Rezension über:

Xavier Barral i Altet / Pál Lővei / Imre Takács (eds.): The Art of Medieval Hungary (= Bibliotheca Academicae Hungariae – Roma. Studia; 7), Roma: viella 2018, 732 S., zahlr. Abb., zahlr. Kt., ISBN 978-88-6728-661-4, EUR 69,00
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Rezension von:
Markus Hörsch
Leibniz-Institut für Geschichte und Kultur des östlichen Europa, Leipzig
Redaktionelle Betreuung:
Rebecca Müller
Empfohlene Zitierweise:
Markus Hörsch: Rezension von: Xavier Barral i Altet / Pál Lővei / Imre Takács (eds.): The Art of Medieval Hungary, Roma: viella 2018, in: sehepunkte 20 (2020), Nr. 4 [15.04.2020], URL: https://www.sehepunkte.de
/2020/04/33391.html


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Xavier Barral i Altet / Pál Lővei / Imre Takács (eds.): The Art of Medieval Hungary

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Will man der europäischen Einigung eine tragfähige Zukunft schaffen, so hat eine pauschale Ablehnung der derzeit gerade in Mitteleuropa dominierenden populistisch-nationalen Politik allein wenig Aussicht auf Erfolg. Vielmehr muss Aufklärung in Sachen Geschichte und Kultur eines der vordersten Ziele sein - diese kann nämlich erweisen, wie stark die Verflechtungen der europäischen Völkerschaften und Länder lange vor der nationalen Segregation und der Re-Union nach 1989 waren. Eine bessere Kenntnis der Geschichte (und eben nicht nur der des 20. Jahrhunderts) kann die Basis für gegenseitigen Respekt sein, der künftig die multilateralen Beziehungen des Vielvölkerkontinents Europa bestimmen muss, will man nicht völlig in alte Denk- und Handlungsmuster zurückgleiten.

Der vorliegende Band ist, so kann man es in der Einleitung Xavier Barral i Altets lesen, der Versuch, den aktuellen Forschungsstand der Kunstgeschichte eines dieser Länder, Ungarns, auf Englisch zugänglich zu machen. Das Buch ist, wie es dem Klischee vom nicht besonders handlichen Handbuch entspricht, kompakt; es umfasst 553 Seiten, davon 477 mit dem eigentlichen Text, eng gedruckt, gefolgt von 250 Schwarzweißabbildungen und 94 Farbtafeln. Einführend erarbeiten im ersten Hauptteil Ernő Marosi einen Überblick über die Forschungsgeschichte sowie Kornél Szovák eine Quellenkunde. Dass letzteres nötig war, ist zu bezweifeln, denn es geht hier ja nicht um eine allgemeine Einführung in die Methodik der Erforschung mittelalterlicher Kunstgeschichte. Viel wichtiger wäre für ein Handbuch eine konzise historische Einführung gewesen, mit Stammbäumen, Karten usf. Dies wurde aber auf ein Minimum reduziert.

Der zweite Hauptabschnitt ist dem Profanbau gewidmet; hier berichten Katalin Szende, Pál Lővei, Zsombor Jékely und István Feld über Städtebau, städtische und ländliche Architektur sowie über Burgen und andere Typen herrschaftlichen Wohnens. Der dritte Teil ist Architektur und Kunst im Kontext der Liturgie gewidmet. Hier befassen sich Béla Zsolt Skakács mit der romanischen Sakralarchitektur der Großbauten, Krisztina Havasi mit romanischer Skulptur, Imre Takács mit "dem ersten Jahrhundert der Gotik in Ungarn", dieser zusammen mit Pál Lővei mit der angevinischen Ära sowie schließlich Gábor Endrődi mit den Flügelretabeln.

Der vierte Abschnitt widmet sich "religiösen Kulten und Machtsymbolen": Gábor Klaniczay schrieb den Abschnitt über Bildprogramme, die Heilige und ihre Kulte thematisieren, wobei ein Schwerpunkt auf der jüngeren ungarischen Historiografie und der Instrumentalisierung dieser Kulte in der postkommunistischen republikanischen Ära liegt. Vinni Lucherini behandelt die künstlerische Visualisierung des Konzepts von Königtum im angevinischen Ungarn und Pál Lővei handelt über Epigrafie und Grabskulptur. In einem fünften, etwas eigenartig vereinheitlichend mit "Formen der Kunst zwischen öffentlichem und privatem Gebrauch" betitelten Abschnitt, finden sich nur zwei Beiträge, der erste von Evelin Wetter über Goldschmiede- und Textilkunst, der zweite von Anna Boreczky über die Buchkultur. Abschnitt VI "The Middle Ages after the Middle Ages" schließlich lässt die Renaissance mit einem Beitrag Imre Takács' in der Zeit König Sigismunds beginnen, es folgt ein Beitrag Árpád Mikós über den Hof König Matthias Corvinus' und schließlich schreibt Gábor György Papp über den Historismus in der Architektur des 19. Jahrhunderts.

