Astrid Mignon Kirchhof / J.R. McNeill (eds.): Nature and the Iron Curtain. Environmental Policy and Social Movements in Communist and Capitalist Countries 1945-1990, Pittsburgh, PA: University of Pittsburgh Press 2019, 312 S., ISBN 978-0-8229-4545-1, USD 40,00
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Wie haben sich die Umweltbewegungen auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs zwischen dem Ende des Zweiten Weltkrieges und dem Zerfall des Ostblocks formiert? Welche Bedeutung spielen dabei Systemkonkurrenz und Entspannungspolitik? Die Fallstudien in dem von Kirchhof und Mc Neill herausgegebenen Band liefern Antworten und fördern bemerkenswerte Gemeinsamkeiten zwischen Sozialismus und Kapitalismus zu Tage:
Erstens: Wenn es um Natur- und Umweltschutzbelange ging, war der Eisernen Vorhangs durchlässiger als in vielen anderen Bereichen: Denn auch zu Zeiten des Kalten Krieges pflegten Umweltprobleme nicht an politischen Grenzen halt zu machen. Zweitens: Einfache Erklärungen über Unterschiede in der Umweltpolitik im kapitalistischem und sozialistischem Lager tragen nicht weit: Im Wachstums- und Fortschrittsparadigma unterschieden sich beide politischen Systeme kaum und innerhalb der beiden politischen Lager war die Spannbreite, wenn es um Umweltbewusstsein und Umweltpolitik ging, sehr groß. Daher helfen allgemeine Erklärungen über die Kluft zwischen Ost und West, den Charakter des Umweltbewusstseins, den Kontext der Umweltpolitik und über den Kalten Krieg selbst wenig. Drittens: Auch wenn bei einigen Naturschützern und Politikern Umweltthemen ganz oben auf der Agenda standen, interessierte sich die Masse der Bevölkerung und die Funktionsträger des politischen Systems mehr für wirtschafts- oder sicherheitspolitische Belange. Daraus resultierte jedoch eine spezielle Freiheit: Obwohl Umweltschutzbelange oft ignoriert wurden und Verbesserungen nur schwer umzusetzen waren, entkamen Umweltaktivisten und ihre Verbündeten oftmals der Aufmerksamkeit der obersten Staatsorgane. Viertens: Vor Ende der 1960er Jahre war das Interesse an Umweltschutzbelangen in Ost und West genauso schwach ausgeprägt, so wie es ab den 1970er Jahren in beiden politischen Blöcken zeitversetzt zu einem gesteigerten Interesse kam.
Darüber hinaus kommen die Herausgeber zu dem Schluss, dass "Freedom of speech seems to be a necessary condition for protection of environment" (13) Denn die unabhängigen Umweltaktivisten auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs waren die Garanten dafür, dass die Ausbeutung der Umwelt wirkungsvoll kritisiert wurde. Nur so kam nach und nach zu einer Veränderung der Politik. Aber auch große Unterschiede zwischen den politischen Systemen werden sichtbar, wenn man in Fallstudien betrachtet, wie die Gesellschaften mit ihren Umweltressourcen und -problemen umgingen. Ein genereller Unterschied zwischen Ost und West zeigt sich in der Rolle des Automobils als Wirtschaftsfaktor, der im Kapitalismus ausgeprägter als im Sozialismus war. Dadurch kam es in den kapitalistischen Ländern zum Aufbau einer ganz auf den Individualverkehr eingestellten Infrastruktur von Straßen, Parkhäusern, Tankstellen, Raffinerien, was Wilko Graf von Hardenberg am Beispiel Italiens zeigt (102-115). In den Ländern des Ostblocks wurden dagegen bevorzugt die Eisenbahnnetze und in Großstädten die U-Bahn und Busnetze ausgebaut.
Diese Ergebnisse können aus den Fallstudien der drei Abschnitte des besprochenen Bandes gezogen werden. Im ersten Abschnitt geht es um Fallstudien zu einzelnen kapitalistischen und sozialistischen Staaten. Den Auftakt macht ein Aufsatz, der untersucht, wie sich in den Auseinandersetzungen um Bewässerung und Wasserversorgung in der Sowjetunion Schutzmaßnahmen entwickelten (17-35). Weitere Studien thematisieren die Wasserverschmutzung in Litauen (36-54) oder die Bedeutung von Tschernobyl für die Entstehung der Umweltbewegung in der Ukraine (55-72). Am bundesdeutschen Beispiel wird die veränderte Rolle der Energieversorgungsunternehmen in der Luftreinhaltung (73-86) oder der Zusammenhang zwischen der Anti-AKW-Bewegung und der Friedensbewegung (87-101) thematisiert. Eine weitere Fallstudie analysiert die antinuklearen Initiativen im US-Bundesstaat Montana.
Der zweite Abschnitt geht u.a. der Frage nach, wie durchlässig der Eiserne Vorhang war, etwa wenn es um die tschechoslowakische Umweltbewegung (137-150) oder die Umweltaktivisten in der DDR und Polen in den 1980iger Jahren ging (151-168). Die Umweltpolitik im sozialistischen Jugoslawien (169-182) zeigt weitere Bezüge auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs auf. Die Modernisierung der westdeutschen Landwirtschaft während des Kalten Krieges (183-204) wird als Zusammenspiel zwischen Landwirten und Befürwortern des verstärkten Chemieeinsatzes sowie Vertretern einer naturverbundenen Bewirtschaftungsweise dargestellt. Die Selbständigkeit des westdeutschen Landwirtes wurde schon von den amerikanischen Besatzungsbehörden der zentralen Planwirtschaft und Kollektivierung der Landwirtschaft in der DDR als Erfolgsmodell einer prosperierenden liberalen Demokratie gegenübergestellt.
Die Aufsätze im dritten Abschnitt behandeln den Zusammenhang zwischen Umweltfragen auf der einen und Entspannung auf der anderen Seite. Anhand der Umweltkrise im Mittleren Osten (205-218) und des Kampfes der DDR um Anerkennung als souveräner Staat mit Hilfe der Umweltdiplomatie (219-232) wird die Frage aufgeworfen, ob die Entspannung bloß den historischen Kontext bildet oder selbst der Motor für die Veränderung der Umweltpolitik war.
Die gut recherchierten Aufsätze zeigen eindringlich, wie verschwenderisch sozialistische und kapitalistische Wirtschafts- und Gesellschaftssysteme mit den vorhandenen Umweltressourcen umgingen und Mensch wie Natur ausbeuteten. Sie greifen zentrale umweltgeschichtliche Themen auf, die durchweg auf breiter Literatur- und Quellenbasis erörtert werden. Es wird deutlich, dass Maßnahmen zur Begrenzung von Verschmutzung und Ausbeutung erst allmählich ab den 1960er Jahren in Gang kamen, vielfach durch besorgte Wissenschaftler und Einzelkämpfer, die ein Umdenken anstießen. Ansatzweise wurde auch international kooperiert, um zumindest die schwersten Auswüchse der Verschmutzung einzudämmen und zu reduzieren oder auch um politische Anerkennung zu erlangen. Wer sich mit dem Zusammenhang zwischen Wirtschafts- und Gesellschaftssystem sowie Naturnutzung und- schutz befasst, wird also in dem Band fündig. Es ist den Herausgebern bei ihrem Fazit zuzustimmen, dass bis heute die Aufgabe bleibt, jenseits von Kapitalismus und Kommunismus ein nachhaltiges und umweltschonendes Wirtschaftssystem zu realisieren, welches Gesellschaft und Natur in Einklang bringt.
Anselm Tiggemann