Thomas Höpel: Opposition, Dissidenz und Resistenz in Leipzig 1945-1989 (= Quellen und Forschungen zur Geschichte der Stadt Leipzig; Bd. 16), Leipzig: Leipziger Universitätsverlag 2018, 229 S., 5 Tbl., eine Kt., 43 s/w-Abb., ISBN 978-3-96023-202-5, EUR 33,00
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Während der gesamten DDR-Zeit versuchte die SED, ihren Machtanspruch durchzusetzen. Auf welche Widerstände sie dabei stieß, hat Thomas Höpel am Beispiel der Stadt Leipzig untersucht. Er wertete dafür Materialen aus sieben Archiven, Zeitzeugenberichte sowie Zeitungen und Periodika aus und gliedert seine Arbeit in fünf theoretisch fundierte Einzelstudien, die auf dem aktuellen Forschungsstand zu Widerstand, Opposition, Dissidenz und Resistenz fußen.
Im ersten Kapitel zeichnet Höpel die Errichtung der kommunistischen Diktatur in Leipzig nach. Wie in anderen Städten widersetzte sich im April 1946 die SPD der von der Sowjetischen Militäradministration befohlenen Zwangsvereinigung. Mehr als die Hälfte der Leipziger Sozialdemokraten verweigerten die SED-Mitgliedschaft. Infolgedessen verlor bereits Ende 1946 einer der prominentesten Gegner der Kommunisten, der letzte SPD-Bezirksvorsitzende Stanislaw Trabalski, seine Ämter. Zwei Jahre später wurde er erst aus der SED ausgeschlossen und dann verhaftet. Nachdem der Widerstandskämpfer bereits unter den Nationalsozialisten mehrere Haftstrafen verbüßt hatte, kamen unter der Herrschaft der Kommunisten über acht Jahre hinzu, die er wegen seiner politischen Überzeugung in den Gefängnissen Bautzen, Waldheim, Sachsenhausen und Bützow verbringen musste.
Nach den Kommunalwahlen 1946 stand der SED in Leipzig ein von den bürgerlichen Parteien dominiertes Stadtparlament gegenüber. "Nur Ruhe bewahren", riet zwei Jahre später ein SED-Stadtverordneter, "diese Leute [die Abgeordneten von CDU und LDP] werden sowieso bald abgeholt, dann können wir machen, was wir wollen." (38) Eine Maßnahme war, dass hunderte missliebige Funktionäre auf Druck der sowjetischen Besatzungsmacht und der SED aus CDU und LDP ausgeschlossen wurden. Den Mitbegründer der CDU und 2. Bürgermeister der Stadt Leipzig Ernst Eichelbaum diffamierte die SED als "Faschisten militaristisch-reaktionärer Art" (36). Er floh 1948 in den Westen. Parallel förderte die SED in CDU und LDP gezielt "fortschrittliche und positive Elemente", um die bürgerlichen Parteien auf einen prokommunistischen Kurs zu bringen. Wer sich dem Aufbau der sozialistischen Gesellschaft widersetzte, wurde von der sowjetischen Besatzungsmacht brutal aus dem Weg geräumt. So wurde der Vorsitzende des Studentenrates der Leipziger Universität Wolfgang Natonek (LDPD) 1948 von der sowjetischen Geheimpolizei verhaftet und zu 25 Jahren Zwangsarbeit verurteilt. Er hatte die Immatrikulations-Politik der SED kritisiert, die junge Menschen aus bürgerlichen Elternhäusern benachteiligte. Nach seiner Haftentlassung verließ er 1956 die DDR.
Der zweite Teil beleuchtet den Volksaufstand am 17. Juni 1953 in Leipzig, den er als eine "weitgehend von der Arbeiterschaft getragene Volkserhebung" (112) charakterisiert. Seine Untersuchung der sozialen Trägerschichten des Aufstandes fördert zutage, dass in Leipzig vor allem Jugendliche aus dem Arbeitermilieu gewaltsam versuchten, "Dampf abzulassen".
