Regina Frisch (Hg.): Kochen im Ersten Weltkrieg. Drei Kriegskochbücher aus Bayern, Würzburg: Königshausen & Neumann 2018, 416 S., zahlr. s/w-Abb., ISBN 978-3-8260-6463-0, EUR 28,00
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Ian F. W. Beckett: The Making of the First World War, New Haven / London: Yale University Press 2012
Das Buch überrascht, auch wenn der Titel schon darauf hinweist, dass drei Kochbücher im Mittelpunkt stehen. Denn den größten Teil der 416 Seiten nimmt tatsächlich der Wiederabdruck der drei Kochbücher ein. Da zwei in Frakturschrift gedruckt wurden, machte sich die Herausgeberin auch noch die Mühe einer Transkription. Zieht man die Literaturliste und das Rezeptregister ab, bleiben gut 50 Seiten übrig, in denen die Herausgeberin zeigt, wie man Kochbücher als Quellen nutzen kann. Die drei Kochbücher wurden mit Bedacht gewählt, eines gab der Verein für wirtschaftliche Frauenschulen auf dem Lande heraus, die beiden anderen stammen aus der Feder erfahrener Köchinnen, die eine Jahrgang 1833, die andere 1876. Das spielt insofern eine Rolle, als die Herausgeberin unterscheidet, ob die Kochbücher mit einer mehr oder weniger deutlichen Propagandafunktion verfasst wurden oder mit dem Ziel, Rezepte an die Situation von Mangel und Hunger anzupassen. So schwört das eine Kochbuch seine Leserinnen darauf ein, um keinen Preis Schwäche zu zeigen: "Jeder Haushalt trägt die Verantwortung, dass das Blut der Soldaten nicht umsonst geflossen ist." Einen "Hungerfrieden" abzuschließen, sei undenkbar (72, 347). Die beiden Autorinnen Marie Buchmeier und Amelie Sprenger wollen die Leserinnen ganz offensichtlich dabei unterstützen, ihre Familie satt zu bekommen.
Frisch vergleicht die Kochbücher mit Vorkriegswerken desselben Vereins bzw. derselben Autorinnen. Dabei zeichnet sie nach, dass viele üppige Rezepte gar nicht an die Kriegssituation angepasst werden konnten: Fleisch, Butter, Sahne, Eier waren so knapp, dass sich viele Rezepte gar nicht auf die Wirklichkeit von Lebensmittelmarken und Knappheit abspecken ließen und folglich aus den Kochbüchern verschwanden. Ersatzstoffe, Fleischsorten (Innereien, Ziege, Kaninchen) fanden nun wieder oder neu Eingang in die Rezeptbücher. Aber auch Kastanien, Brennnesseln, Löwenzahn und andere Gemüse, die gesammelt werden konnten und ohne Bezugsscheine erhältlich waren, wurden genutzt, um die hungrigen Menschen zu sättigen. Auch französische Worte oder Namen (Sauce, Boeuf à la mode) wurden gestrichen und durch Tunke und Soßfleisch ersetzt (389).