Nun folgen zwei Annexe. Der erste stellt 21 Hauptwerke mittelalterlicher Architektur und Kunst Ungarns vor. Ausgewählt wurden der Krönungsmantel der ungarischen Könige, natürlich die Stephanskrone, die Benediktinerabteikirche von Tihany als erhaltene Begräbnisstätte König Andreas' I., die Grabeskirche der Könige in Székesfehérvár, die Kathedralen von Pécs und Esztergom, die Kapelle des königlichen Palasts in Esztergom, die Kathedrale von Gyulafehérvár / Alba Iulia (heute Rumänien), die Benediktinerkirchen von Lébény und Ják, das Tympanon von Szentkirály (einem heutigen Stadtteil von Szombathely, das Original befindet sich im Nationalmuseum zu Budapest), das Grabmal der heiligen Margarethe von Ungarn, das Anjou-Legendarium (Vatikanische Bibliothek, cod. vat. lat. 8541, New York, Morgan Library, und St. Petersburg, Eremitage), die Ungarische Bilderchronik des Marcus von Kalt (Budapest, Széchényi-Nationalbibliothek), der königliche Palast von Visegrad, die Augustinerkirche von Siklós mit ihren Wandmalereien, die spätmittelalterlichen Skulpturen des Königspalasts von Buda, die Burg Vajdahunyad / Hunedoara (heute Rumänien), das Hochaltarretabel der Elisabethkirche von Kassa / Košice (heute Slowakische Republik), der Königspalast von Buda unter Corvinus und den Jagiellonen sowie schließlich die Bakócz-Kapelle des Doms von Esztergom, eines der berühmtesten Renaissancebauwerke außerhalb Italiens.

Der zweite Annex stellt die sieben wichtigsten Mittelalter-Sammlungen des Landes vor.

Dieses Werk wird jeder und jede Forschende, der oder die sich mit mitteleuropäischem Mittelalter befasst, besitzen müssen, bietet es doch einen guten Einstieg in alle Bereiche mittelalterlicher Kunst Ungarns. Doch ein Problem, das zwar angesprochen wird, konnte in dem angestrebten nationalen Rahmen nicht angemessen gelöst werden. Denn das Buch berücksichtigt zwar mittels einiger Fallbeispiele jene Bereiche des Königreichs, die heute zu anderen Staaten gehören. Aber man erlegte sich dabei offenbar eine Selbstbeschränkung auf, die insofern zu einem Ungleichgewicht führt, als die beeindruckendsten Zeugnisse spätmittelalterlicher Kirchenausstattungen in jenen Gebieten des alten "Oberungarn" (also heute slowakischer und rumänischer Regionen) am Ort erhalten blieben, die nicht von den Osmanen besetzt waren. Auch darf man nicht vergessen, dass z.B. die Königreiche Ungarn und Kroatien über lange Zeiträume hinweg in Personalunion verbunden waren. Gerade im Hinblick auf solche Fragen vermisst man die historische Einleitung.

Generell ist man verwundert, mit welcher formalen Mittelmäßigkeit der Verlag viella das Ziel, ein breiteres Publikum anzusprechen, verfehlt hat. Die Textwüste zu Beginn wird nur ein sehr interessiertes Publikum lesen, und dies höchstwahrscheinlich nur punktuell, je nach Forschungsgebiet. Für diese Leserschaft ist es dann aber ganz unbefriedigend, dass das Handbuch keinerlei Anmerkungen besitzt. Man muss einen Fußnotenapparat nicht ausufern lassen, aber ein kurzes Literaturverzeichnis pro Aufsatz genügt nicht.

Für das breitere kulturinteressierte Publikum wiederum ist es dann - gerade in den Zeiten der Digitalisierung - keinesfalls attraktiv, in einem dicken Buch hinten nach den Abbildungen suchen zu müssen, unterschieden noch nach Schwarzweiß- und Farbabbildungen. Wie schön hätte man dieses Buch bebildern können und müssen! Doch leider wird das Strahlende der mittelalterlichen Kunst, gerade der so international vernetzten und anspruchsvollen ungarischen, hier kaum erfahrbar. Die Druckqualität der Abbildungen ist grundsätzlich nicht schlecht, sie sind aber zum Teil zu klein und mitunter entsprechen sie gewiss nicht den verwendeten Vorlagen. Der Rezensent kann nur aus eigener Erfahrung anmerken, dass Aufnahmen z.B. des tschechischen Fotografen Radovan Boček (vgl. z.B. Tafel 27, Hochaltar des Paul von Leutschau in Leutschau / Levoča) andernorts sehr viel mehr Wirkung entfalten. Hier aber erkennt man so gut wie nichts.

Es wurde eine große Chance vertan, ein breiteres Publikum durch überzeugende, detailreiche Bilder an die mittelalterliche Kunst Ungarns heranzuführen, mithilfe von Bildern auch zu erzählen. Trotz der genannten Einschränkungen bleibt zu hoffen, dass sich viele Leser durch das Buch zu intensiver Beschäftigung mit dem kulturellen Erbe Ungarns anregen lassen.

Markus Hörsch