Rezension über:

Klaus Schwabe: Versailles. Das Wagnis eines demokratischen Friedens 1919-1923, Paderborn: Ferdinand Schöningh 2019, 293 S., 9 s/w-Abb., 4 Kt., ISBN 978-3-506-78239-7, EUR 39,90
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Rezension von:
Wolfgang Elz
Mainz
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Wolfgang Elz: Rezension von: Klaus Schwabe: Versailles. Das Wagnis eines demokratischen Friedens 1919-1923, Paderborn: Ferdinand Schöningh 2019, in: sehepunkte 20 (2020), Nr. 5 [15.05.2020], URL: https://www.sehepunkte.de
/2020/05/33487.html


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Klaus Schwabe: Versailles

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Den Einbanddeckel schmückt ein Ausschnitt aus einem Gemälde von William Orpen; zu sehen ist Reichsaußenminister Hermann Müller, der stehend mit gebücktem Rücken seinen sitzenden Kabinettskollegen, Reichsverkehrsminister Johannes Bell, beobachtet, wie dieser ebenfalls in gebückter Haltung und an einem kleinen Tischchen im Spiegelsaal des Schlosses von Versailles gerade den Friedensvertrag unterschreibt. Vor ihnen sitzen, wie in einem Tribunal leicht erhöht, die Vertreter der Siegermächte, darunter schnell identifizierbar Woodrow Wilson, David Lloyd George und Georges Clemenceau; Wilson wirkt etwas gelangweilt, denn er scheint nur kurz von einem Schriftstück aufzuschauen, das er in der Hand hält. In den Spiegeln im Hintergrund wirkt die ganze Szene seltsam gebrochen. Als Richterspruch eines Tribunals empfand man auch in Deutschland den Versailler Vertrag: als zu Unrecht verurteilt und als Schuldiger gebrandmarkt sowie mit Lasten belegt, die man nicht tragen zu können glaubte. Wilson galt als Verräter, weil man sich auf dessen 14 Punkte und konkret auf die Lansing-Note verlassen hatte: Einige Monate zwischen Waffenstillstand und Bekanntgabe der Friedensbedingungen an Deutschland hatte man sich im "Traumland" (Ernst Troeltsch) bewegt und auf einen "gerechten" Frieden gehofft.

Anders als die jüngst erschienene umfangreiche Arbeit Eckart Conzes oder gar das monumentale Werk Jörn Leonhards [1] über die Friedensverträge von 1919 bis 1923 beschränkt sich Klaus Schwabe, der diese Veröffentlichungen nicht mehr berücksichtigen konnte, mit 236 Textseiten, 30 Seiten Anmerkungen, ein paar Karten und einem Register auf ein gut lesbares Maß. Dies liegt auch daran, dass er sich nach 35 Seiten über die Kriegsziele und den Waffenstillstand auf den folgenden gut 120 Seiten auf die konkrete Entstehung des Versailler Vertrags und den Weg hin zur deutschen Unterzeichnung konzentriert; die übrigen Vorortverträge mit Österreich, Ungarn und Bulgarien, die für die Nichtratifikation der Friedensordnung durch die USA verantwortliche Entwicklung in Amerika und schließlich der Vertrag von Lausanne von 1923 werden anschließend eher kurz behandelt, ehe der Autor am Schluss eine "Bilanz" zieht.

