Oliver Janz (ed.): Winning Peace. The End of the First World War: History, Remembrance and Current Challenges, Berlin: German Foreign Office 2019, 168 S., Open Access: https://www.geschkult.fu-berlin.de/e/fmi/bereiche/ab_janz/Tagungen/Win-Peace-Confe, ISBN 978-3-00-062688-3
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Philipp Scherzer: Neoconservative Images of Europe. Europhobia and Anti-Europeanism in the United States, 1970-2002, Berlin: De Gruyter 2022
Jürgen Peter Schmied (Hg.): Kriegerische Tauben. Liberale und linksliberale Interventionisten vom 19. Jahrhundert bis in die Gegenwart, Göttingen: V&R unipress 2019
Kim Philips-Fein / Julian A. Zelizer (eds.): What's Good for Business. Business and American Politics since World War II, Oxford: Oxford University Press 2012
Dieser Sammelband über die Friedensschlüsse nach dem Ersten Weltkrieg und deren Folgen hat mit den Außenministerien in Paris und Berlin gewichtige Sponsoren besessen. Unter ihrer Schirmherrschaft und mit Unterstützung einer Reihe von deutsch-französischen Forschungseinrichtungen fand zu diesem Thema am 11./12. Oktober 2018 eine Konferenz in Berlin statt. Von Oliver Janz wissenschaftlich betreut, liegt jetzt eine knappe englischsprachige Auswahl der dort gehaltenen Referate gedruckt vor. Nur der erste Teil befasst sich mit dem Versailler Friedensschluss als solchem. In diesem liefert der Beitrag des Freiburger Historikers Jörn Leonhard den am weitesten ausgreifenden Ausschnitt, in dem er die mit dem Kriegsende geweckten Hoffnungen der Kriegsteilnehmer dem Ergebnis der Friedenskonferenz gegenüberstellt. Tatsächlich hätte dieser Friedensschluss, so resümiert er, die damaligen Friedensmacher in vieler Hinsicht überfordert und dazu geführt, dass er alsbald unglaubwürdig zu werden begann. Einen ersten Grundwiderspruch von "Versailles" sieht Leonhard zwischen dem globalen, auf eine dauernde internationale Ordnung abzielenden Friedensprojekt des US-Präsidenten Woodrow Wilson und den nationalen Interessen der einzelnen am Friedensschluss beteiligten Mächte. Dem Ruf Wilsons nach nationaler Selbstbestimmung widersprachen die Ziele der Alliierten sowie das Expansionsstreben der Nachfolgestaaten der Habsburger Monarchie, deren Ziel einer ethnisch-homogenen Staatlichkeit der Wirklichkeit der ethnischen Mischbevölkerung in Südosteuropa nicht entsprach. Die Forderung der Sieger nach einer Kriegsentschädigung durch die Verliererstaaten ("Reparationen") verstieß gegen die schlichte wirtschaftliche Vernunft. Der faktische Ausschluss Deutschlands und des bolschewistischen Russlands aus den Friedensverhandlungen sowie die scheinbare Benachteiligung einiger Verhandlungspartner wie Italien und China sowie einiger neu geschaffener Staaten führten schließlich alsbald zu lautstarken Protesten und entfremdeten die vermeintlich oder tatsächlich zu kurz gekommenen Völker von demokratischen Werten. An deren Stelle traten autoritäre und, im Falle Italiens sowie Deutschlands, am Ende imperialistische Ziele. Als Hitler 1933 Reichskanzler wurde, gab es in der Welt nur noch wenige Meinungsführer, die den mit Deutschland und dessen Verbündeten geschlossenen Friedensverträgen vorbehaltlos zustimmten.
Diese Entwicklung illustrieren auch die beiden anderen Beiträge dieser Sektion, die sich mit Frankreich und den USA befassen. Die Pariser Historikerin Laurence Badel erkennt in der Friedenspolitik ihres Landes tiefe Widersprüche: Nach "Gerechtigkeit" hätten gewiss alle Franzosen gerufen, sie verstanden darunter aber fundamental unterschiedliche Konzepte. "Gerechtigkeit" hieß auf der einen Seite die Schaffung einer auch von den Besiegten als gerecht anerkannten völkerrechtskonformen internationalen Friedensordnung im Sinne Wilsons und der europäischen Linken. "Gerechtigkeit" bedeutete andererseits einen Frieden der Sieger und damit eine finanzielle Wiedergutmachung durch die Besiegten und deren Bestrafung als Schuldige für den Ausbruch des Krieges. Der französische Ministerpräsident Georges Clemenceau hätte zwar materielle Kompromisse ausgehandelt, doch lösten diese bei der nationalistischen Rechten vehemente Proteste aus.
Damit stellt sich die Frage, wie denn Wilson und die amerikanischen "Internationalisten" selbst diesen Konflikt zwischen Wunsch und Wirklichkeit zu überbrücken versuchten. Die Antwort, welche die amerikanische Historikerin Jennifer Keene liefert, befriedigt wenig, weil sie die Eigenständigkeit von Wilsons Beitrag zum Friedensschluss von Versailles nicht wirklich anerkennt. Ihre Feststellung, dass die USA vor 1914 und dann seit 1917 unter der Führung Wilsons auch machtpolitisch-militärisch agiert hatten, ist zwar richtig, sie übersieht dabei aber, anders als Badel, die tiefen konzeptionellen Unterschiede, die in ihrem Lande zwischen "Internationalisten" und Nationalisten bzw. Isolationisten (America first!) bestanden.
