Robin Osborne / P. J. Rhodes (eds.): Greek Historical Inscriptions 478-404 BC, second impression, Oxford: Oxford University Press 2017, XVI + 645 S., 3 Kt., 18 s/w-Abb., ISBN 978-0-19-957547-3, GBP 125,00
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Simon Goldhill / Robin Osborne (eds.): Rethinking Revolutions through Ancient Greece, Cambridge: Cambridge University Press 2006
Delfim F. Leão / P. J. Rhodes: The Laws of Solon. A New edition with Introduction, Translation and Commentary, London / New York: I.B.Tauris 2015
Robin Osborne: Greek History, London / New York: Routledge 2004
Die Verfasser haben bereits 2003 eine ähnlich strukturierte Quellensammlung vorgelegt, die griechische Inschriften des 4. Jahrhunderts von historischer Relevanz enthält. Die hier zu besprechende Sammlung mit Inschriften aus dem 5. Jahrhundert versteht sich als "successor" (so im "preface") der Quellensammlung von Russell Meiggs und David Lewis' "A Selection of Greek Historical Inscriptions". [1] Dieses viel benutzte Buch, das Inschriften von der Archaik bis zum Ende des 5. Jahrhunderts enthält, bietet keine Übersetzungen und war deshalb für den Lehrbetrieb nur mehr mit Einschränkungen zu gebrauchen. Die neue Sammlung, die 95 Texte enthält, beginnt mit Nr. 101, da die Verfasser einen weiteren Band zur Archaik planen, in den dann 100 Inschriften aufgenommen werden sollen. Das Vorhaben, die Sammlung von Meiggs und Lewis zu ersetzen, begründen die Verfasser u.a. mit dem Forschungsfortschritt, insbesondere mit verbesserten Lesungen schwieriger Texte, weisen aber zugleich darauf hin, dass sie in den meisten Fällen keine Autopsie der Steine vornehmen konnten. Zusammenfassend wird formuliert: "The purpose of our collection is to make inscriptions available and intelligible to people who need to use them, not to re-edit the texts from scratch" (preface).
Das Buch enthält folgende Teile: Neben dem schon genannten "preface" folgt eine "introduction" (XV-XXXII) mit Bemerkungen u.a. zur griechischen Epigrafik und Hinweisen auf die athenischen Monate und Phylen. Im Anschluss werden vier Kartenskizzen abgedruckt (nach XXXII). Der Hauptteil mit den Inschriften ist naturgemäß am umfangreichsten (1-577). Jeder Text enthält ein Lemma, einen kritischen Apparat, den griechischen und englischen Text, doppelseitig nebeneinander gestellt. Es folgen eine Liste der attischen Archonten von 478/7 bis 404/3 (578), eine Konkordanz der wichtigsten Editionen (579-581), eine Bibliografie, unterteilt in Corpora bzw. Inschriftensammlungen und Sekundärliteratur (582-601), und drei Register: Personen und Orte (602-616), Begriffe (617-628) und besondere griechische Wörter (unpaginiert, nach 628). 17 Inschriften sind abgebildet (Tafelteil nach 284).
Hinsichtlich der Beurteilung des Buches sei hier vor allem auf die Auswahl und die Präsentation der Inschriften eingegangen. Zunächst zur Auswahl der Texte. Die meisten Inschriften in diesem Buch, rund zwei Drittel, waren schon in der Sammlung von Meiggs und Lewis enthalten. Das ergibt sich aus der Quellenlage, denn die zentralen Inschriften aus dem 5. Jahrhundert. sind lange bekannt. Das gilt vor allem für die attischen Inschriften, die in beiden Sammlungen rund die Hälfte aller Texte ausmachen; verwiesen sei nur auf die Seebundsdekrete, Tributquoten- und Gefallenenlisten sowie Bauabrechnungen. Unter den von Osborne und Rhodes neu aufgenommen Inschriften befinden sich u.a. das thasische Gesetz mit Regelungen zum Verhalten auf öffentlichen Straßen (Nr. 104), das seit 1993 bekannte Kultgesetz aus Selinous mit bemerkenswerten Vorschriften (Nr. 115), die Bleitafeln aus Kamarina mit Angaben von Phratrien (Nr. 124) und das milesische Gesetz betreffend den Kult des Poseidon Helikonios (Nr. 143). Die Lemmata sind relativ knapp gehalten, mit Nennung der wichtigsten Editionen und Sekundärliteratur. Englischsprachige Titel stehen verständlicherweise im Vordergrund, aber auch deutschsprachige Arbeiten werden relativ oft zitiert. Sofern von mir nicht übersehen, wurde die wichtige Arbeit von Scheibelreiter [2] nicht herangezogen (oder konnte nicht mehr berücksichtigt werden). Zum sogenannten Verbanntendekret aus Milet (Nr. 123) ist Anja Slawisch zu ergänzen. [3] Dass der Spezialist noch manchen Titel vermissen wird, versteht sich von selbst. Die Kommentare umfassen zwischen drei und neun Seiten. Nach meinem Eindruck sind sie durchweg instruktiv und auf neuestem Forschungsstand. Der Leser, der sich nur knapp, aber gründlich informieren will, findet hier das Wesentliche. Hinsichtlich strittiger Datierungen vermeiden die Verfasser Festlegungen. So wird für die sogenannte Teiorum dirae (Nr. 102, mit dem von Peter Herrmann, Chiron 11, 1981, 1-30 publizierten neuen Fragment) der Zeitraum zwischen 480 und 450 vorgeschlagen; beim Chalkis-Dekret (Nr. 131) erscheinen bereits in der Überschrift die in der Forschung diskutierten Daten 446/5 oder 424/3.
Insgesamt handelt es sich bei der vorliegenden Sammlung um ein sehr solides und überaus nützliches Buch, das im übrigen ansprechend und fehlerfrei gedruckt ist. Die dahinter stehende Arbeitsleistung ist enorm, mussten die Verfasser doch die gesamte Literatur zu den 95 Inschriften sichten. Der deutschsprachige Benutzer wird allerdings weiterhin zu der dreibändigen Quellensammlung von Brodersen, Günther und Schmitt greifen. [4] Hier finden sich zwar keine griechischen Texte und auch keine Kommentare, aber eben Übersetzungen ins Deutsche. Die vorliegende Sammlung stellt wegen der Hinweise auf neuere Literatur und der präzisen Kommentare somit eine willkommene Ergänzung dar. Breite Rezeption ist zu wünschen.
Anmerkungen:
[1] Russell Meiggs / David Lewis: A Selection of Greek Historical Inscriptions. To the End of the Fifth Century B.C., Oxford 1969 (revised edition 1988).
[2] Philipp Scheibelreiter: Untersuchungen zur vertraglichen Struktur des delisch-attischen Seebundes (= Akten der Gesellschaft für griechische und hellenistische Rechtsgeschichte; Bd. 22), Wien 2013.
[3] Anja Slawisch: Aus unruhigen Zeiten: Die "Ächtungsinschrift" aus Milet, ein Erlass aus dem frühesten 5. Jahrhundert v. Chr., in: IstMitt 61 (2011), 425-432.
[4] Kai Brodersen / Wolfgang Günther / Hatto H. Schmitt: Historische griechische Inschriften in Übersetzung greifen (= Texte zur Forschung; Bd. 59 / 68 / 71), 3 Bde., Darmstadt 1992-1999.
Norbert Ehrhardt