Gerardus Magnus: Opera omnia II, 2: Scripta contra Simoniam et Proprietarios. Cura et studio Rijcklhof Hofman et Marinus van den Berg (= Corpus Christianorum. Continuatio Mediaevalis; 235A), Turnhout: Brepols 2016, 517 S., ISBN 978-2-503-56640-5, EUR 280,00
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Die seit dem Jahr 2000 erscheinende Edition der Opera omnia von Gert Groote (†1384) schreitet nicht unbedingt zügig, aber beständig voran. Das an der Universität Nimwegen (Nijmegen) angesiedelte Titus Brandsma-Institut zeichnet dafür verantwortlich und stellt damit einmal mehr die Kompetenz seiner Mitarbeiter unter Beweis, die sich unter anderem der Erforschung der Devotio moderna verschrieben haben, als deren Gründungspersönlichkeit Gert Groote gilt. Groote, der 1375 sein Elternhaus in Deventer einer Frauengemeinschaft zur Verfügung stellte und so die Urzelle der "Schwestern vom gemeinsamen Leben" etablierte[1], wirkte (im Rang eines Diakons) als Bußprediger, der sich durch harsche Kritik am Zustand der Kirche, insbesondere aber des Klerus, viele Feinde machte. Sein Vorgehen in dieser Beziehung fiel vielleicht auch deshalb so unversöhnlich aus, weil er sich vor seiner Konversion derselben Vergehen schuldig gemacht hatte (vgl. 38-49). Groote hatte nämlich um mindestens vier Pfründen an Kollegiatstiften suppliziert und diesbezügliche päpstliche Expektanzen erhalten. Am Ende waren es aber Kanonikate an St. Marien in Aachen und am Dom zu Utrecht, die seinen Lebensunterhalt sicherten. Die im vorliegenden Band edierten Schriften sind vor diesem Hintergrund zu bewerten.
Es handelt sich hier also um eine thematische Materialsammlung, in der insgesamt 13 einschlägige Texte auf Latein und Niederländisch ediert wurden. Dabei fanden unterschiedliche literarische Genera Beachtung - vom Consilium de locatione cure pastoralis, De simonia ad beguttas über den Tractatus de simoniaca receptione sororum in conventibus tertii ordinis, vulgari lingua "leeringhe ende onderscheit van der sonden der symonien" nuncupatus bis hin zur Epistola ad abbatem in Camp de proprietatibus vitandis oder dem Sermo in festo Palmarum de paupertate. Jeder Edition gehen Bemerkungen zu Inhalt und Kontext, zur Editionsgeschichte, zu den erhaltenen Handschriften und zur ratio editionis voraus. Dem Editionstext selbst sind drei kritische Apparate beigegeben, neben einem Apparat der Bibelstellen, sind dies ein Quellen- und ein Variantenapparat.
In der lesenswerten Einführung werden die Texte zunächst allgemein in die (kirchen-)politische Situation der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts eingeordnet. Nicht nur Gert Groote wandte sich gegen Unkeuschheit und Simonie in den Reihen des Klerus. Er griff damit lediglich eine Grundstimmung auf, die weite Teile auch der Gläubigen ergriffen hatte und von der Überzeugung geprägt war, moralische Standards heben zu müssen. Vor ihm hatte es Johannes von Freiburg (†1314) auf den Punkt gebracht: Inter crimina ecclesiastica simoniaca haeresis obtinet primum locum - Groote selbst empfahl Johannes' Schriften als Vademecum für alle Fragen moralischer Natur.
Den einzelnen edierten Texten liegt jeweils diejenige Handschrift zugrunde, die dem Autograph Grootes am nächsten steht - die Kriterien, die zur Auswahl einer solchen Handschrift führten, sind in den Einführungen zu den jeweiligen Texten beschrieben. Die Entscheidung, durch eine kluge Interpunktion den Text zu gliedern, jedoch nicht zu überfrachten und so zu einem besseren Verständnis des schriftlich Niedergelegten beizutragen, wird wohl jeder begrüßen, der sich schon einmal durch einen von Satzzeichen freien Text kämpfen musste und vor der Aufgabe stand, inhaltliche Einschnitte selbst zu markieren. Auch bei der Verwendung von Großbuchstaben folgen die Editoren modernen Gepflogenheiten. Auch hier nimmt man die Eingriffe in die originale Textgestalt aus Gründen der Lesefreundlichkeit gerne in Kauf.
Biblische Zitate im Text erscheinen kursiv, diejenigen aus anderen Autoritäten sind in Anführungszeichen gesetzt und folgen einem Doppelpunkt. Dies führt bei längeren Zitaten (die sich durchaus über mehrere Seiten erstecken können) freilich dazu, dass nicht immer sofort ersichtlich ist, wer gerade schreibt bzw. spricht.
Bei den drei mittelniederländischen Texten, die allesamt nur in einer einzigen Handschrift (codex unicus) überliefert sind, entschied man sich gegen einen diplomatischen Abdruck. Mit anderen Worten: hier wurde die orthographische Gestalt des Originals zwar so genau wie möglich übernommen, aus Gründen der Benutzerfreundlichkeit jedoch mitunter in den Text eingegriffen. Abkürzungen wurden auf stets dieselbe Art und Weise aufgelöst, der Gebrauch der Buchstaben -u-, -v-, -w-, -u-, -i- und -j- normalisiert, die orthographische Trennung einiger Wortverbindungen nach heutiger Gewohnheit aufgehoben ("in den dat / inden dat"). Diese Entscheidungen mögen umso leichter gefallen sein, als für zwei Texte bereits diplomatische Transkriptionen vorliegen.
Welche neuen Erkenntnisse bieten die nun in kritischer Edition zugänglichen Texte? Zunächst einmal legen sie Zeugnis ab von der großen Vertrautheit Grootes mit dem kanonischen Recht, stärken gleichzeitig aber auch die Vermutung, dass er niemals Zivilrecht studiert hat. Dort, wo er kanonische Rechtsquellen zitiert, scheint er auf Originalquellen zurückgegriffen zu haben, dort aber, wo Zitate aus dem weltlichen Recht bemüht werden, ist die Abhängigkeit von Quellen aus zweiter Hand überdeutlich. Zum Umgang Grootes mit seinen Quellen sind die Bemerkungen in der Einführung überaus erhellend (49-53). Nach dem Blick auf einige apparatus fontium könnte man Groote gar eine Neigung unterstellen, zentrale Quellen für seine Ausführungen zu verschweigen, minder wichtige Autoren hingegen namentlich zu nennen. Neben einigen Um- bzw. Neudatierungen erhaltener Handschriften springt die Neuzuweisung eines Briefes (ep. 27) an einen anonymen Zisterzienser ins Auge. Darüber hinaus wird als Adressat der Palmsonntagspredigt die Zisterzienserabtei Kamp-Lintfort ins Spiel gebracht.
Gert Groote erscheint in den mustergültig edierten und auf Benutzerfreundlichkeit setzenden Texten zu den Problemkreisen von Simonie und (klösterlichem) Besitz im späten Mittelalter als gewichtige Stimme in einem vielstimmigen Konzert - es ist nun an der Forschung, diese Stimme sehr viel stärker als bisher der Fall vernehmbar zu machen. Der vorliegende Band bietet hierfür beste Voraussetzungen.
Anmerkung:
[1] Als letzte Repräsentantinnen der Devotio moderna, die ihre Abstammung direkt auf die Windesheimer Kongregation zurückverfolgen konnten, verließen die Regularkanonikerinnen von Soeterbeck 1997 ihr Kloster.
Ralf Lützelschwab