Rezension über:

Jörg Oberste: Die Geburt der Metropole. Städtische Räume und soziale Praktiken im mittelalterlichen Paris (= Forum Mittelalter. Studien; Bd. 12), Regensburg: Schnell & Steiner 2018, 320 S., 46 Abb., ISBN 978-3-7954-3173-0, EUR 39,95
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Rezension von:
Andreas Sohn
Universität Sorbonne Paris Nord
Redaktionelle Betreuung:
Ralf Lützelschwab
Empfohlene Zitierweise:
Andreas Sohn: Rezension von: Jörg Oberste: Die Geburt der Metropole. Städtische Räume und soziale Praktiken im mittelalterlichen Paris, Regensburg: Schnell & Steiner 2018, in: sehepunkte 20 (2020), Nr. 7/8 [15.07.2020], URL: https://www.sehepunkte.de
/2020/07/31752.html


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Jörg Oberste: Die Geburt der Metropole

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Mit einer bedeutsamen Zeit der urbanen Entwicklung von Paris befasst sich der Regensburger Mediävist Jörg Oberste. Aus der Beschäftigung mit Frankreichs Geschichte im Mittelalter erwuchs sein Interesse an dieser Stadt. Die Untersuchung zielt darauf, die Entwicklung von Paris als Metropole zu erhellen. Dass dazu vom 12. Jahrhundert ausgegangen (und im Wesentlichen bis zum 14. Jahrhundert ausgegriffen) wird, liegt nahe, denn in diesen Jahrzehnten vollzieht sich ein tiefgreifender Wandlungsprozess. Dieser lässt bis zum 13. Jahrhundert Paris als Hauptstadt des französischen Königreiches entstehen, in dessen Glanz als stärkster europäischer Kontinentalmacht unter König Ludwig IX. (1226-1270) jene - nach dem Tode des staufischen Kaisers Friedrich II. († 1250) - erstrahlt.

In einem ersten grundlegenden Teil legt Oberste die Herrschafts-, Besitz- und Gerichtsrechte in der Seinestadt (König, Bischof, Domkapitel, Klöster, Stifte, Bürger) dar, begleitet von methodischen Überlegungen zur Metropolenbildung. Die eigentliche Untersuchung stützt sich hauptsächlich auf "das erhaltene mittelalterliche Verwaltungsschriftgut der geistlichen Pariser Grundherren" (31), wovon ein erheblicher Teil noch der Edition harrt. Bei der Skizze der städtischen Räume dominiert der Blick auf die Sakraltopographie.

Wie sich die fortschreitende Urbanisierung von Paris fassen und die Frage nach den Akteuren derselbigen einer Antwort zuführen lässt, wird anhand der Fallstudie aufgezeigt, welche dem burgus um das seit 1079 bestehende cluniacensische Priorat Saint-Martin-des-Champs (hervorgegangen aus dem von König Heinrich I. 1060 gegründeten Kollegiatstift) auf dem rechten Seineufer gilt. Hierbei handelt es sich um das umfangreichste Kapitel des Bandes (105-273) mit einer Vielzahl von instruktiven Beobachtungen (auch zur Struktur der censiva); die einschlägigen Veröffentlichungen zum Priorat Saint-Martin-des-Champs und zur burgundischen Abtei Cluny werden einbezogen. Mit der Auswertung der Verzeichnisse klösterlicher Einnahmen gelingen Einblicke in Ausmaß und Organisierung des Grundbesitzes von Saint-Martin-des-Champs. Eine aufschlussreiche Quelle stellt das 1340 angelegte, im französischen Nationalarchiv aufbewahrte Register dar, das auf den Prior Bertrand de Pibrac (1321-1358) zurückgeht und in der Forschung als "Registre Bertrand" bekannt ist. Seit dem 13. Jahrhundert trat immer deutlicher eine Verschuldung des Priorats hervor, der auch mit Kreditaufnahmen zu begegnen versucht wurde, so beispielsweise mit einer bei einem Sieneser Bankhaus im Jahre 1295. Zum Martinskloster gehörten nach dem "Registre Bertrand" rund 30.000 Haushalte (hierzu 140 und 217), was den großen Zuzug - auch aus dem Umland - in das Stadtviertel und dessen relativ dichte Bebauung anzeigt. Freilich reicht diese Angabe über den städtischen Bereich innerhalb der Wehrmauern König Philipps II. (1180-1223) hinaus.

Aufschlussreich sind die Darlegungen zum Aufbau des burgus (189-202) und zur Urbanisierung beiderseits der Rue Saint-Martin (202-216) - anhand der überlieferten Censiers von Saint-Martin-des-Champs ab 1263 und der vom Königtum veranlassten fiskalischen Register aus der Zeit um 1300. So gelingt es Oberste auch, anschließend das soziale Profil dieses Stadtteils zu beleuchten - mit manchen Facetten (vom Gastwirt bis zum Goldschmied, vom Zaumzeug- und Gürtelmacher bis zum begüterten Notar, wofür hier der Name von Nicolas Flamel [† 1418] stehen mag, dessen Haus in der Rue de Montmorency noch erhalten ist). Von Bewohnern des burgus erfolgten auch Stiftungen an das cluniacensische Kloster, um des fürbittenden Gebets der Mönche teilhaftig zu werden.

Zahlreiche Abbildungen (vor allem Karten und Pläne zur urbanistischen Genese und zur Entwicklung der Gerichtsbarkeit) tragen zur Veranschaulichung der Darstellung bei. Verzeichnisse der Quellen und Literatur sowie ein Register der Orts- und Personennamen beschließen den anregenden Band.

Andreas Sohn