Eingangs betont die Herausgeberin, dass Kochbücher Futter für die Fantasie bieten und Sehnsuchtsorte seien. Die Wirklichkeit im Krieg, so ihre Überzeugung, sah schlimmer aus, als es die Kochbücher aus dem Jahr 1915 erahnen lassen (7). Allein die Lektüre der Rezepte lässt beim Leser aber weder die Sehnsucht nach Genüssen erwachen noch bietet sie Zugang zu den Erfahrungen von Mangel und Hunger. Aber die Verfasserin bemüht sich mit dem Vergleich der Rezepte, die Veränderungen nachvollziehbar zu machen. Zum einen verschwanden - wie bereits gesagt - viele Lebensmittel aus den Küchen und den Kochbüchern oder wurden stark reduziert. Lebensmittel, die bislang unbekannt waren, hielten Einzug in die Speisekammern: Soja, Grünkern, Polenta (383). Küchengeräte sollten die Hausfrauen in mageren Zeiten unterstützen, das veranschaulicht das dritte Kochbuch von Sprenger mit Anzeigen für Küchengeräte zum fettfreien Braten oder für Kochkisten, die ohne weitere Energiezufuhr Gerichte zu Ende garten. Einige Zutaten waren nicht überall knapp, so verzeichnet das Bayerische Kriegskochbüchlein von Buchmeier noch etliche Rezepte für Mehlspeisen. Und dort heißt es: "Zucker ist das einzige Nahrungsmittel, das wir im Überfluß haben. Zucker ist sehr nahrhaft [...]. Zucker ist jetzt keine Näscherei. Manchmal genügen ein paar Stück Zucker, um ein plötzliches Hungergefühl zu stillen." (19, 71, 374)
Der Vergleich verdeutlicht, dass die Zahl der Eintopfgerichte (sättigende Suppen, Aufläufe, gestreckte Ragouts oder Sülzen) stieg. Ein Gericht, das im Vorkriegskochbuch für vier Personen angegeben worden war, reichte nun für eine unbestimmte Zahl an Essern. Auch ließ sich der Mangel verschleiern, indem in dem Kochbuch von Buchmeier nur noch wenig Mengenangaben genannt wurden: das Rezept für "Katzengeschrei" nennt als Zutaten Kartoffeln, Fleischreste, Salz, Pfeffer und Mehl. Der Fleischrest kann auch nur ein Wurstzipfel oder Knochen gewesen sein. Auch wenn der Hunger die Menschen, die sich am Tisch versammelten, sicher daran erinnerte, dass die Mahlzeiten vor dem Krieg üppiger gewesen waren, lässt das Kochbuch den Mangel noch in mildem Licht erscheinen. Die Rezepte für Brotsuppen, der Hinweis, dass die Teile des Gemüses (Strunk, Blätter oder Wurzeln), die vor dem Krieg geschält und weggeworfen wurden, nun verarbeitet werden sollten, verdeutlicht, dass die Köchinnen auf den Mangel reagierten, pragmatisch mit der neuen Situation umgingen und ihren Leserinnen sättigende Rezepte bieten wollten.
"Viele Wenig ergeben Ein Viel - darum, Ihr deutschen Hausfrauen, spart mit jedem Gramm Mehl, mit Brot und Kartoffeln!" heißt es in dem Kochbuch von Amelie Sprenger, das mag man als Mobilisierung oder gar Propaganda lesen, man kann es aber auch als schicksalsergebene Reaktion auf neue Lebensumstände deuten (390). Und so kommt die Herausgeberin nicht ganz überraschend zum Vergleich mit der Gegenwart, in der Menschen die Essgewohnheiten überdenken, den Fleischkonsum verringern, möglichst wenig Nahrungsmittel wegwerfen und Energie sparen wollen. Auch wenn die Umstände nicht vergleichbar seien, so könne doch die Notküche der Überflussgesellschaft Impulse geben (9).
Nicht bei allen Ergebnissen mag man der Herausgeberin jedoch folgen, vor allem nicht, wenn Belege fehlen, etwa bei der These, dass sich nach dem Krieg eine pragmatische, anspruchsvolle Landfrauenküche, in der regionale und soziale Esskulturen zusammentrafen, entwickelte. Land und Stadt kochten nun gleich, so die Behauptung der Herausgeberin (392). Auch der sehr schnelle Verweis auf Literatur, die sich mit der Ernährungslage 1914-1918 beschäftigt, trübt die Lektüre (8), auch wenn nachvollziehbar ist, dass das Thema umfangreicher geworden wäre, wenn die Ergebnisse der Literatur ausgewertet worden wären. So erfährt der Leser zwar, wie man Kochbücher als Quellen nutzen kann, doch zugleich bleibt er "hungrig" zurück, denn das Buch macht deutlich, dass viel mehr hätte gesagt werden können, etwa zur Wirklichkeit an den Esstischen, zu Hungerunruhen oder zum Verlust der Autorität der Behörden, denen es nicht gelungen ist, Nahrungsmittel gerecht zu verteilen. Dass Frisch die Bücher kennt, zeigt das Literaturverzeichnis.
Der Wunsch, Rezepte aus den Kriegsjahren nachzukochen, stellte sich (zumindest bei mir) nicht ein, da locken doch andere Sehnsuchtsorte.
Susanne Brandt