Eva-Maria Gärtner: Heilig-Land-Pilgerinnen des lateinischen Westens im 4. Jahrhundert. Eine prosopographische Studie zu ihren Biographien, Itinerarien und Motiven, Münster: Aschendorff 2019, 279 S., 2 Tbl., ISBN 978-3-402-11049-2, EUR 43,00
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"Die vorliegende Studie fokussiert die bislang lediglich rudimentär untersuchten Pilgerreisen in der Spätantike, die von Frauen unternommen wurden. Zum ersten Mal stehen alle neun Heilig-Land-Pilgerinnen westlicher Herkunft im Zentrum, die im 4. Jahrhundert in das Heilige Land aufbrachen, ihre grundlegenden Beweggründe zur Pilgerreise und deren systematischer Vergleich auf Übereinstimmungen und Differenzen." Diese überschwängliche Ankündigung auf dem Buchumschlag lässt aufhorchen, ist aber irreführend. Das Buch selbst nämlich spricht richtig von einer "Vielzahl neuer Publikationen". Aus "historisch-theologischer Perspektive" wolle es in einer "prosopographischen" Studie einen "Teilbereich" betrachten, nämlich "aus dem lateinischen Westen" stammende Pilgerinnen, die "zwischen der Alleinherrschaft Konstantins (324) und dem Ende von Kaiser Theodosius' I. Regierungszeit (395) ins Heilige Land aufbrechen" (17).
Betrachtet werden genau neun literarisch bezeugte Frauen, für die eine Reise aus dem "lateinischen Westen" nach Jerusalem als dem "vorrangigen und einzig legitimen Ziel einer peregrinatio" (12) belegt sei: Eutropia, Kaiserin Helena, Melania d.Ä., Egeria, Paula, Julia Eustochium, Fabiola, Poimenia und Silvia; als "Hauptpilgerziel und somit primäres Auswahlkriterium gilt [...] das Heilige Land" (20). Nicht behandelt wird das Itinerarium Burdigalense von 333, das thematisch und chronologisch in diese Thematik gehören könnte; die Forschungsdiskussion über die Frage, ob es von einer Frau verfasst wurde (L. Douglass, Journal of Early Christian Studies 4, 1996, 313-333 und S. Weingarten, ibid. 7, 1999, 291-297), wird nicht aufgenommen, sondern allein auf eine populäre Darstellung von Heilig-Land-Pilgerinnen verwiesen und eine Behandlung abgelehnt (17). Auch wird nicht erörtert, welche Reisen überhaupt als peregrinatio bezeichnet werden; zu überlegen, weshalb z. B. Egeria ihr itinerarium nicht als peregrinatio bezeichnet, hätte freilich in einer Studie über "Pilgerinnen" durchaus von Interesse sein können. Vielmehr werden die neun behandelten Frauen als "konkrete Personengruppe" (15) aufgefasst. Für jede dieser neun Personen wird sodann versucht, die primären Quellen, das Leben bis zur Pilgerreise, die Pilgerreise selbst und das Leben nach der Pilgerreise zu besprechen; ein hilfreiches Resümee beschließt jedes der neun Kapitel. Ein abschließendes Resümee fasst das Beobachtete gut zusammen.
Der als "prosopographisch" präsentierte Ansatz ist freilich, wie zu erwarten, schwierig. So ist Eutropia "bedauerlicherweise" (25) kaum bekannt, für Helena ergeben sich "große Schwierigkeiten hinsichtlich der Rekonstruktion der Biographie" (36), während es erst für Melania d. Ä. "im Vergleich zu anderen Pilgerinnen [...] verlässliche Informationen" gibt (68). Bei Egeria, bei der ja nicht einmal der Name klar bezeugt ist (überliefert sind auch Aetheria, Eucheria usw.), wird pauschal angegeben, dass der Name "Egeria am besten belegt ist" (97); gerade in diesem Kapitel, das sich streckenweise ganz auf die lateinisch-deutsche Ausgabe in den "Fontes Christiani" verlässt, wäre in Auseinandersetzung mit neuerer, nicht in deutscher Sprache vorgelegter Forschungsliteratur etwas mehr Tiefgang möglich gewesen, etwa zur Frage nach des von Egeria als gleichrangig mit kanonischen Schriften angesehenen apokryphen Briefwechsels Jesu mit Abgar von Edessa, der im Buch unerwähnt bleibt. Für die "Rekonstruktion von Paulas Vita muss man sich auf Nachrichten über sie in zeitgenössischen Werken verlassen" (124), zu ihrer Tochter Julia Eustochium sind diese dann "eher gering" (166), und über Fabiola finden sie sich "ausschließlich in den Briefen des Hieronymus" (175). Zu Poimenia bietet "der früheste und wohl wichtigste Zeuge [...] keine detaillierten Informationen" (183), und über Silvia ist "leider nur sehr wenig bekannt" (196). Dieser jeweils beschriebene Befund setzt dem gewählten "prosopographischen" Ansatz also immer wieder Grenzen und verführt gelegentlich dazu, den Quellen mehr entnehmen zu wollen, als sie besagen. So wird für Egeria in der Rubrik "Motivation zur Pilgerreise" als "äußerer Faktor" schließlich "wohl Einfluss durch Kaiserin Helena" postuliert (217), im entsprechenden Kapitel steht jedoch noch vorsichtiger und richtig, dass dafür "kein direkter Beleg aus dem Itinerarium" herangezogen werden kann (121).
Das abschließende Resümee konstatiert fünf "Motivationsfaktoren" der behandelten Personen: als ersten "das Heilige Land als Pilgerziel" (was nicht überrascht, da dies ja "primäres Auswahlkriterium" war), dann die Entscheidung für eine christliche Askese, als dritten Vorbilder im Kaiserhaus oder in der eigenen Familie, als vierten überfamiliäre "Netzwerke" und schließlich die "politisch bzw. kirchenpolitisch motivierte Pilgerreise". Unter Rückgriff auf (vorwiegend deutschsprachige) Forschungsliteratur versucht das Buch so eine Gesamtdarstellung von neun Frauen zu bieten, die im 4. Jahrhundert nach Jerusalem und zu den biblischen Stätten reisten.
Kai Brodersen