Der zweite Teil dieser Veröffentlichung widmet sich den Folgen von Versailles und besonders der "Vorortsfriedensschlüsse" im ehemaligen Zarenreich, in Ostasien und in der Türkei. Die ehemals russische Ukraine durfte unter Berufung auf die nationale Selbstbestimmung auf einen eigenen Staat hoffen wie Yaroslav Hrytsak in seinem Beitrag betont. Diese Erwartung erwies sich jedoch als Illusion, als die neue Nation schon 1919 im Chaos der osteuropäischen "bloodlands" versank, dabei ihre Eliten verlor und schließlich in die UdSSR einverleibt wurde. Für den Verfasser hat fast ein Jahrhundert später erst der "Maidan" die Unabhängigkeit der Ukraine verwirklicht.
China und Japan, die beiden ostasiatischen Hauptmächte, lehnten "Versailles" aus unterschiedlichen Gründen ab, wie ein Statement des Oxforder Sinologen Rana Mitter darlegt - China, weil der Frieden Japan als Erben der deutschen Kolonie Qingtao bevorzugt hatte, Japan selbst, weil die Konferenz seiner Forderung nach rassischer Gleichstellung nicht nachkam. In Japan und noch mehr in China löste der Versailler Frieden daher eine nationalistische Protestwelle aus, die in China auch Maos kommunistischer Partei zugute kam.
Den Fortbestand eines türkischen Staates stellte der Straffrieden von Sèvres in Frage, wie die Beiträge von Michael Thumann und Edhem Eldem zeigen. Im Unterschied zu diesem garantierte der Folgefrieden von Lausanne (1923) den neuen türkischen Nationalstaat, verfügte gleichzeitig, nachdem die Türkei unter Kemal Atatürk das von den europäischen Westmächten unterstützte Griechenland in einem Stellvertreterkrieg besiegt hatte, aber auch einen griechisch-türkischen Bevölkerungsaustausch, ein ominöses Vorbild für künftige ethnische Säuberungen (Thumann). Der Türkei-Beitrag von E. Eldem behandelt die Hauptfolge des Friedens von Lausanne - die Schaffung eines laizistischen türkischen Nationalstaates. Indem heute die muslimische Regierung von Recep Erdogan das Erbe der osmanischen Großmacht wieder pflege, zeige sie, dass sie nicht bereit sei, aus den Erfahrungen des Ersten Weltkrieges zu lernen.
Der dritte Teil dieser Veröffentlichung befasst sich mit der heutigen höchst unterschiedlichen Erinnerungskultur im Gedenken an den Ersten Weltkrieg: Auf der einen Seite steht Australien mit einer "Orgie" patriotischer Begeisterung im Gedenken an die im Krieg gefallenen Australier (so die australische Historikerin Joan Beaumont). Demgegenüber steht das Bemühen in Frankreich und Deutschland, den Ersten Weltkrieg als gemeinsames Martyrium beider Länder zu würdigen (Elise Julien und Arndt Weinrich), in den Zusammenhang der Jahrzehnte langen Annäherung zwischen beiden Nationen zu stellen und die Erinnerung an diese Weltkatastrophe damit zu "entnationalisieren" (Julien). Auch Weinrich sieht Deutschland und Frankreich auf dem Weg zu einer Internationalisierung des Weltkriegsgedenkens, wenn auch Christopher Clarks Bestseller Sleepwalkers mit seiner Korrektur des Vorwurfs einer alleinigen deutschen Kriegsschuld das deutsche Weltkriegsgedenken wieder national akzentuiert habe. [1]
Markus Meckel, der letzte Außenminister der DDR und, wie es scheint, einer der Hauptinitiatoren der Berliner Tagung, ergänzt diese Untersuchungen mit der Benennung einiger Auswirkungen der Friedensschlüsse vor allem in Osteuropa und mit der Betonung der supranationalen und langfristigen Aspekte des Versuches, seit 1919 für Europa zu einem echten Frieden zu gelangen.
Der wissenschaftliche Ertrag der in dieser Veröffentlichung vereinten Beiträge ist unterschiedlich. Gewiss beruhen sie in den meisten Fällen auf eigenen Forschungen der Verfasser. Doch sind nur fünf von ihnen durchgängig belegt. Die Initiatoren besaßen zudem mehr als nur "Mut zur Lücke": Neben gleich zwei Beiträgen über die Türkei bietet der Band keinen einzigen über Großbritannien und dessen Prime Minister David Lloyd George, bis 1922 der eigentliche "Macher" unter den alliierten Siegermächten. Es verwundert auch, dass in diesem vom deutschen Auswärtigen Amt publizierten Text ein eigener Beitrag zur deutschen Rolle bei dem damaligen Friedensschluss fehlt. Obgleich etwas unausgewogen und torsohaft, ist diese Veröffentlichung dennoch zu begrüßen, hat sie doch die Erinnerung an das Ende des Ersten Weltkrieges und seine langfristige Nachwirkungen perspektivenreich und nachhaltig erneuert.
Anmerkung:
[1] Vgl. dazu den von Weinrich mitherausgegebenen Band von Laurent Jalabert / Reiner Marcowitz / Arndt Weinrich (éds.): La Longue Mémoire de la Grande Guerre: Regards croisés franco-allemands de 1918 à nos jours, Villeneuve d'Ascq 2017.
Klaus Schwabe