Olena Petrenko: Unter Männern. Frauen im ukrainischen nationalistischen Untergrund 1944-1954, Paderborn: Ferdinand Schöningh 2018, 320 S., 26 s/w-Abb., ISBN 978-3-506-78568-8, EUR 49,90
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Franziska Bruder: "Den ukrainischen Staat erkämpfen oder sterben". Die Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN) 1929-1948, Berlin: Metropol 2007
Friedrich Heyer: Kirchengeschichte der Ukraine im 20. Jahrhundert. Von der Epochenwende des Ersten Weltkrieges bis zu den Anfängen in einem unabhängigen ukrainischen Staat, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2003
Deutschsprachige Bücher über den ukrainischen Nationalismus sind selten. Über die nationalistische ukrainische Untergrundarmee (UPA), die ab 1943 - zeitweise in einer für beide Seiten problematischen Verbindung mit den deutschen Besatzern - die Polen aus Wolhynien gewaltsam vertreiben wollte und dann den zurückkehrenden Sowjets Widerstand leistete, liegen praktisch keine deutschen Arbeiten vor. Umso wichtiger ist daher, dass Olena Petrenko, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Osteuropäische Geschichte der Ruhr-Universität Bochum, eine Studie vorgelegt hat, die einerseits den Gender-Aspekt bedient, andererseits aber auch eine Menge anderer Probleme anspricht, die mit der Geschichte des antisowjetischen Untergrunds nach 1945 verbunden sind.
Nach der üblichen Einführung in die Fragestellung, der theoretischen Einbettung und einer Vorstellung der Quellen, bei denen die bisher wenig verwendeten, von den sowjetischen Behörden gesammelten "Trophäen" ihrer Gegner und Verhörprotokolle im Geheimdienstarchiv der Ukraine, aber auch in Russland zugänglich gemachte Unterlagen über den "Kampf gegen den Banditismus" die interessantesten Bestände darstellen, folgt eine kurze historische Herleitung der nationalistischen Formationen der Ukrainer. Der folgende Abschnitt, der sich - darauf aufbauend - mit der "Frauenfrage" im ukrainischen Nationalismus der Zwischenkriegszeit befasst, bietet die ersten Überraschungen. Während der Bund der Ukrainerinnen (Sojuz Ukraïnok) unter der Führung von Milena Rudnyc'ka ebenso wie die ersten Soldatinnen in den kleinen ukrainischen Formationen im österreichischen Heer des Ersten Weltkriegs gemeinhin als positive Pioniere der Frauenrechte gehandelt werden, entzaubert die Verfasserin die Bedeutung des Sojuz Ukraïnok, indem sie aufzeigt, wie er sich sowohl von rechts wie von links konstanter Kritik ausgesetzt sah.
Während Petrenko die Partizipation von Ukrainerinnen nach Franziska Bruder als das "unsichtbare Rückgrat" (97) der UPA und deren Vorgänger, der Organisation ukrainischer Nationalisten (OUN) bezeichnet, registriert sie deren Nicht-Behandlung durch die Geschichtswissenschaft, die nur in einigen Fällen durchbrochen worden sei. Dass Frauen dann in den üblichen Verwendungen auftauchten (Krankenschwestern, Kurierinnen, Propagandistinnen) ist wenig verwunderlich. Eine Sonderstellung nahmen dort noch die "Verbindungsfrauen" des vorletzten UPA-Kommandeurs Roman Šuchevyč ein. Wir finden Frauen dann zwar kaum in aktiven Kampfverbänden, wohl aber im erst in den letzten Jahren in den Fokus der Wissenschaft gerückten berüchtigten Sicherheitsdienst der OUN, der Služba Bezpeky der Organisation Ukrainischer Nationalisten. Auch vorher waren Frauen, die gemeinhin als "unverdächtig" galten, an Terrorakten beteiligt.
