Anthony Goodman: Joan, the Fair Maid of Kent. A Fourteenth-Century Princess and her World, Woodbridge / Rochester, NY: Boydell & Brewer 2017, XVIII + 252 S., 5 Kt., 11 s/w-Abb., ISBN 978-1-78327-176-4, GBP 25,00
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"Loosened Bonds", "Tragic Beginnings", "Bigamy", "Married Bliss", "A Whirlwind Romance", zuletzt "Venus Ascending?". Ohne den Verweis auf die genealogischen Tafeln und das Kartenmaterial, die Anmerkungen, die Bibliografie und den Index könnte das Inhaltsverzeichnis mit diesen Kapitelüberschriften leicht Assoziationen zu jenen literarischen Hervorbringungen notorisch anspruchsloser Gebrauchslektüre aufrufen, die ihre verwickelten Liebesgeschichten bevorzugt im hochadeligen Milieu anzusiedeln pflegen.
Und zumindest was das hochadelige Milieu und den Lebensweg der Protagonistin dieses Werkes betrifft, geht diese Assoziation ja auch nicht völlig fehl. Aus königlicher Familie stammend, war Joan Plantagenet (ca. 1328-1385) dreimal verheiratet, zeitweise mit zwei Männern gleichzeitig, verband sich in dritter Ehe mit ihrem Verwandten, dem Schwarzen Prinzen, und wirkte nach dessen Tod als Regentin für ihren unmündigen Sohn Richard II. Und so kann es grundsätzlich erfreuen, dass der 2016 verstorbene Historiker und Spezialist für die Geschichte des Hundertjährigen Krieges Anthony Goodman sich in seinem letzten Buch der ereignissatten Biographie dieser prominenten Dame angenommen hat. Mit dem recht knappen Endnotenapparat und der übersichtlichen Bibliographie wendet sich das schlanke Werk an ein breiteres, historisch interessiertes Publikum, das entsprechend weder mit einer Einführung in den Forschungsstand noch mit methodischen oder hermeneutischen Differenzierungen behelligt wird.
Angesichts der in ihrer Fülle am ehesten Tolstois "Krieg und Frieden" vergleichbaren Anzahl an dramatis personae wird man im Sinne gelingender Lektüre allerdings von einem emiment informierten Leserkreis ausgehen wollen.
Im ersten Kapitel "Loosened Bonds" begibt Goodman sich mit einem kursorischen Abriß der politischen und gesellschaftlichen Situation in England im 14. Jahrhundert sogleich in medias res, wobei er einerseits die Rolle der Frau und den ihr zugewiesenen Platz im Spätmittelalter nachzuzeichnen, andererseits bereits eine grobe historische Verortung seiner Heldin versucht. Dabei scheint viel Sympathie für seine Protagonistin auf, die ihn ihre Geschichte aus der Perspektive ihrer Unvergleichlichkeit und Exzeptionalität erzählen lässt. Gerade an dieser Stelle vermisst man freilich eine Kontextualisierung seines Erkenntnisinteresses in der aktuellen Frauen- und Genderforschung geradezu schmerzlich. Goodman skizziert Situation und Rolle der Frau im Mittelalter anhand der zeitgenössischen theoretischen humoralmedizinischen und kirchlichen Auffassungen von der naturgegebenen Unterordnung der Frau unter den Mann und verzichtet so auf die Gelegenheit, Joan Plantagenet im Kontext beobachtbarer weiblicher Lebens- und Handlungsoptionen des Spätmittelalters zu zeigen.
Kritisch ist denn auch die ratio scribendi, die Joan in ihren Möglichkeiten zeigen will, ihre - im übrigen ebenfalls nicht weiter definierte oder auch nur hermeneutisch problematisierte - Individualität (7) auszuleben. Dies wiegt umso schwerer, als offenbar keinerlei persönliche Äußerungen der Herzogin überliefert sind und die Untersuchung sich deshalb auf diplomatische, juristische und historiographische Quellen stützen muss. Erkenntnisintention und Erkenntnishorizont des Werkes bleiben damit hinter den Möglichkeiten aktueller historischer Forschung zurück. Zu Gunsten des Autors sei allerdings angemerkt, dass sein sich während der Arbeit offenbar stetig verschlechternder Gesundheitszustand möglicherweise seinen Tribut hinsichtlich der inhaltlichen Darstellung wie der historischen Methode gefordert hat.
Mit dem Beginn des zweiten Kapitels "Tragic Beginnings" folgt Goodman chronologisch der Biographie seiner Heldin, die er vor dem Hintergrund der politischen Ereignisse zur Zeit des Hundertjährigen Krieges erzählt, wobei die Kapitel sich an den Lebensabschnitten der Herzogin von Kent orientieren. Der bisweilen geradezu atemlos geschilderte Gang der Ereignisse wirkt dabei hin und wieder als subtiles Korrektiv der Grundthese von Joans Außergewöhnlichkeit: Auch einer Isabella von Frankreich, Gattin des dubios zu Tode gekommenen Königs Edward II., wird man bei aller Begeisterung für die mittelalterliche Theologie und Säftelehre schwerlich nachsagen wollen, nur passiv-machtlose Verhandlungsmasse männlichen Herrschaftswillens gewesen zu sein. Vielmehr ergibt sich der Eindruck, dass Joan sich trotz allem durchaus im Rahmen zeitgenössischer weiblicher Handlungsmöglichkeiten bewegt hat - der sich freilich nicht notwendigerweise mit den geschlechtertheoretischen Annahmen der Gelehrten decken musste.
