luft zwangsläufig und unaufhaltsam das Klima beeinflusst.« Die Medien ließen den Leser, Hörer und Zuschauer erschaudern ob des Dramas, das sich, wenn nicht in dieser, dann in der nächsten oder vielleicht auch erst übernächsten Generation ereignen werde. Auch der Spiegel mochte bei der Ausmalung von Weltuntergangszenarien nicht hintanstehen: Nach Studium des beunruhigenden Datenmosaiks halten es viele Klimaforscher für wahrscheinlich, dass der Trend, der den Erdbewohnern in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts die - klimatisch - besten Jahre seit langem bescherte, sich nun umkehrt" (277).
Diese Stimmen stammen jedoch nicht von heute, sondern aus den späten 1960er und frühen 1970er Jahren und kündigten eine neue Eiszeit an. Unter anderem wurde vorgeschlagen, dies durch eine extreme Erhöhung des Kohlendioxidausstoßes zu verhindern, jenes Treibhausgas, das heute für die von Menschen verursachte Klimaerwärmung verantwortlich gemacht wird. Hauptursache des von Menschen verursachten Klimawandels ist letztlich das Bevölkerungswachstum.
Das Buch liest sich kurzweilig. Der Autor ist jedoch sehr zurückhaltend mit Fußnoten und Belegstellen. Für eine tiefergehende Beschäftigung mit dem Thema sollten Historikerinnen und Historiker besser zu Wolfgang Behringers "Kulturgeschichte des Klimas. Von der Eiszeit bis zur globalen Erwärmung" (München 2007) oder Geoffrey Parkers "Global Crisis. War, Climate Change and Catastrophe in the Seventeenth Century" (New Haven 2013) greifen.
Wolfgang Burgdorf