Die Tatsache, dass Petrenkos Dissertation in Deutschland publiziert wird, ist insofern von Vorteil, als sie frei die Probleme des ukrainischen nationalistischen Untergrunds thematisiert, der seit der ukrainischen Gesetzgebung von 2015 zum Objekt der obligatorischen "Ehrung" erklärt worden ist, wobei es keine Ausnahmen für die Wissenschaft gibt. Eines dieser Probleme ist die Definition der "Ostfrauen" (schidnjačky), also der Ukrainerinnen aus dem russischsprachigen Osten des Landes, denen bei der vorwiegend westukrainischen UPA einerseits mit Misstrauen begegnet wurde, die aber auch andererseits für Attentate etc. verwendet werden konnten und mehrmals (ob nun tatsächlich oder zum Schein) die Fronten wechselten. Aber auch die (oft schnell zu Folter und Tod führenden) Lebensgeschichten von Ukrainerinnen aus dem Westen - wie Ljudmyla Fojas aus dem Gebiet Žytomyr - erfuhren infolge ihrer Einsätze "Wendungen [...], die genügend Stoff für einen Agententhriller bieten" (160). Sie wurde von dem sowjetischen Sicherheitsdienst NKGB ebenso verhört wie von dem ukrainischen SB. An ihrem Einsatz wird auch die NKGB-Praxis ab 1947 demonstriert, Schein-UPA-Einheiten zu bilden, um die "echten" UPA-Kämpfer zu enttarnen.
Dass Einzelschicksale referiert werden, die sich aus den Akten und zwölf Interviews erschließen ließen, ist angesichts dieser Sachlage die beste Herangehensweise an Petrenkos Thematik gewesen. Die Verfasserin filtert aus ihren Quellen Verhaltensweisen heraus, die kaum direkt zu erfassen wären: Sie kann überzeugend darlegen, dass einerseits der "männliche [...] Anspruch auf den Körper der Frau" ungeachtet konservativer sexueller Vorstellungen mit Gewalt durchgesetzt wurde, dann aber nur die Frauen für "amoralische[s] Verhalten" verantwortlich gemacht wurden (196). Hier ist wieder Petrenkos Befund von Bedeutung, dass in der ukrainischen (aber auch der russischen) Erinnerungskultur "das Thema der sexuellen Gewalt [...] ein Tabu" ist und wenn es doch erwähnt wird, dem jeweiligen Gegner zugeschrieben wird (196). Dabei sieht sie auch, dass Gewalt von beiden Seiten als "Anwerbungsmethode" diente oder der "geschlagene Körper [...] als Kommunikationsmedium" Verwendung fand. So wurden Frauen zu "Objekten" in diesem Kampf degradiert (204).
Im letzten Teil der Arbeit geht Petrenko über ihre engere Thematik hinaus und beleuchtet das Schicksal von Frauen, die aus der Ostukraine im Wege der Sowjetisierung, aber auch des Bevölkerungsaustauschs in den ukrainischen Westen (etwa als Lehrerinnen) geschickt wurden. Sie waren sich der Gefahr, in die sie sich begaben, nicht bewusst, eine Reihe von ihnen wurde ermordet, und hier kann Petrenko an einigen Beispielen auch die Entfremdung zwischen den radikalen UPA-Kämpfern und der friedlichen dörflichen Bevölkerung herausarbeiten, die in Teilen der Kämpfe längst überdrüssig geworden war. Dabei wurden die Übergriffe und Hinrichtungen durch die Nationalisten manchmal als angebliche NKGB-Maßnahmen ausgegeben.
Unter dem Strich ergibt sich ein eher düsteres, aber nicht unerwartetes Bild: Die Frauen wurden, folgt man der Darstellung, von beiden Seiten als Mittel zum Zweck betrachtet, nicht als gleichberechtigte Partnerinnen. Als negativer Schlusspunkt dient noch die Tatsache, dass diejenigen, denen es gelang, aus der Ukraine zu fliehen, und die ein realistisches Bild der Auseinandersetzung zu zeichnen versuchten, von der Diaspora, die (wie heute die ukrainische Erinnerungspolitik) die UPA sakralisierte, mit Missachtung betrachtet wurden. Der Versuch, in den letzten Sätzen zu belegen, dass Frauen "wenn auch nur zeitweilig" ihre Möglichkeitsräume - "von Männern entworfen, realisiert und in Szene gesetzt" (281) - erweitern konnten, kann nur bedingt als Positivum nachvollzogen werden.
Ungeachtet dessen ist die Dissertation Petrenkos, von der Teile schon in mehreren Kurzbeiträgen veröffentlicht worden sind, ein bedeutender Beitrag zur Entmythologisierung des ukrainischen Untergrunds.
Frank Golczewski