Die Schilderung der historischen Ereignisse wird dabei immer wieder durch Vermutungen zu den Handlungsmotivationen und der Gefühlswelt der Protagonisten unterbrochen, die nicht nur schwer in den Quellen belegbar sind, sondern oft genug auch reichlich betulich daherkommen. So wird etwa aus den testamentarischen Verfügungen des 1330 hingerichteten Vaters von Joan, der seine Frau zu seiner Testamentsexekutorin bestellt hat, geschlossen, "that they had a compatible, even affectionate relationship. Perhaps [...] theirs had been a love match, as the first and third of their daughter Joan's three controversial marriages were to be." (14) Goodmann schreckt ferner nicht vor despektierlichen Äußerungen über die historischen Personen zurück. So heißt es über eben jenen erfüllend verehelichten, doch politisch ungeschickten und unbeständigen Vater Joans "Perhaps Edmund's one worthwile achievement was to father Joan [...]." (17). Geht es um seine Heldin, kippt Goodmans Darstellung regelmäßig ins Psychologisierende, wenn nicht gar Kitschige. Über die nicht standesgemäße, erste, klandestine Ehe Joans mit Thomas Holand fabuliert Goodman "We can only speculate that her familiy tragedies had darkened her childhood, and that, as a vivacious young teenager, she ardently wished to escape the past in the arms of Thomas Holand, a kindred spirit in family suffering." (21).
Und so bleibt das meiste, was der Leser abseits des quellenmäßig belegbaren Gangs der historischen Ereignisse erfährt, im Reich des Spekulativen. Seine stärksten Passagen hat das Werk entsprechend, wo es Joan Plantagenet etwa in ihrem Handeln als Herrin über ihre Ländereien oder als Vormund für ihren unmündigen Sohn zeigt, und die eine Ahnung davon zulassen, welche Chancen die Auseinandersetzung mit ihrer Biographie für die Erforschung der Lebensperspektiven adeliger Frauen im Spätmittelalter geboten hätte, wenn man nur die additive chronologische zugunsten einer thematisch orientierten und fachhistorisch kontextualisierten Aufarbeitung ihres Lebens aufgebrochen hätte.
Ein weiterführender und über den Einzelfall hinausweisender, jedoch ebenfalls nicht weiter verfolgter rezeptionsgeschichtlicher Ansatz hätte zudem das Nachleben Joans in der spätmittelalterlichen Historiographie stärker vom Fluchtpunkt des unrühmlichen Endes ihres königlichen Sohnes Richards II. untersuchen und erörtern können, inwiefern die ambivalente Zeichnung der Herzogin nicht auch den Bemühungen geschuldet ist, Richard II. über die Diskreditierung der Mutter als gleichsam ab ovo unwürdigen König darzustellen (175).
Am Ende bleibt der Eindruck, dass Joan Plantagenet sicherlich eine aufsehenerregende Persönlichkeit gewesen ist, die sich vielleicht weniger als andere dem gesellschaftlichen und familiären Druck gebeugt und, zumindest was zwei ihrer drei Ehen angeht, eigenmächtige Entscheidungen getroffen hat. Andererseits wird man aber auch konstatieren müssen, dass sie gemeinsam mit ihren beiden frei gewählten Ehemännern die Handlungsspielräume geschickt genutzt hat, welche die Inkongruenzen der kanonisch-rechtlichen Gesetzeslage und der lokalen Gewohnheiten ihnen einräumten. So mag die unkanonische Verbindung mit Edward Plantagenet, dem ältesten Sohn König Edwards III., heimlich und ohne Einweihung des Königs erfolgt sein, doch erwuchsen den Eheleuten daraus keine Nachteile hinsichtlich ihrer gesellschaftlichen Reputation oder ihrer politischen Handlungsmöglichkeiten. Der König selbst verwendete sich beim Papst für eine Dispens vom Makel der zu nahen Verwandtschaft.
Es zeichnet womöglich ein verzerrtes Bild, wer das Handeln mittelalterlicher Protagonisten allein an den verschriftlichen rechtlichen, medizintheoretischen und religiösen Normen misst, die immer ein Sollen definieren, doch im Allgemeinen kein Sein. Ebenso geht mutmaßlich in die Irre, ja der letztlich neuzeitlichen Konzeption der Liebesheirat auf den Leim, wer die Existenz einer nach den überlieferten Normen nicht standesgemäßen Ehe allein mit der normensprengenden Kraft der Liebe zu erklären sucht. Das Bild, das Goodman von Joan Plantagenet in ihrer Exzeptionalität entwirft, wirkt damit geprägt von der Rückkopplung der Unwägbarkeiten von Überlieferungs-Chance und Überlieferungs-Zufall mit den Erkenntniserwartungen des Betrachters und sagt damit vermutlich mehr über den Autor, sein Mittelalter- und sein Gesellschaftsbild aus, als über seinen Gegenstand: Joan Plantagenet, the Fair Maid of Kent.
Kerstin Hitzbleck