Dass sich gerade junge Menschen nicht den sozialistischen Vorgaben unterwerfen wollten, sollte die SED noch länger beschäftigen. Im dritten Kapitel zeigt Höpel, dass die in Leipzig entwickelten und eingesetzten Repressionsinstrumente republikweit zum Einsatz kamen. In den 1950er und 1960er Jahren bekämpften SED-Funktionäre die populäre unabhängige Jugendkultur. Wenn sich Einzelne oder Gruppen der Bevormundung widersetzten, griff die SED zu repressiven Maßnahmen. Dabei waren nicht nur politische Gründe ausschlaggebend, wie die Forderung nach Abschaffung von NVA, Kampfgruppen und Grenzpolizei, sondern auch die Vorliebe zahlreicher junger Menschen für westliche Rock 'n' Roll Musik. Hinzu kamen Proteste vor Dienststellen der Volkspolizei (VP), um die Freilassung verhafteter Jugendlicher zu erzwingen. SED, FDJ, Jugendhilfe, Ministerium für Staatssicherheit (MfS) und VP zerschlugen die Gruppierungen bis spätestens 1961. Aber die Begeisterung für westliche Musik verschwand nicht. Nach dem Mauerbau reagierte die SED zunächst mit einer toleranteren Haltung gegenüber der Leipziger Beatszene. Diesen Kurs verließ die SED Mitte der 1960er Jahre. Missliebige Musiker wurden unter dem Vorwand der "Steuerhinterziehung" oder des "Rowdytums" kriminalisiert. Leipzig war die erste Großstadt in der DDR, in der SED-Hardliner die 1965 von der Parteiführung beschlossenen Einschränkungen gegen westliche Formen der Jugendkultur umsetzten. Im Oktober 1965 artikulierten sich die Proteste in der Leipziger Beatdemonstration, an denen sich einige hundert Jugendliche beteiligten. 357 junge Menschen wurden in der Folge kurz- oder längerfristig inhaftiert.
In den 1970er und 1980er Jahren geriet die Leipziger Kunst- und Literaturszene verstärkt ins Visier des SED-Machtapparates. Insbesondere die alternative Literaturszene war den Kulturbürokraten ein Dorn im Auge. Im vierten Teil befasst sich Höpel mit der Strategie der SED, kritische Autorinnen und Autoren nicht nur mit repressiven Maßnahmen zu überziehen, sondern sie für die Partei- und Staatsführung zu gewinnen. Diesem Vorhaben widerstanden jedoch zahlreiche bildende Künstler und überwanden die Enge der sozialistischen Kulturpolitik.
Im letzten Jahrzehnt der DDR lehnten sich zahlreiche Leipzigerinnen und Leipziger gegen die Umweltverschmutzung auf. Die fünfte Fallstudie nimmt in den Blick, wie vor allem kirchliche Gruppen den Protest kanalisierten. 1989 zählte das MfS 39 Ökologiegruppen sowie 23 gemischte Umwelt- und Friedensgruppen in der DDR. In den Umweltgruppen engagierten sich nach den Erkenntnissen der Geheimpolizei ständig 550 bis 600 Mitglieder. Dabei nahm die Arbeitsgruppe Umweltschutz beim Evangelischen Jugendpfarramt in Leipzig mit bis zu 80 Mitgliedern eine herausragende Position ein. Sie zählte zu den 18 alternativen Gruppierungen der DDR, die länger als sieben Jahre bestanden. Trotz des Repressionsdrucks leistete die Umweltbewegung einen wichtigen Beitrag, um die Diktatur der SED zu delegitimieren.
Der Autor arbeitet in seinem Werk heraus, warum der Volksaufstand 1953 scheiterte, die Friedliche Revolution 1989 dagegen erfolgreich war: Im Herbst 1989 vermochten es die Bürgerrechtsgruppen, die Unzufriedenheit der Bevölkerung kurzzeitig zu bündeln und dadurch politische Ziele durchzusetzen. Eine solche Oppositionsbewegung fehlte 1953. Deshalb blieb den Demonstranten am 17. Juni 1953 der Erfolg versagt, die Herrschaft der SED zu stürzen. Thomas Höpel hat weit mehr als eine hervorragende Regionalstudie vorgelegt. Seine Befunde geben wichtige Impulse, auch anderenorts zu untersuchen, wie vielfältig Opposition, Dissidenz und Resistenz gegen die SED-Herrschaft waren und wie breit gefächert deren Machtinstrumente aufgestellt waren.
Stefan Donth