Seit fast einem halben Jahrhundert hat sich Schwabe mit Woodrow Wilson beschäftigt und zahlreiche Schriften zu ihm veröffentlicht. Auch in diesem Buch steht der amerikanische Präsident im Mittelpunkt: Er ist zumeist das Subjekt, und Schwabe prüft den Verhandlungsverlauf an Wilsons Konzeption eines "demokratischen Friedens", die er so beschreibt: "eine grundlegend neuartige Friedensordnung [...], die auf einer Verständigung unter den kriegführenden Parteien beruhen und einen Frieden unter Gleichen", nämlich unter demokratisch verfassten Staaten, herstellen sollte (7); im Ergebnis sollte er allerdings auch "gerecht" sein. Den Schlussstein in dieser Konzeption bildete bekanntlich der Völkerbund. Wilsons Vorhaben rieb sich in den Verhandlungen mit den durchaus anders gelagerten Interessen der europäischen Hauptalliierten. Schwabe misst die einzelnen Phasen der Vertragsentstehung immer wieder daran, inwieweit Wilson seine Ideale bei den Verhandlungen insbesondere im Kreis der "Großen Vier" durchsetzen konnte bzw. wo er angesichts des wiederholt drohenden Scheiterns der Konferenz bereit war, bei formaler Wahrung seiner Ziele in der Sache Kompromisse einzugehen. So entsteht in der Abfolge größerer Kapitel eine dichte Darstellung der einzelnen Verhandlungsmaterien: über die Entstehung des Völkerbundes, die Kolonialfragen und die deutsche Entwaffnung, anschließend über die Territorialbestimmungen und schließlich über die Reparations- und die damit im Zusammenhang stehende "Schuldfrage".

Es liegt in der Natur der Sache, wenn dabei auf der Ebene der Ereignisgeschichte nicht sehr viel Neues herauskommt: Die Friedensverhandlungen in Paris sind ebenso grundlegend erforscht wie die Phase von der Bekanntgabe der Friedensbedingungen an Deutschland über den nachfolgenden Notenwechsel, die im Umfang bescheidenen Änderungen am Vertragsentwurf bis hin zur deutschen Entscheidung über die Annahme. Aber Schwabe komponiert seine Abhandlung sehr lesefreundlich, so dass sie allen empfohlen werden kann, die sich in einem überschaubaren Umfang über die Entstehung des Versailler Vertrags grundlegend informieren wollen. Interessant auch für die bereits Informierten ist die Interpretation von Wilsons Verhalten. Insbesondere fällt auf, dass die amerikanische Forderung aus den letzten Kriegstagen und in der Phase der Waffenstillstandsverhandlungen, wonach Deutschland einen Demokratisierungsprozess einleiten müsse, um trotz der Kriegsniederlage einigermaßen schonend behandelt zu werden, sich als illusionär erwies: Die deutsche Republik, die die Monarchie abgeschüttelt hatte, wurde von den Siegern und eben auch von Wilson kaum anders behandelt, als es wohl einem wilhelminischen Deutschland ergangen wäre. Dies lag vor allem auch an der Form der Entstehung des Friedensvertrags: Was eigentlich nur als Vorverhandlungen unter den Siegern intendiert war, führte eben nicht zu wirklichen weiteren Verhandlungen mit Deutschland, und auch die Öffentlichkeit, von der in Wilsons 14 Punkten die Rede war, wurde in den kniffligen Fragen von den "Großen Vier" ausgeschlossen. Mit dem "demokratischen Frieden", den Wilson angekündigt hatte, hatte dieses Vorgehen wenig zu tun. Daher konnte man auch in Deutschland gar nicht vollständig realisieren, wie zerstritten die Sieger in vielen Punkten waren und welche Mühen sie aufwenden mussten, um zu Kompromissen zu gelangen - dies war der Hauptgrund, warum es aus ihrer Sicht nicht mehr zu mündlichen Verhandlungen mit Deutschland kommen durfte, weil dann die Uneinigkeit der Sieger wohl offenkundig geworden wäre. Dagegen setzte der amerikanische Präsident das andere Postulat der "Gerechtigkeit" durch: Gerecht war, und darin stimmte er mit Lloyd George und Clemenceau überein, eben nur ein Frieden, der den Schuldigen auch bestrafte. Damit ging aber der "Krieg in den Köpfen" weiter, wie Schwabe die Nachkriegssituation mehrfach charakterisiert, zumal der spätere politische Rückzug der USA aus Europa und der Ausschluss des bolschewistischen Russland von den Verhandlungen keine Stabilität der Friedensordnung erwarten ließen.


Anmerkung:

[1] Eckart Conze: Die große Illusion. Versailles 1919 und die Neuordnung der Welt, München 2018; Jörn Leonhard: Der überforderte Frieden. Versailles und die Welt 1918-1923, München 2018.

Wolfgang Elz