Marion Hamm / Ute Holfelder / Christian Ritter u.a. (Hgg.): Widerständigkeiten des Alltags. Beiträge zu einer empirischen Kulturanalyse, Klagenfurt : Drava 2019, 298 S., zahlr. Abb., ISBN 978-3-85435-916-6, EUR 25,00
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Festschriften stehen häufig in dem Ruf, äußerst heterogen zu sein. So zeichnet sich auch der vorliegende Sammelband zum 60. Geburtstag des Empirischen Kulturwissenschaftlers Klaus Schönberger durch eine besondere Vielfalt aus. 36 Autorinnen und Autoren aus unterschiedlichen Disziplinen und Praxisfeldern beschäftigen sich in 28 lose aneinandergereihten Beiträgen auf knapp 300 Seiten beispielsweise mit Schablonengraffitis, weiblicher Altersarmut oder der Resilienzfähigkeit von Managerinnen und Managern im Bewerbungsprozess. Schönberger, der seit 2015 die Professur für Kulturanthropologie an der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt/Celovec (AAU) innehat, bescheinigen Herausgeberinnen und Herausgeber in ihrer Einleitung die erfolgreiche Verknüpfung von kulturwissenschaftlicher Theorie und künstlerischer bzw. kulturpolitischer Praxis - eine Ausrichtung, die nicht zuletzt auch im Curriculum der Angewandten Kulturwissenschaft der AAU verankert ist (vgl. hierzu den Beitrag von Sandra Hölbling-Inzko und Claudia Isep). Dass Schönbergers Wirken dabei auch von "einer deutlichen Freude am produktiven Konflikt" getragen ist (6), wird in der Einleitung anekdotisch veranschaulicht. Schönberger löste mit einem an seiner Bürotür angebrachten Mao Zedong-Plakat der Künstlerinnen und Künstler vom Buero für angewandten Realismus (das auch das Buchcover ziert) zunächst eine Kontroverse an der AAU aus. Diese nahm er zum Anlass, um auf dem Klagenfurter Campus eine medienwirksame Auseinandersetzung über das Verhältnis von Theorie und Praxis, Kunstbegriffe oder "Legitimität und Formen politischer Auseinandersetzung sowie um Grenzen des Akzeptablen im universitären Kontext" (10) auszutragen, die sich gerade auch gegen die politische Rechte richtete.
An einem solch vorgelebten doppelten Interesse an den "Widerständigkeiten des Alltags" anknüpfend, machen sich nun die Autorinnen und Autoren auf, um in jeweils knapp zehnseitigen und oft kurzweiligen kulturwissenschaftlichen Beiträgen Theorie- und Praxisfelder zu vermessen. Thematisch bewegen sie sich dabei lose um die Begriffe "Kunst, Arbeit, Protest und Technik sowie mit den Verbindungen, die sich zwischen diesen und darüber hinaus in andere Kontexte von Wissenschaft und Zivilgesellschaft ergeben." (6) Alle Beiträge eint - neben einer linken Kapitalismuskritik - ein Kulturbegriff, der auf ein offenes Forschungsprogramm zielt. Grundlegend hierfür ist ein Interesse an Prozessen und Praktiken der kulturellen Aneignung, die stets eigen-sinnig und widerständig seien. Diese Aneignungsweisen riefen als Reaktion auf gegebene gesellschaftliche Bedingungen wiederum (Gegen-)Reaktionen hervor. Dieses Programm tritt besonders deutlich etwa in Marion Hamms und Janine Schemmers Analyse der widerständigen popkulturellen und politischen Reaktivierung des italienischen Partisanenliedes Bella Ciao hervor. Immer wieder wird Luc Boltanskis und Eve Chiapellos bekannte Lesart vom "neuen Geist des Kapitalismus" aufgegriffen, um diesen in kulturellen Mustern aufzuspüren (vgl. Beitrag von Johannes Müske).
Insgesamt lassen sich die Beiträge grob in drei Gruppen einteilen: Neben der Einleitung widmen sich zwei weitere Texte Schönbergers praktischem Wirken in kultur- und wissenschaftspolitischer Hinsicht. Markus Baumgart berichtet etwa über den Tübinger Kulturtreff Zátopek an dem Schönberger an seiner alten Wirkungsstätte beteiligt war und leitet aus den gemeinsamen kulturpolitischen Erfahrungen Regeln für einen "erfolgreichen pop-politischen Club" ab. Außerdem beschreiben Christian Stegbauer, Katharina Kinder-Kurlanda, Nils Zurawski und Jan-Hinrik Schmidt die Entstehung und Ausrichtung des von ihnen zusammen mit Schönberger herausgegebenen interdisziplinären Online-Journals kommunikation@gesellschaft. Die zweite und deutlich größte Gruppe an Beiträgen nimmt Bezug auf Schönbergers Theorie und Denkanstöße, um hiervon ausgehend ihre kurzen empirischen Beiträge auszuformulieren. Doch auch in diesen Beiträgen wird immer wieder der enge kulturwissenschaftliche Nexus aus Theorie und Praxis deutlich, wenn etwa Judith Laister über "Ästhetische Denkräume jenseits städtischen Spektakels" schreibt und entlang Grazer Kunstausstellungen die hierin transportierten widerständige Wahrnehmungsweisen und das zu Grunde liegende Programm einer "ästhetischen Erziehung des Menschen" in Zeiten von "Fake News" analysiert (158). Eine dritte Gruppe von drei Beiträgen widmet sich schließlich expliziter kulturwissenschaftlicher Theoriereflexion. Kaspar Maase stellt hier beispielsweise die nicht einfach zu beantwortende Frage danach, ob und inwiefern die politische Wirkung von Popkultur als sinnvoller Gegenstand sozialwissenschaftlicher Forschung zu gelten habe.
Alles in allem wird die Festschrift den in der Einleitung formulierten Ansprüchen gerecht. Inhaltlich möchte der Band Erinnerungen produzieren, kulturwissenschaftliche Einblicke liefern und resümieren, statt neue Forschungsimpulse zu liefern. Die einzelnen Beiträge sind meist nicht nur explizit vom Wirken des Jubilars inspiriert, sondern es gelingt, dessen theoretische Ideen trotz aller thematischer Vielfalt durchweg als intellektuellen Fluchtpunkt zu nutzen. Die Festschrift, die thematisch und theoretisch für kulturgeschichtlich orientierte Zeithistorikerinnen und Zeithistoriker anregend sein kann, ermöglicht dabei einen kaleidoskopartigen Einblick in das erstaunlich breit gestreute Interessenfeld Klaus Schönbergers. Es entsteht der Eindruck eines vielfältigen kritischen Wirkens, das über die Wissenschaft hinausreicht und gleichzeitig eng mit ihr verbunden bleibt. Gerade durch die heterogenen kurzen "Fingerübungen" tritt das kulturwissenschaftliche Anliegen hervor, Theorie und Praxis eng zu verzahnen.
Torben Möbius